falschen hat. Dieses geschieht aber, wenn sie denselben ohne Ueberzeugung von der Wahrheit, zu einer andern Religion zwingt: Derowegen soll die Polizei jedem Men- schen im Staate Mittel an die Hand ge- ben, daß er die Wahrheit erkennen kann, wann er will, aber sie soll ihn nicht zu Annehmung derselben zwingen.
§. 404. Ein jeder Mensch kann in seinem Religionsbegriffe irren, und doch kann ein jeder für seine Person glauben, seiner Mei- nung gewiß zu seyn. Aber eben das gilt auch von dem Staatswirthe. Da nun die- ser eben so wohl im Religionsbegriffe fehlen kann, als auch andere Menschen, da er al- so eine falsche Religion haben kann; so kann es nie in seiner Gewalt stehen, eine Re- ligion durch Zwang im Staate einzufüh- ren: denn es ist leicht möglich, daß der, welcher gezwungen wird, die wahre ha- be, und der, welcher zwingt, die falsche.
§. 405. Das ist aber einmal der Grund- saz, der nie geläugnet werden kann: daß die wahre Religion den Menschen zeitlich und
ewig
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Staatswiſſenſchaft
falſchen hat. Dieſes geſchieht aber, wenn ſie denſelben ohne Ueberzeugung von der Wahrheit, zu einer andern Religion zwingt: Derowegen ſoll die Polizei jedem Men- ſchen im Staate Mittel an die Hand ge- ben, daß er die Wahrheit erkennen kann, wann er will, aber ſie ſoll ihn nicht zu Annehmung derſelben zwingen.
§. 404. Ein jeder Menſch kann in ſeinem Religionsbegriffe irren, und doch kann ein jeder fuͤr ſeine Perſon glauben, ſeiner Mei- nung gewiß zu ſeyn. Aber eben das gilt auch von dem Staatswirthe. Da nun die- ſer eben ſo wohl im Religionsbegriffe fehlen kann, als auch andere Menſchen, da er al- ſo eine falſche Religion haben kann; ſo kann es nie in ſeiner Gewalt ſtehen, eine Re- ligion durch Zwang im Staate einzufuͤh- ren: denn es iſt leicht moͤglich, daß der, welcher gezwungen wird, die wahre ha- be, und der, welcher zwingt, die falſche.
§. 405. Das iſt aber einmal der Grund- ſaz, der nie gelaͤugnet werden kann: daß die wahre Religion den Menſchen zeitlich und
ewig
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[201/0221]
Staatswiſſenſchaft
falſchen hat. Dieſes geſchieht aber, wenn
ſie denſelben ohne Ueberzeugung von der
Wahrheit, zu einer andern Religion zwingt:
Derowegen ſoll die Polizei jedem Men-
ſchen im Staate Mittel an die Hand ge-
ben, daß er die Wahrheit erkennen kann,
wann er will, aber ſie ſoll ihn nicht zu
Annehmung derſelben zwingen.
§. 404. Ein jeder Menſch kann in ſeinem
Religionsbegriffe irren, und doch kann ein
jeder fuͤr ſeine Perſon glauben, ſeiner Mei-
nung gewiß zu ſeyn. Aber eben das gilt
auch von dem Staatswirthe. Da nun die-
ſer eben ſo wohl im Religionsbegriffe fehlen
kann, als auch andere Menſchen, da er al-
ſo eine falſche Religion haben kann; ſo kann
es nie in ſeiner Gewalt ſtehen, eine Re-
ligion durch Zwang im Staate einzufuͤh-
ren: denn es iſt leicht moͤglich, daß der,
welcher gezwungen wird, die wahre ha-
be, und der, welcher zwingt, die falſche.
§. 405. Das iſt aber einmal der Grund-
ſaz, der nie gelaͤugnet werden kann: daß die
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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften. Lautern, 1779, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jungstilling_versuch_1779/221>, abgerufen am 01.08.2024.
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