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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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etwas gefunden hätte; lächelte wohl zuweilen, stand, schüttelte
den Kopf, sah auf eine Stelle, faltete die Hände, lächelte
wieder. Mariechen und Heinrich sahen ihn mit Verwun-
derung an; doch durften sie ihm nicht fragen; denn er thät's
wohl oft so, daß er vor sich allein lachte. Doch Stillingen
war das Herz zu voll; er setzte sich zu ihnen nieder und er-
zählte; wie er anfing, so standen ihm die Augen voll Wasser.
Mariechen und Heinrich sahen es, und schon liefen ihnen
auch die Augen über.

Wie ich von euch in Wald hinein ging, sah ich weit von
mir ein Licht, eben so, als wenn Morgens früh die Sonne
aufgeht. Ich verwunderte mich sehr. Ei! dachte ich, dort
steht ja die Sonne am Himmel; ist das denn eine neue Sonne?
Das muß ja was Wunderliches seyn, das muß ich sehen. Ich
ging darauf zu; wie ich vorn hin kam, siehe, da war vor mir
eine Ebne, die ich mit meinen Augen nicht übersehen konnte.
Ich hab' mein Lebtag so etwas Herrliches nicht gesehen, so
ein schöner Geruch, so eine kühle Luft kam darüber her, ich
kann's euch nicht sagen. Es war so weiß Licht durch die ganze
Gegend, der Tag mit der Sonne ist Nacht dagegen. Da stan-
den viel tausend prächtige Schlösser, eins nah beim andern.
Schlösser! -- ich kann's euch nicht beschreiben! als wenn sie
von lauter Silber wären. Da waren Gärten, Büsche, Bäche.
O Gott, wie schön! -- Nicht weit von mir stand ein großes
herrliches Schloß. (Hier liefen dem guten Stilling die Thrä-
nen häufig die Wangen herunter, Mariechen und Hein-
richen
auch.) Aus der Thür dieses Schlosses kam Jemand
heraus auf mich zu, wie eine Jungfrau. Ach! ein herrlicher
Engel! -- Wie sie nah bei mir war, ach Gott! da war es
unser seliges Dortchen! (Nun schluchzten sie alle drei, keins
konnte etwas reden, nur Heinrich rief und heulte: O meine
Mutter! meine liebe Mutter!) -- Sie sagte gegen mich so
freundlich, eben mit der Miene, die mir ehemals so oft das
Herz stahl: Vater, dortist unsere ewige Wohnung,
ihr kommt bald zu uns
-- Ich sah, und siehe alles war
Wald vor mir; das herrliche Gesicht war weg. Kinder, ich
sterbe bald; wie freu' ich mich darauf! Heinrich konnte

etwas gefunden haͤtte; laͤchelte wohl zuweilen, ſtand, ſchuͤttelte
den Kopf, ſah auf eine Stelle, faltete die Haͤnde, laͤchelte
wieder. Mariechen und Heinrich ſahen ihn mit Verwun-
derung an; doch durften ſie ihm nicht fragen; denn er thaͤt’s
wohl oft ſo, daß er vor ſich allein lachte. Doch Stillingen
war das Herz zu voll; er ſetzte ſich zu ihnen nieder und er-
zaͤhlte; wie er anfing, ſo ſtanden ihm die Augen voll Waſſer.
Mariechen und Heinrich ſahen es, und ſchon liefen ihnen
auch die Augen uͤber.

Wie ich von euch in Wald hinein ging, ſah ich weit von
mir ein Licht, eben ſo, als wenn Morgens fruͤh die Sonne
aufgeht. Ich verwunderte mich ſehr. Ei! dachte ich, dort
ſteht ja die Sonne am Himmel; iſt das denn eine neue Sonne?
Das muß ja was Wunderliches ſeyn, das muß ich ſehen. Ich
ging darauf zu; wie ich vorn hin kam, ſiehe, da war vor mir
eine Ebne, die ich mit meinen Augen nicht uͤberſehen konnte.
Ich hab’ mein Lebtag ſo etwas Herrliches nicht geſehen, ſo
ein ſchoͤner Geruch, ſo eine kuͤhle Luft kam daruͤber her, ich
kann’s euch nicht ſagen. Es war ſo weiß Licht durch die ganze
Gegend, der Tag mit der Sonne iſt Nacht dagegen. Da ſtan-
den viel tauſend praͤchtige Schloͤſſer, eins nah beim andern.
Schloͤſſer! — ich kann’s euch nicht beſchreiben! als wenn ſie
von lauter Silber waͤren. Da waren Gaͤrten, Buͤſche, Baͤche.
O Gott, wie ſchoͤn! — Nicht weit von mir ſtand ein großes
herrliches Schloß. (Hier liefen dem guten Stilling die Thraͤ-
nen haͤufig die Wangen herunter, Mariechen und Hein-
richen
auch.) Aus der Thuͤr dieſes Schloſſes kam Jemand
heraus auf mich zu, wie eine Jungfrau. Ach! ein herrlicher
Engel! — Wie ſie nah bei mir war, ach Gott! da war es
unſer ſeliges Dortchen! (Nun ſchluchzten ſie alle drei, keins
konnte etwas reden, nur Heinrich rief und heulte: O meine
Mutter! meine liebe Mutter!) — Sie ſagte gegen mich ſo
freundlich, eben mit der Miene, die mir ehemals ſo oft das
Herz ſtahl: Vater, dortiſt unſere ewige Wohnung,
ihr kommt bald zu uns
— Ich ſah, und ſiehe alles war
Wald vor mir; das herrliche Geſicht war weg. Kinder, ich
ſterbe bald; wie freu’ ich mich darauf! Heinrich konnte

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[89/0097] etwas gefunden haͤtte; laͤchelte wohl zuweilen, ſtand, ſchuͤttelte den Kopf, ſah auf eine Stelle, faltete die Haͤnde, laͤchelte wieder. Mariechen und Heinrich ſahen ihn mit Verwun- derung an; doch durften ſie ihm nicht fragen; denn er thaͤt’s wohl oft ſo, daß er vor ſich allein lachte. Doch Stillingen war das Herz zu voll; er ſetzte ſich zu ihnen nieder und er- zaͤhlte; wie er anfing, ſo ſtanden ihm die Augen voll Waſſer. Mariechen und Heinrich ſahen es, und ſchon liefen ihnen auch die Augen uͤber. Wie ich von euch in Wald hinein ging, ſah ich weit von mir ein Licht, eben ſo, als wenn Morgens fruͤh die Sonne aufgeht. Ich verwunderte mich ſehr. Ei! dachte ich, dort ſteht ja die Sonne am Himmel; iſt das denn eine neue Sonne? Das muß ja was Wunderliches ſeyn, das muß ich ſehen. Ich ging darauf zu; wie ich vorn hin kam, ſiehe, da war vor mir eine Ebne, die ich mit meinen Augen nicht uͤberſehen konnte. Ich hab’ mein Lebtag ſo etwas Herrliches nicht geſehen, ſo ein ſchoͤner Geruch, ſo eine kuͤhle Luft kam daruͤber her, ich kann’s euch nicht ſagen. Es war ſo weiß Licht durch die ganze Gegend, der Tag mit der Sonne iſt Nacht dagegen. Da ſtan- den viel tauſend praͤchtige Schloͤſſer, eins nah beim andern. Schloͤſſer! — ich kann’s euch nicht beſchreiben! als wenn ſie von lauter Silber waͤren. Da waren Gaͤrten, Buͤſche, Baͤche. O Gott, wie ſchoͤn! — Nicht weit von mir ſtand ein großes herrliches Schloß. (Hier liefen dem guten Stilling die Thraͤ- nen haͤufig die Wangen herunter, Mariechen und Hein- richen auch.) Aus der Thuͤr dieſes Schloſſes kam Jemand heraus auf mich zu, wie eine Jungfrau. Ach! ein herrlicher Engel! — Wie ſie nah bei mir war, ach Gott! da war es unſer ſeliges Dortchen! (Nun ſchluchzten ſie alle drei, keins konnte etwas reden, nur Heinrich rief und heulte: O meine Mutter! meine liebe Mutter!) — Sie ſagte gegen mich ſo freundlich, eben mit der Miene, die mir ehemals ſo oft das Herz ſtahl: Vater, dortiſt unſere ewige Wohnung, ihr kommt bald zu uns — Ich ſah, und ſiehe alles war Wald vor mir; das herrliche Geſicht war weg. Kinder, ich ſterbe bald; wie freu’ ich mich darauf! Heinrich konnte

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/97>, abgerufen am 24.11.2024.