pflegte er wohl zu thun, wenn er Sachen von Wichtigkeit überlegte. Wilhelm legte den eisernen Fingerhut auf den Tisch, schlug die Arme vor der Brust über einander und über- legte auch. Margareth hatte die Hände auf dem Schooß gefalten, knickelte mit den Daumen gegen einander, blinzte gegenüber auf die Stubenthüre und überlegte auch. Hein- rich aber saß, mit seiner wollenen Lappmütze in der Hand, auf einem kleinen Stuhl, und überlegte nicht, sondern wünschte nur. Stollbein saß auf seinem Lehnstuhl, eine Hand auf dem Knopf des Rohrstabes und die andere in der Seite und wartete der Sachen Ausschlag. Lange schwiegen sie, endlich sagte der Alte: Nun, Wilhelm, es ist dein Kind; was meinst du?
"Vater, ich weiß nicht, woher ich die Kosten bestreiten soll."
Ist das deine schwerste Sorge, Wilhelm? wird dir dein lateinischer Junge auch noch Freude machen? da sorg' nur!
"Was, Freude! sagte der Pastor; mit Eurer Freude! Hier ist die Frage, ob Ihr was rechts aus dem Knaben machen wollt, oder nicht. Soll was rechts aus ihm werden, so muß er Latein lernen, wo nicht, so bleib' er ein Lümmel wie --"
Wie seine Eltern, sagte der alte Stilling.
"Ich glaube, Ihr wollt mich foppen, versetzte der Prediger."
Nein, Gott bewahr' uns! erwiederte Eberhard, nehmt mir nicht übel; denn Euer Vater war ja ein Wollenweber, und konnte auch kein Latein; doch sagten die Leute, er wäre ein braver Mann gewesen, wiewohl ich nie Tuch bei ihm ge- kauft habe. Hört, lieber Herr Pastor, ein ehrlicher Mann liebt Gott und den Nächsten, er thut recht und scheut Nie- mand, er ist fleißig, sorgt für sich und die Seinigen, damit sie Brod haben mögen. Warum thut er doch das alles? --
"Ich glaube wahrhaftig, Ihr wollt mich catechisiren, Stil- ling! Braucht Respekt und wißt, mit wem Ihr redet. Das thut er, weil es recht und billig ist, daß er's thut!"
Zürnet nicht, daß ich Euch widerspreche; er thut's darum, damit er hier und dort Freude haben möge.
"Ei was! damit kann er doch noch zur Hölle fahren."
Mit der Liebe Gottes und des Nächsten?
pflegte er wohl zu thun, wenn er Sachen von Wichtigkeit uͤberlegte. Wilhelm legte den eiſernen Fingerhut auf den Tiſch, ſchlug die Arme vor der Bruſt uͤber einander und uͤber- legte auch. Margareth hatte die Haͤnde auf dem Schooß gefalten, knickelte mit den Daumen gegen einander, blinzte gegenuͤber auf die Stubenthuͤre und uͤberlegte auch. Hein- rich aber ſaß, mit ſeiner wollenen Lappmuͤtze in der Hand, auf einem kleinen Stuhl, und uͤberlegte nicht, ſondern wuͤnſchte nur. Stollbein ſaß auf ſeinem Lehnſtuhl, eine Hand auf dem Knopf des Rohrſtabes und die andere in der Seite und wartete der Sachen Ausſchlag. Lange ſchwiegen ſie, endlich ſagte der Alte: Nun, Wilhelm, es iſt dein Kind; was meinſt du?
„Vater, ich weiß nicht, woher ich die Koſten beſtreiten ſoll.“
Iſt das deine ſchwerſte Sorge, Wilhelm? wird dir dein lateiniſcher Junge auch noch Freude machen? da ſorg’ nur!
„Was, Freude! ſagte der Paſtor; mit Eurer Freude! Hier iſt die Frage, ob Ihr was rechts aus dem Knaben machen wollt, oder nicht. Soll was rechts aus ihm werden, ſo muß er Latein lernen, wo nicht, ſo bleib’ er ein Luͤmmel wie —“
Wie ſeine Eltern, ſagte der alte Stilling.
„Ich glaube, Ihr wollt mich foppen, verſetzte der Prediger.“
Nein, Gott bewahr’ uns! erwiederte Eberhard, nehmt mir nicht uͤbel; denn Euer Vater war ja ein Wollenweber, und konnte auch kein Latein; doch ſagten die Leute, er waͤre ein braver Mann geweſen, wiewohl ich nie Tuch bei ihm ge- kauft habe. Hoͤrt, lieber Herr Paſtor, ein ehrlicher Mann liebt Gott und den Naͤchſten, er thut recht und ſcheut Nie- mand, er iſt fleißig, ſorgt fuͤr ſich und die Seinigen, damit ſie Brod haben moͤgen. Warum thut er doch das alles? —
„Ich glaube wahrhaftig, Ihr wollt mich catechiſiren, Stil- ling! Braucht Reſpekt und wißt, mit wem Ihr redet. Das thut er, weil es recht und billig iſt, daß er’s thut!“
Zuͤrnet nicht, daß ich Euch widerſpreche; er thut’s darum, damit er hier und dort Freude haben moͤge.
„Ei was! damit kann er doch noch zur Hoͤlle fahren.“
Mit der Liebe Gottes und des Naͤchſten?
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pflegte er wohl zu thun, wenn er Sachen von Wichtigkeit
uͤberlegte. Wilhelm legte den eiſernen Fingerhut auf den
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legte auch. Margareth hatte die Haͤnde auf dem Schooß
gefalten, knickelte mit den Daumen gegen einander, blinzte
gegenuͤber auf die Stubenthuͤre und uͤberlegte auch. Hein-
rich aber ſaß, mit ſeiner wollenen Lappmuͤtze in der Hand,
auf einem kleinen Stuhl, und uͤberlegte nicht, ſondern wuͤnſchte
nur. Stollbein ſaß auf ſeinem Lehnſtuhl, eine Hand auf
dem Knopf des Rohrſtabes und die andere in der Seite und
wartete der Sachen Ausſchlag. Lange ſchwiegen ſie, endlich
ſagte der Alte: Nun, Wilhelm, es iſt dein Kind; was
meinſt du?
„Vater, ich weiß nicht, woher ich die Koſten beſtreiten ſoll.“
Iſt das deine ſchwerſte Sorge, Wilhelm? wird dir dein
lateiniſcher Junge auch noch Freude machen? da ſorg’ nur!
„Was, Freude! ſagte der Paſtor; mit Eurer Freude! Hier
iſt die Frage, ob Ihr was rechts aus dem Knaben machen
wollt, oder nicht. Soll was rechts aus ihm werden, ſo muß
er Latein lernen, wo nicht, ſo bleib’ er ein Luͤmmel wie —“
Wie ſeine Eltern, ſagte der alte Stilling.
„Ich glaube, Ihr wollt mich foppen, verſetzte der Prediger.“
Nein, Gott bewahr’ uns! erwiederte Eberhard, nehmt
mir nicht uͤbel; denn Euer Vater war ja ein Wollenweber,
und konnte auch kein Latein; doch ſagten die Leute, er waͤre
ein braver Mann geweſen, wiewohl ich nie Tuch bei ihm ge-
kauft habe. Hoͤrt, lieber Herr Paſtor, ein ehrlicher Mann
liebt Gott und den Naͤchſten, er thut recht und ſcheut Nie-
mand, er iſt fleißig, ſorgt fuͤr ſich und die Seinigen, damit
ſie Brod haben moͤgen. Warum thut er doch das alles? —
„Ich glaube wahrhaftig, Ihr wollt mich catechiſiren, Stil-
ling! Braucht Reſpekt und wißt, mit wem Ihr redet. Das
thut er, weil es recht und billig iſt, daß er’s thut!“
Zuͤrnet nicht, daß ich Euch widerſpreche; er thut’s darum,
damit er hier und dort Freude haben moͤge.
„Ei was! damit kann er doch noch zur Hoͤlle fahren.“
Mit der Liebe Gottes und des Naͤchſten?
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/88>, abgerufen am 24.11.2024.
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