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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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dem Walde zu seiner Handthierung ging, ersuchte er Wilhel-
men
, ihm seinen Enkel mitzugeben. Dieser gab es zu, und
Heinrich freute sich zum höchsten. Wie sie den Giller hin-
auf gingen, sagte der Alte: Heinrich, erzähl' uns einmal
die Historie von der schönen Melusine; ich höre so gern alte
Historien: so wird uns die Zeit nicht lang. Heinrich er-
zählte sie ganz umständlich mit der größten Freude. Vater
Stilling stellte sich, als wenn er über die Geschichte ganz
erstaunt wäre, und als wenn er sie in allen Umständen wahr
zu seyn glaubte. Dieß mußte aber auch geschehen, wenn man
Heinrichen nicht ärgern wollte; denn er glaubte alle diese
Historien so fest, als die Bibel. Der Ort, wo Stilling
Kohlen brannte, war drei Stunden von Tiefenbach; man ging
beständig bis dahin im Wald. Heinrich, der alles ideali-
sirte, fand auf diesem ganzen Wege lauter Paradies; alles
war ihm schön und ohne Fehler. Eine recht düstere Maibuche,
die er in einiger Entfernung vor sich sah, mit ihrem schönen
grünen Licht und Schatten, machte einen Eindruck auf ihn;
alsofort war die ganze Gegend ein Ideal und himmlisch schön
in seinen Augen. Sie gelangten dann endlich auf einen sehr
hohen Berg zum Arbeitsplatz. Die mit Rasen bedeckte Köh-
lershütte fiel dem jungen Stilling sogleich in die Augen;
er kroch hinein, sah das Lager von Moos und die Feuerstätte
zwischen zween rauhen Steinen, freute sich und jauchzte. Wäh-
rend der Zeit, daß der Großvater arbeitete, ging er im Wald
herum, und betrachtete alle Schönheiten der Gegend und der
Natur; alles war ihm neu und unaussprechlich reizend. An
einem Abend, wie sie des andern Tages wieder nach Hause
wollten, saßen sie vor der Hütte, da eben die Sonne unterge-
gangen war. Großvater! sagte Heinrich, wann ich in den
Büchern lese, daß die Helden so weit zurück haben rechnen
können, wer ihre Voreltern gewesen, so wünsch' ich, daß ich
auch wüßte, wer meine Voreltern gewesen sind. Wer weiß,
ob wir nicht auch von einem Fürsten oder großen Herrn her-
kommen? Meiner Mutter Vorfahren sind alle Prediger gewe-
sen, aber die Eurigen weiß ich noch nicht; ich will sie mir
Alle aufschreiben, wenn ihr sie mir sagt. Vater Stilling

dem Walde zu ſeiner Handthierung ging, erſuchte er Wilhel-
men
, ihm ſeinen Enkel mitzugeben. Dieſer gab es zu, und
Heinrich freute ſich zum hoͤchſten. Wie ſie den Giller hin-
auf gingen, ſagte der Alte: Heinrich, erzaͤhl’ uns einmal
die Hiſtorie von der ſchoͤnen Meluſine; ich hoͤre ſo gern alte
Hiſtorien: ſo wird uns die Zeit nicht lang. Heinrich er-
zaͤhlte ſie ganz umſtaͤndlich mit der groͤßten Freude. Vater
Stilling ſtellte ſich, als wenn er uͤber die Geſchichte ganz
erſtaunt waͤre, und als wenn er ſie in allen Umſtaͤnden wahr
zu ſeyn glaubte. Dieß mußte aber auch geſchehen, wenn man
Heinrichen nicht aͤrgern wollte; denn er glaubte alle dieſe
Hiſtorien ſo feſt, als die Bibel. Der Ort, wo Stilling
Kohlen brannte, war drei Stunden von Tiefenbach; man ging
beſtaͤndig bis dahin im Wald. Heinrich, der alles ideali-
ſirte, fand auf dieſem ganzen Wege lauter Paradies; alles
war ihm ſchoͤn und ohne Fehler. Eine recht duͤſtere Maibuche,
die er in einiger Entfernung vor ſich ſah, mit ihrem ſchoͤnen
gruͤnen Licht und Schatten, machte einen Eindruck auf ihn;
alſofort war die ganze Gegend ein Ideal und himmliſch ſchoͤn
in ſeinen Augen. Sie gelangten dann endlich auf einen ſehr
hohen Berg zum Arbeitsplatz. Die mit Raſen bedeckte Koͤh-
lershuͤtte fiel dem jungen Stilling ſogleich in die Augen;
er kroch hinein, ſah das Lager von Moos und die Feuerſtaͤtte
zwiſchen zween rauhen Steinen, freute ſich und jauchzte. Waͤh-
rend der Zeit, daß der Großvater arbeitete, ging er im Wald
herum, und betrachtete alle Schoͤnheiten der Gegend und der
Natur; alles war ihm neu und unausſprechlich reizend. An
einem Abend, wie ſie des andern Tages wieder nach Hauſe
wollten, ſaßen ſie vor der Huͤtte, da eben die Sonne unterge-
gangen war. Großvater! ſagte Heinrich, wann ich in den
Buͤchern leſe, daß die Helden ſo weit zuruͤck haben rechnen
koͤnnen, wer ihre Voreltern geweſen, ſo wuͤnſch’ ich, daß ich
auch wuͤßte, wer meine Voreltern geweſen ſind. Wer weiß,
ob wir nicht auch von einem Fuͤrſten oder großen Herrn her-
kommen? Meiner Mutter Vorfahren ſind alle Prediger gewe-
ſen, aber die Eurigen weiß ich noch nicht; ich will ſie mir
Alle aufſchreiben, wenn ihr ſie mir ſagt. Vater Stilling

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[75/0083] dem Walde zu ſeiner Handthierung ging, erſuchte er Wilhel- men, ihm ſeinen Enkel mitzugeben. Dieſer gab es zu, und Heinrich freute ſich zum hoͤchſten. Wie ſie den Giller hin- auf gingen, ſagte der Alte: Heinrich, erzaͤhl’ uns einmal die Hiſtorie von der ſchoͤnen Meluſine; ich hoͤre ſo gern alte Hiſtorien: ſo wird uns die Zeit nicht lang. Heinrich er- zaͤhlte ſie ganz umſtaͤndlich mit der groͤßten Freude. Vater Stilling ſtellte ſich, als wenn er uͤber die Geſchichte ganz erſtaunt waͤre, und als wenn er ſie in allen Umſtaͤnden wahr zu ſeyn glaubte. Dieß mußte aber auch geſchehen, wenn man Heinrichen nicht aͤrgern wollte; denn er glaubte alle dieſe Hiſtorien ſo feſt, als die Bibel. Der Ort, wo Stilling Kohlen brannte, war drei Stunden von Tiefenbach; man ging beſtaͤndig bis dahin im Wald. Heinrich, der alles ideali- ſirte, fand auf dieſem ganzen Wege lauter Paradies; alles war ihm ſchoͤn und ohne Fehler. Eine recht duͤſtere Maibuche, die er in einiger Entfernung vor ſich ſah, mit ihrem ſchoͤnen gruͤnen Licht und Schatten, machte einen Eindruck auf ihn; alſofort war die ganze Gegend ein Ideal und himmliſch ſchoͤn in ſeinen Augen. Sie gelangten dann endlich auf einen ſehr hohen Berg zum Arbeitsplatz. Die mit Raſen bedeckte Koͤh- lershuͤtte fiel dem jungen Stilling ſogleich in die Augen; er kroch hinein, ſah das Lager von Moos und die Feuerſtaͤtte zwiſchen zween rauhen Steinen, freute ſich und jauchzte. Waͤh- rend der Zeit, daß der Großvater arbeitete, ging er im Wald herum, und betrachtete alle Schoͤnheiten der Gegend und der Natur; alles war ihm neu und unausſprechlich reizend. An einem Abend, wie ſie des andern Tages wieder nach Hauſe wollten, ſaßen ſie vor der Huͤtte, da eben die Sonne unterge- gangen war. Großvater! ſagte Heinrich, wann ich in den Buͤchern leſe, daß die Helden ſo weit zuruͤck haben rechnen koͤnnen, wer ihre Voreltern geweſen, ſo wuͤnſch’ ich, daß ich auch wuͤßte, wer meine Voreltern geweſen ſind. Wer weiß, ob wir nicht auch von einem Fuͤrſten oder großen Herrn her- kommen? Meiner Mutter Vorfahren ſind alle Prediger gewe- ſen, aber die Eurigen weiß ich noch nicht; ich will ſie mir Alle aufſchreiben, wenn ihr ſie mir ſagt. Vater Stilling

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/83>, abgerufen am 24.11.2024.