die älteste, "solche fromme Eltern und Vorfahren gehabt zu ha- "ben, wer möchte mit anderm Reichthum tauschen!" -- Und die älteste schrieb dieser: "Wo sind nun, wenn ich zu Euch "komme, die Edlen, denen wir alles zu danken haben? wo der "Engelsvater, bei dessen Anblick man vor Ehrfurcht niedersinken "mochte, in dessen Nähe man so tief das Glück fühlte, sein Kind "zu seyn? Ach, und die reine, liebe Mutter mit ihrer Sorge "und Zärtlichkeit! Die leidende Engelsseele! wo soll ich sie suchen?
Daß in den letztern Bänden der Stillingsgeschichte das Per- sönliche, welches seine Familie betrifft, weggeblieben wäre, möch- ten wir wohl wünschen; auch möchte sonst manches auf einem fremden Standpunkte zu kleinlich erscheinen. Man bedenke aber, daß dem Verfasser nichts zu klein war, was ihm zum Bekennt- niß seines Glaubens an die allergenaueste Vorsehung diente, weil er wohl wußte, wie in ihrem Gange überhaupt nichts klein sey. Und wer mag jene Kindlichkeit und Offenheit tadeln, welche nur in die spätern Verhältnisse nicht mehr passen wollte, aber desto mehr den klassischen Werth der ersten Theile jenes Buches erhöht! Es war des großen Dichters unserer Nation nicht unwerth, daß er das Werk zuerst zum Druck befördert hat. Auch wir Kinder Stillings danken Göthe dafür, wie wir überhaupt sein edles Herz in allem erkennen, was er schon als akademischer Freund unserem Vater gewesen, wofür unser Dankgefühl nie ersterben wird. In ihrer Richtung waren diese beiden Geister sehr ver- schieden, aber sie blieben auch im Alter, und gewissermaßen im Stillen, Freunde. Göthe hat sich in dem Buche, das aus sei- nem Leben erzählt, auf eine Art über Jung erklärt, welche die- sen ungemein gefreut hat; und gerührt hat er ihn durch den Be- such, welchen er dem alten Freund noch im Jahre 1815 in Karlsruhe abstattete. Leider mußte durch eine unglückliche Fü- gung kleiner äußerer Umstände unser Vater gerade an diesem Tage wegreisen, er sprach nach der langen Reihe von Jahren den Jugendfreund kaum eine halbe Stunde. Es war dem Va- ter und den Seinigen sehr schmerzlich, daß ein längeres Zusam- menseyn, das er selbst so sehr gewünscht hatte, nun gänzlich ver- eitelt war. Nie haben wir ihn anders, als mit gerührtem Her- zen und großer Hochachtung von diesem Freunde sprechen hören.
die aͤlteſte, „ſolche fromme Eltern und Vorfahren gehabt zu ha- „ben, wer moͤchte mit anderm Reichthum tauſchen!“ — Und die aͤlteſte ſchrieb dieſer: „Wo ſind nun, wenn ich zu Euch „komme, die Edlen, denen wir alles zu danken haben? wo der „Engelsvater, bei deſſen Anblick man vor Ehrfurcht niederſinken „mochte, in deſſen Naͤhe man ſo tief das Gluͤck fuͤhlte, ſein Kind „zu ſeyn? Ach, und die reine, liebe Mutter mit ihrer Sorge „und Zaͤrtlichkeit! Die leidende Engelsſeele! wo ſoll ich ſie ſuchen?
Daß in den letztern Baͤnden der Stillingsgeſchichte das Per- ſoͤnliche, welches ſeine Familie betrifft, weggeblieben waͤre, moͤch- ten wir wohl wuͤnſchen; auch moͤchte ſonſt manches auf einem fremden Standpunkte zu kleinlich erſcheinen. Man bedenke aber, daß dem Verfaſſer nichts zu klein war, was ihm zum Bekennt- niß ſeines Glaubens an die allergenaueſte Vorſehung diente, weil er wohl wußte, wie in ihrem Gange uͤberhaupt nichts klein ſey. Und wer mag jene Kindlichkeit und Offenheit tadeln, welche nur in die ſpaͤtern Verhaͤltniſſe nicht mehr paſſen wollte, aber deſto mehr den klaſſiſchen Werth der erſten Theile jenes Buches erhoͤht! Es war des großen Dichters unſerer Nation nicht unwerth, daß er das Werk zuerſt zum Druck befoͤrdert hat. Auch wir Kinder Stillings danken Goͤthe dafuͤr, wie wir uͤberhaupt ſein edles Herz in allem erkennen, was er ſchon als akademiſcher Freund unſerem Vater geweſen, wofuͤr unſer Dankgefuͤhl nie erſterben wird. In ihrer Richtung waren dieſe beiden Geiſter ſehr ver- ſchieden, aber ſie blieben auch im Alter, und gewiſſermaßen im Stillen, Freunde. Goͤthe hat ſich in dem Buche, das aus ſei- nem Leben erzaͤhlt, auf eine Art uͤber Jung erklaͤrt, welche die- ſen ungemein gefreut hat; und geruͤhrt hat er ihn durch den Be- ſuch, welchen er dem alten Freund noch im Jahre 1815 in Karlsruhe abſtattete. Leider mußte durch eine ungluͤckliche Fuͤ- gung kleiner aͤußerer Umſtaͤnde unſer Vater gerade an dieſem Tage wegreiſen, er ſprach nach der langen Reihe von Jahren den Jugendfreund kaum eine halbe Stunde. Es war dem Va- ter und den Seinigen ſehr ſchmerzlich, daß ein laͤngeres Zuſam- menſeyn, das er ſelbſt ſo ſehr gewuͤnſcht hatte, nun gaͤnzlich ver- eitelt war. Nie haben wir ihn anders, als mit geruͤhrtem Her- zen und großer Hochachtung von dieſem Freunde ſprechen hoͤren.
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die aͤlteſte, „ſolche fromme Eltern und Vorfahren gehabt zu ha-
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die aͤlteſte ſchrieb dieſer: „Wo ſind nun, wenn ich zu Euch
„komme, die Edlen, denen wir alles zu danken haben? wo der
„Engelsvater, bei deſſen Anblick man vor Ehrfurcht niederſinken
„mochte, in deſſen Naͤhe man ſo tief das Gluͤck fuͤhlte, ſein Kind
„zu ſeyn? Ach, und die reine, liebe Mutter mit ihrer Sorge
„und Zaͤrtlichkeit! Die leidende Engelsſeele! wo ſoll ich ſie ſuchen?
Daß in den letztern Baͤnden der Stillingsgeſchichte das Per-
ſoͤnliche, welches ſeine Familie betrifft, weggeblieben waͤre, moͤch-
ten wir wohl wuͤnſchen; auch moͤchte ſonſt manches auf einem
fremden Standpunkte zu kleinlich erſcheinen. Man bedenke aber,
daß dem Verfaſſer nichts zu klein war, was ihm zum Bekennt-
niß ſeines Glaubens an die allergenaueſte Vorſehung diente, weil
er wohl wußte, wie in ihrem Gange uͤberhaupt nichts klein ſey.
Und wer mag jene Kindlichkeit und Offenheit tadeln, welche nur in
die ſpaͤtern Verhaͤltniſſe nicht mehr paſſen wollte, aber deſto mehr
den klaſſiſchen Werth der erſten Theile jenes Buches erhoͤht! Es
war des großen Dichters unſerer Nation nicht unwerth, daß er
das Werk zuerſt zum Druck befoͤrdert hat. Auch wir Kinder
Stillings danken Goͤthe dafuͤr, wie wir uͤberhaupt ſein edles
Herz in allem erkennen, was er ſchon als akademiſcher Freund
unſerem Vater geweſen, wofuͤr unſer Dankgefuͤhl nie erſterben
wird. In ihrer Richtung waren dieſe beiden Geiſter ſehr ver-
ſchieden, aber ſie blieben auch im Alter, und gewiſſermaßen im
Stillen, Freunde. Goͤthe hat ſich in dem Buche, das aus ſei-
nem Leben erzaͤhlt, auf eine Art uͤber Jung erklaͤrt, welche die-
ſen ungemein gefreut hat; und geruͤhrt hat er ihn durch den Be-
ſuch, welchen er dem alten Freund noch im Jahre 1815 in
Karlsruhe abſtattete. Leider mußte durch eine ungluͤckliche Fuͤ-
gung kleiner aͤußerer Umſtaͤnde unſer Vater gerade an dieſem
Tage wegreiſen, er ſprach nach der langen Reihe von Jahren
den Jugendfreund kaum eine halbe Stunde. Es war dem Va-
ter und den Seinigen ſehr ſchmerzlich, daß ein laͤngeres Zuſam-
menſeyn, das er ſelbſt ſo ſehr gewuͤnſcht hatte, nun gaͤnzlich ver-
eitelt war. Nie haben wir ihn anders, als mit geruͤhrtem Her-
zen und großer Hochachtung von dieſem Freunde ſprechen hoͤren.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/673>, abgerufen am 22.11.2024.
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