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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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ging, woran sonst gerade solche Frauen von zärterem Sinne leicht
scheitern, indem sie in Schwersinn versinken, oder ein mürrisches
Wesen annehmen, oder, welches oft noch schlimmer wirkt, durch
stumme Klagen sich und die Ihrigen nur quälen. Man bedenke,
wenn ein Stilling eine solche Gattin gehabt hätte! Wenigstens
wäre er vor der Zeit gestorben. Aber er hatte sich auch die treue
Gehülfin dadurch geistig erworben, daß er nicht etwa ihre Schwä-
chen allzu nachgiebig ertrug, sondern bei ihrem mehr als 20jäh-
rigen Körperleiden sie mit Gründen des Christenthums kräftigte,
ihre Selbstverläugnung unterstützte, und so zu veredeln wußte,
daß sie als eine der edelsten Frauen anerkannt worden. Die
Seelenfreundschaft dieses Ehepaars war eine Vereinigung für die
Ewigkeit, und sie konnte sich für die Erde nicht schöner vollenden,
als daß sie bei der nur anscheinenden Trennung Hand in Hand in
jene Heimath hinübergingen, wie er selbst 27 Jahre vorher ahn-
dungsvoll als frommer Sänger an seinem Trauungstage gesun-
gen hatte. Nie werde ich auch vergessen, wie sich beide -- es
war ein Vierteljahr vor ihrem Tode -- über diesen gemeinsamen
Uebergang in die Ewigkeit unterhielten. Das war eine Heiter-
keit, womit sie darüber sprachen, wie sie wohl sonst von einer vor-
genommenen Reise redeten. Wir Kinder konnten dabei kaum
traurig werden; die lieben Eltern freuten sich auf die Reise, denn
sie wußten, daß der himmlische Vater sie abrufe.

Bei diesem christlichen Hausstande konnte es nicht am Segen
fehlen. Alles war in einem einfachen, aber wohlgeordneten Wohl-
stand, und mitten unter den Lebenssorgen wußten unsere Eltern
doch alles das sehr schicklich bei ihrer ausgebreiteten Bekanntschaft
und Gastfreundschaft zu beobachten, was diese erforderte. Die
Kinder erhielten alles, was zur guten Erziehung gehört; sie sind
nun fast alle versorgt, und die Eltern sind niemanden etwas
schuldig geblieben, was bezahlbar ist. Dank ihrer treuen Fürsorge!
Ja wir sind überzeugt, daß es kein Unrecht der Eltern ist, wenn
sie den Kindern kein Geld und Gut hinterlassen, sondern viel-
mehr oft ein großes Unrecht, wenn sie das für sie sammeln, was
den Götzendienst der Welt begünstigt. Möge der Segen dieser
Eltern so auf ihren Kindern ruhen, daß keines ihrer unwürdig
sey! "Sind wir doch so reich," schreibt die zweite Tochter an

ging, woran ſonſt gerade ſolche Frauen von zaͤrterem Sinne leicht
ſcheitern, indem ſie in Schwerſinn verſinken, oder ein muͤrriſches
Weſen annehmen, oder, welches oft noch ſchlimmer wirkt, durch
ſtumme Klagen ſich und die Ihrigen nur quaͤlen. Man bedenke,
wenn ein Stilling eine ſolche Gattin gehabt haͤtte! Wenigſtens
waͤre er vor der Zeit geſtorben. Aber er hatte ſich auch die treue
Gehuͤlfin dadurch geiſtig erworben, daß er nicht etwa ihre Schwaͤ-
chen allzu nachgiebig ertrug, ſondern bei ihrem mehr als 20jaͤh-
rigen Koͤrperleiden ſie mit Gruͤnden des Chriſtenthums kraͤftigte,
ihre Selbſtverlaͤugnung unterſtuͤtzte, und ſo zu veredeln wußte,
daß ſie als eine der edelſten Frauen anerkannt worden. Die
Seelenfreundſchaft dieſes Ehepaars war eine Vereinigung fuͤr die
Ewigkeit, und ſie konnte ſich fuͤr die Erde nicht ſchoͤner vollenden,
als daß ſie bei der nur anſcheinenden Trennung Hand in Hand in
jene Heimath hinuͤbergingen, wie er ſelbſt 27 Jahre vorher ahn-
dungsvoll als frommer Saͤnger an ſeinem Trauungstage geſun-
gen hatte. Nie werde ich auch vergeſſen, wie ſich beide — es
war ein Vierteljahr vor ihrem Tode — uͤber dieſen gemeinſamen
Uebergang in die Ewigkeit unterhielten. Das war eine Heiter-
keit, womit ſie daruͤber ſprachen, wie ſie wohl ſonſt von einer vor-
genommenen Reiſe redeten. Wir Kinder konnten dabei kaum
traurig werden; die lieben Eltern freuten ſich auf die Reiſe, denn
ſie wußten, daß der himmliſche Vater ſie abrufe.

Bei dieſem chriſtlichen Hausſtande konnte es nicht am Segen
fehlen. Alles war in einem einfachen, aber wohlgeordneten Wohl-
ſtand, und mitten unter den Lebensſorgen wußten unſere Eltern
doch alles das ſehr ſchicklich bei ihrer ausgebreiteten Bekanntſchaft
und Gaſtfreundſchaft zu beobachten, was dieſe erforderte. Die
Kinder erhielten alles, was zur guten Erziehung gehoͤrt; ſie ſind
nun faſt alle verſorgt, und die Eltern ſind niemanden etwas
ſchuldig geblieben, was bezahlbar iſt. Dank ihrer treuen Fuͤrſorge!
Ja wir ſind uͤberzeugt, daß es kein Unrecht der Eltern iſt, wenn
ſie den Kindern kein Geld und Gut hinterlaſſen, ſondern viel-
mehr oft ein großes Unrecht, wenn ſie das fuͤr ſie ſammeln, was
den Goͤtzendienſt der Welt beguͤnſtigt. Moͤge der Segen dieſer
Eltern ſo auf ihren Kindern ruhen, daß keines ihrer unwuͤrdig
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[664/0672] ging, woran ſonſt gerade ſolche Frauen von zaͤrterem Sinne leicht ſcheitern, indem ſie in Schwerſinn verſinken, oder ein muͤrriſches Weſen annehmen, oder, welches oft noch ſchlimmer wirkt, durch ſtumme Klagen ſich und die Ihrigen nur quaͤlen. Man bedenke, wenn ein Stilling eine ſolche Gattin gehabt haͤtte! Wenigſtens waͤre er vor der Zeit geſtorben. Aber er hatte ſich auch die treue Gehuͤlfin dadurch geiſtig erworben, daß er nicht etwa ihre Schwaͤ- chen allzu nachgiebig ertrug, ſondern bei ihrem mehr als 20jaͤh- rigen Koͤrperleiden ſie mit Gruͤnden des Chriſtenthums kraͤftigte, ihre Selbſtverlaͤugnung unterſtuͤtzte, und ſo zu veredeln wußte, daß ſie als eine der edelſten Frauen anerkannt worden. Die Seelenfreundſchaft dieſes Ehepaars war eine Vereinigung fuͤr die Ewigkeit, und ſie konnte ſich fuͤr die Erde nicht ſchoͤner vollenden, als daß ſie bei der nur anſcheinenden Trennung Hand in Hand in jene Heimath hinuͤbergingen, wie er ſelbſt 27 Jahre vorher ahn- dungsvoll als frommer Saͤnger an ſeinem Trauungstage geſun- gen hatte. Nie werde ich auch vergeſſen, wie ſich beide — es war ein Vierteljahr vor ihrem Tode — uͤber dieſen gemeinſamen Uebergang in die Ewigkeit unterhielten. Das war eine Heiter- keit, womit ſie daruͤber ſprachen, wie ſie wohl ſonſt von einer vor- genommenen Reiſe redeten. Wir Kinder konnten dabei kaum traurig werden; die lieben Eltern freuten ſich auf die Reiſe, denn ſie wußten, daß der himmliſche Vater ſie abrufe. Bei dieſem chriſtlichen Hausſtande konnte es nicht am Segen fehlen. Alles war in einem einfachen, aber wohlgeordneten Wohl- ſtand, und mitten unter den Lebensſorgen wußten unſere Eltern doch alles das ſehr ſchicklich bei ihrer ausgebreiteten Bekanntſchaft und Gaſtfreundſchaft zu beobachten, was dieſe erforderte. Die Kinder erhielten alles, was zur guten Erziehung gehoͤrt; ſie ſind nun faſt alle verſorgt, und die Eltern ſind niemanden etwas ſchuldig geblieben, was bezahlbar iſt. Dank ihrer treuen Fuͤrſorge! Ja wir ſind uͤberzeugt, daß es kein Unrecht der Eltern iſt, wenn ſie den Kindern kein Geld und Gut hinterlaſſen, ſondern viel- mehr oft ein großes Unrecht, wenn ſie das fuͤr ſie ſammeln, was den Goͤtzendienſt der Welt beguͤnſtigt. Moͤge der Segen dieſer Eltern ſo auf ihren Kindern ruhen, daß keines ihrer unwuͤrdig ſey! „Sind wir doch ſo reich,“ ſchreibt die zweite Tochter an

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/672>, abgerufen am 22.11.2024.