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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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ganz verdiente bekannt zu seyn. Denn auch in seinem Hause
waltete der Geist dieses gottseligen, aber kämpfenden Hausvaters,
und nicht blos sein Arbeitszimmer war einem stillen Tempel zu
vergleichen, sondern alle Personen, die zu seinem Hauswesen ge-
hörten, fühlten sich durch eine Liebe höherer Art vereinigt. Da
war nichts weniger als Kopfhängerei, durchaus kein frömmeln-
des Wesen; vielmehr sah der Vater gerne alles munter um
sich her, und war, trotz seiner Anwandlungen zur Schwermuth,
doch leicht zum Frohsinne gestimmt, ja er wußte oft selbst zur
Freude zu stimmen. So war es an seinem Tische, so war es
in den häufigen Abendgesellschaften, die sich bei ihm einfanden,
und wo unter jung und alt die schönste gesellige Freude herrschte;
noch in seinem hohen Alter war er so seelenvergnügt, wenn er
den tanzenden Reihen seiner Enkel und anderer jungen Leute zusah,
wie er es war, wenn er die Seinigen musiciren hörte, oder selbst
am Klavier einen christlichen Choral mit ihnen anstimmte. Ein
liebevoller Geist war es, der jeden in diesem Hause anwehte,
wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, fesselte,
welcher daher auch auf das Gesinde überging. Man hörte da
nie ein unfreundliches Wort, und die Mägde dienten mit einer
Liebe und Treue, als wären sie Töchter des Hauses; man sah
recht, wie es nur eines christlichen Hauswesens bedarf, um den
vielen Klagen über das Gesinde zu begegnen, und dasselbe nicht
etwa zu überbilden, sondern in seinem Dienen zu veredeln.

Derselbe christliche Sinn war es auch, welcher unsern Vater
in der Wahl seiner Gattinnen so glücklich geleitet hatte, daß er
mit jeder in einer wahrhaft christlichen Ehe lebte. Seine erste
Gattin, die fromme Christine, welche ein frühes Opfer ihrer häus-
lichen Thätigkeit in jener bedrängten Lage geworden war, nannte
ihn nur "ihren Engel und ihr Alles." Seine zweite Gattin, die
geistreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen
Gemüth eröffnete, und welche, während sie seine ökonomischen
Umstände verbessern konnte, seinen religiösen Sinn gleichsam in
die Welt einführte, und sein ganzes Leben bereicherte und ver-
schönerte, verehrte in ihm zugleich den Freund für den Himmel.
Und endlich seine Lebens- und Sterbensgefährtin Elise setzte wäh-

Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 43

ganz verdiente bekannt zu ſeyn. Denn auch in ſeinem Hauſe
waltete der Geiſt dieſes gottſeligen, aber kaͤmpfenden Hausvaters,
und nicht blos ſein Arbeitszimmer war einem ſtillen Tempel zu
vergleichen, ſondern alle Perſonen, die zu ſeinem Hausweſen ge-
hoͤrten, fuͤhlten ſich durch eine Liebe hoͤherer Art vereinigt. Da
war nichts weniger als Kopfhaͤngerei, durchaus kein froͤmmeln-
des Weſen; vielmehr ſah der Vater gerne alles munter um
ſich her, und war, trotz ſeiner Anwandlungen zur Schwermuth,
doch leicht zum Frohſinne geſtimmt, ja er wußte oft ſelbſt zur
Freude zu ſtimmen. So war es an ſeinem Tiſche, ſo war es
in den haͤufigen Abendgeſellſchaften, die ſich bei ihm einfanden,
und wo unter jung und alt die ſchoͤnſte geſellige Freude herrſchte;
noch in ſeinem hohen Alter war er ſo ſeelenvergnuͤgt, wenn er
den tanzenden Reihen ſeiner Enkel und anderer jungen Leute zuſah,
wie er es war, wenn er die Seinigen muſiciren hoͤrte, oder ſelbſt
am Klavier einen chriſtlichen Choral mit ihnen anſtimmte. Ein
liebevoller Geiſt war es, der jeden in dieſem Hauſe anwehte,
wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, feſſelte,
welcher daher auch auf das Geſinde uͤberging. Man hoͤrte da
nie ein unfreundliches Wort, und die Maͤgde dienten mit einer
Liebe und Treue, als waͤren ſie Toͤchter des Hauſes; man ſah
recht, wie es nur eines chriſtlichen Hausweſens bedarf, um den
vielen Klagen uͤber das Geſinde zu begegnen, und daſſelbe nicht
etwa zu uͤberbilden, ſondern in ſeinem Dienen zu veredeln.

Derſelbe chriſtliche Sinn war es auch, welcher unſern Vater
in der Wahl ſeiner Gattinnen ſo gluͤcklich geleitet hatte, daß er
mit jeder in einer wahrhaft chriſtlichen Ehe lebte. Seine erſte
Gattin, die fromme Chriſtine, welche ein fruͤhes Opfer ihrer haͤus-
lichen Thaͤtigkeit in jener bedraͤngten Lage geworden war, nannte
ihn nur „ihren Engel und ihr Alles.“ Seine zweite Gattin, die
geiſtreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen
Gemuͤth eroͤffnete, und welche, waͤhrend ſie ſeine oͤkonomiſchen
Umſtaͤnde verbeſſern konnte, ſeinen religioͤſen Sinn gleichſam in
die Welt einfuͤhrte, und ſein ganzes Leben bereicherte und ver-
ſchoͤnerte, verehrte in ihm zugleich den Freund fuͤr den Himmel.
Und endlich ſeine Lebens- und Sterbensgefaͤhrtin Eliſe ſetzte waͤh-

Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 43
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[661/0669] ganz verdiente bekannt zu ſeyn. Denn auch in ſeinem Hauſe waltete der Geiſt dieſes gottſeligen, aber kaͤmpfenden Hausvaters, und nicht blos ſein Arbeitszimmer war einem ſtillen Tempel zu vergleichen, ſondern alle Perſonen, die zu ſeinem Hausweſen ge- hoͤrten, fuͤhlten ſich durch eine Liebe hoͤherer Art vereinigt. Da war nichts weniger als Kopfhaͤngerei, durchaus kein froͤmmeln- des Weſen; vielmehr ſah der Vater gerne alles munter um ſich her, und war, trotz ſeiner Anwandlungen zur Schwermuth, doch leicht zum Frohſinne geſtimmt, ja er wußte oft ſelbſt zur Freude zu ſtimmen. So war es an ſeinem Tiſche, ſo war es in den haͤufigen Abendgeſellſchaften, die ſich bei ihm einfanden, und wo unter jung und alt die ſchoͤnſte geſellige Freude herrſchte; noch in ſeinem hohen Alter war er ſo ſeelenvergnuͤgt, wenn er den tanzenden Reihen ſeiner Enkel und anderer jungen Leute zuſah, wie er es war, wenn er die Seinigen muſiciren hoͤrte, oder ſelbſt am Klavier einen chriſtlichen Choral mit ihnen anſtimmte. Ein liebevoller Geiſt war es, der jeden in dieſem Hauſe anwehte, wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, feſſelte, welcher daher auch auf das Geſinde uͤberging. Man hoͤrte da nie ein unfreundliches Wort, und die Maͤgde dienten mit einer Liebe und Treue, als waͤren ſie Toͤchter des Hauſes; man ſah recht, wie es nur eines chriſtlichen Hausweſens bedarf, um den vielen Klagen uͤber das Geſinde zu begegnen, und daſſelbe nicht etwa zu uͤberbilden, ſondern in ſeinem Dienen zu veredeln. Derſelbe chriſtliche Sinn war es auch, welcher unſern Vater in der Wahl ſeiner Gattinnen ſo gluͤcklich geleitet hatte, daß er mit jeder in einer wahrhaft chriſtlichen Ehe lebte. Seine erſte Gattin, die fromme Chriſtine, welche ein fruͤhes Opfer ihrer haͤus- lichen Thaͤtigkeit in jener bedraͤngten Lage geworden war, nannte ihn nur „ihren Engel und ihr Alles.“ Seine zweite Gattin, die geiſtreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen Gemuͤth eroͤffnete, und welche, waͤhrend ſie ſeine oͤkonomiſchen Umſtaͤnde verbeſſern konnte, ſeinen religioͤſen Sinn gleichſam in die Welt einfuͤhrte, und ſein ganzes Leben bereicherte und ver- ſchoͤnerte, verehrte in ihm zugleich den Freund fuͤr den Himmel. Und endlich ſeine Lebens- und Sterbensgefaͤhrtin Eliſe ſetzte waͤh- Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 43

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/669>, abgerufen am 22.11.2024.