ganz verdiente bekannt zu seyn. Denn auch in seinem Hause waltete der Geist dieses gottseligen, aber kämpfenden Hausvaters, und nicht blos sein Arbeitszimmer war einem stillen Tempel zu vergleichen, sondern alle Personen, die zu seinem Hauswesen ge- hörten, fühlten sich durch eine Liebe höherer Art vereinigt. Da war nichts weniger als Kopfhängerei, durchaus kein frömmeln- des Wesen; vielmehr sah der Vater gerne alles munter um sich her, und war, trotz seiner Anwandlungen zur Schwermuth, doch leicht zum Frohsinne gestimmt, ja er wußte oft selbst zur Freude zu stimmen. So war es an seinem Tische, so war es in den häufigen Abendgesellschaften, die sich bei ihm einfanden, und wo unter jung und alt die schönste gesellige Freude herrschte; noch in seinem hohen Alter war er so seelenvergnügt, wenn er den tanzenden Reihen seiner Enkel und anderer jungen Leute zusah, wie er es war, wenn er die Seinigen musiciren hörte, oder selbst am Klavier einen christlichen Choral mit ihnen anstimmte. Ein liebevoller Geist war es, der jeden in diesem Hause anwehte, wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, fesselte, welcher daher auch auf das Gesinde überging. Man hörte da nie ein unfreundliches Wort, und die Mägde dienten mit einer Liebe und Treue, als wären sie Töchter des Hauses; man sah recht, wie es nur eines christlichen Hauswesens bedarf, um den vielen Klagen über das Gesinde zu begegnen, und dasselbe nicht etwa zu überbilden, sondern in seinem Dienen zu veredeln.
Derselbe christliche Sinn war es auch, welcher unsern Vater in der Wahl seiner Gattinnen so glücklich geleitet hatte, daß er mit jeder in einer wahrhaft christlichen Ehe lebte. Seine erste Gattin, die fromme Christine, welche ein frühes Opfer ihrer häus- lichen Thätigkeit in jener bedrängten Lage geworden war, nannte ihn nur "ihren Engel und ihr Alles." Seine zweite Gattin, die geistreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen Gemüth eröffnete, und welche, während sie seine ökonomischen Umstände verbessern konnte, seinen religiösen Sinn gleichsam in die Welt einführte, und sein ganzes Leben bereicherte und ver- schönerte, verehrte in ihm zugleich den Freund für den Himmel. Und endlich seine Lebens- und Sterbensgefährtin Elise setzte wäh-
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 43
ganz verdiente bekannt zu ſeyn. Denn auch in ſeinem Hauſe waltete der Geiſt dieſes gottſeligen, aber kaͤmpfenden Hausvaters, und nicht blos ſein Arbeitszimmer war einem ſtillen Tempel zu vergleichen, ſondern alle Perſonen, die zu ſeinem Hausweſen ge- hoͤrten, fuͤhlten ſich durch eine Liebe hoͤherer Art vereinigt. Da war nichts weniger als Kopfhaͤngerei, durchaus kein froͤmmeln- des Weſen; vielmehr ſah der Vater gerne alles munter um ſich her, und war, trotz ſeiner Anwandlungen zur Schwermuth, doch leicht zum Frohſinne geſtimmt, ja er wußte oft ſelbſt zur Freude zu ſtimmen. So war es an ſeinem Tiſche, ſo war es in den haͤufigen Abendgeſellſchaften, die ſich bei ihm einfanden, und wo unter jung und alt die ſchoͤnſte geſellige Freude herrſchte; noch in ſeinem hohen Alter war er ſo ſeelenvergnuͤgt, wenn er den tanzenden Reihen ſeiner Enkel und anderer jungen Leute zuſah, wie er es war, wenn er die Seinigen muſiciren hoͤrte, oder ſelbſt am Klavier einen chriſtlichen Choral mit ihnen anſtimmte. Ein liebevoller Geiſt war es, der jeden in dieſem Hauſe anwehte, wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, feſſelte, welcher daher auch auf das Geſinde uͤberging. Man hoͤrte da nie ein unfreundliches Wort, und die Maͤgde dienten mit einer Liebe und Treue, als waͤren ſie Toͤchter des Hauſes; man ſah recht, wie es nur eines chriſtlichen Hausweſens bedarf, um den vielen Klagen uͤber das Geſinde zu begegnen, und daſſelbe nicht etwa zu uͤberbilden, ſondern in ſeinem Dienen zu veredeln.
Derſelbe chriſtliche Sinn war es auch, welcher unſern Vater in der Wahl ſeiner Gattinnen ſo gluͤcklich geleitet hatte, daß er mit jeder in einer wahrhaft chriſtlichen Ehe lebte. Seine erſte Gattin, die fromme Chriſtine, welche ein fruͤhes Opfer ihrer haͤus- lichen Thaͤtigkeit in jener bedraͤngten Lage geworden war, nannte ihn nur „ihren Engel und ihr Alles.“ Seine zweite Gattin, die geiſtreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen Gemuͤth eroͤffnete, und welche, waͤhrend ſie ſeine oͤkonomiſchen Umſtaͤnde verbeſſern konnte, ſeinen religioͤſen Sinn gleichſam in die Welt einfuͤhrte, und ſein ganzes Leben bereicherte und ver- ſchoͤnerte, verehrte in ihm zugleich den Freund fuͤr den Himmel. Und endlich ſeine Lebens- und Sterbensgefaͤhrtin Eliſe ſetzte waͤh-
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 43
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0669"n="661"/>
ganz verdiente bekannt zu ſeyn. Denn auch in ſeinem Hauſe<lb/>
waltete der Geiſt dieſes gottſeligen, aber kaͤmpfenden Hausvaters,<lb/>
und nicht blos ſein Arbeitszimmer war einem ſtillen Tempel zu<lb/>
vergleichen, ſondern alle Perſonen, die zu ſeinem Hausweſen ge-<lb/>
hoͤrten, fuͤhlten ſich durch eine Liebe hoͤherer Art vereinigt. Da<lb/>
war nichts weniger als Kopfhaͤngerei, durchaus kein froͤmmeln-<lb/>
des Weſen; vielmehr ſah der Vater gerne <hirendition="#g">alles</hi> munter um<lb/>ſich her, und war, trotz ſeiner Anwandlungen zur Schwermuth,<lb/>
doch leicht zum Frohſinne geſtimmt, ja er wußte oft ſelbſt zur<lb/>
Freude zu ſtimmen. So war es an ſeinem Tiſche, ſo war es<lb/>
in den haͤufigen Abendgeſellſchaften, die ſich bei ihm einfanden,<lb/>
und wo unter jung und alt die ſchoͤnſte geſellige Freude herrſchte;<lb/>
noch in ſeinem hohen Alter war er ſo ſeelenvergnuͤgt, wenn er<lb/>
den tanzenden Reihen ſeiner Enkel und anderer jungen Leute zuſah,<lb/>
wie er es war, wenn er die Seinigen muſiciren hoͤrte, oder ſelbſt<lb/>
am Klavier einen chriſtlichen Choral mit ihnen anſtimmte. Ein<lb/>
liebevoller Geiſt war es, der jeden in dieſem Hauſe anwehte,<lb/>
wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, feſſelte,<lb/>
welcher daher auch auf das Geſinde uͤberging. Man hoͤrte da<lb/>
nie ein unfreundliches Wort, und die Maͤgde dienten mit einer<lb/>
Liebe und Treue, als waͤren ſie Toͤchter des Hauſes; man ſah<lb/>
recht, wie es nur eines chriſtlichen Hausweſens bedarf, um den<lb/>
vielen Klagen uͤber das Geſinde zu begegnen, und daſſelbe nicht<lb/>
etwa zu uͤberbilden, ſondern in ſeinem Dienen zu veredeln.</p><lb/><p>Derſelbe chriſtliche Sinn war es auch, welcher unſern Vater<lb/>
in der Wahl ſeiner Gattinnen ſo gluͤcklich geleitet hatte, daß er<lb/>
mit jeder in einer wahrhaft chriſtlichen Ehe lebte. Seine erſte<lb/>
Gattin, die fromme Chriſtine, welche ein fruͤhes Opfer ihrer haͤus-<lb/>
lichen Thaͤtigkeit in jener bedraͤngten Lage geworden war, nannte<lb/>
ihn nur „ihren Engel und ihr Alles.“ Seine zweite Gattin, die<lb/>
geiſtreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen<lb/>
Gemuͤth eroͤffnete, und welche, waͤhrend ſie ſeine oͤkonomiſchen<lb/>
Umſtaͤnde verbeſſern konnte, ſeinen religioͤſen Sinn gleichſam in<lb/>
die Welt einfuͤhrte, und ſein ganzes Leben bereicherte und ver-<lb/>ſchoͤnerte, verehrte in ihm zugleich den Freund fuͤr den Himmel.<lb/>
Und endlich ſeine Lebens- und Sterbensgefaͤhrtin Eliſe ſetzte waͤh-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Stillings ſämmtl. Schriften. <hirendition="#aq">I.</hi> Band. 43</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[661/0669]
ganz verdiente bekannt zu ſeyn. Denn auch in ſeinem Hauſe
waltete der Geiſt dieſes gottſeligen, aber kaͤmpfenden Hausvaters,
und nicht blos ſein Arbeitszimmer war einem ſtillen Tempel zu
vergleichen, ſondern alle Perſonen, die zu ſeinem Hausweſen ge-
hoͤrten, fuͤhlten ſich durch eine Liebe hoͤherer Art vereinigt. Da
war nichts weniger als Kopfhaͤngerei, durchaus kein froͤmmeln-
des Weſen; vielmehr ſah der Vater gerne alles munter um
ſich her, und war, trotz ſeiner Anwandlungen zur Schwermuth,
doch leicht zum Frohſinne geſtimmt, ja er wußte oft ſelbſt zur
Freude zu ſtimmen. So war es an ſeinem Tiſche, ſo war es
in den haͤufigen Abendgeſellſchaften, die ſich bei ihm einfanden,
und wo unter jung und alt die ſchoͤnſte geſellige Freude herrſchte;
noch in ſeinem hohen Alter war er ſo ſeelenvergnuͤgt, wenn er
den tanzenden Reihen ſeiner Enkel und anderer jungen Leute zuſah,
wie er es war, wenn er die Seinigen muſiciren hoͤrte, oder ſelbſt
am Klavier einen chriſtlichen Choral mit ihnen anſtimmte. Ein
liebevoller Geiſt war es, der jeden in dieſem Hauſe anwehte,
wer nur eintrat, und welcher die, welche darin lebten, feſſelte,
welcher daher auch auf das Geſinde uͤberging. Man hoͤrte da
nie ein unfreundliches Wort, und die Maͤgde dienten mit einer
Liebe und Treue, als waͤren ſie Toͤchter des Hauſes; man ſah
recht, wie es nur eines chriſtlichen Hausweſens bedarf, um den
vielen Klagen uͤber das Geſinde zu begegnen, und daſſelbe nicht
etwa zu uͤberbilden, ſondern in ſeinem Dienen zu veredeln.
Derſelbe chriſtliche Sinn war es auch, welcher unſern Vater
in der Wahl ſeiner Gattinnen ſo gluͤcklich geleitet hatte, daß er
mit jeder in einer wahrhaft chriſtlichen Ehe lebte. Seine erſte
Gattin, die fromme Chriſtine, welche ein fruͤhes Opfer ihrer haͤus-
lichen Thaͤtigkeit in jener bedraͤngten Lage geworden war, nannte
ihn nur „ihren Engel und ihr Alles.“ Seine zweite Gattin, die
geiſtreiche Selma, welche ihm eine neue Welt in ihrem herrlichen
Gemuͤth eroͤffnete, und welche, waͤhrend ſie ſeine oͤkonomiſchen
Umſtaͤnde verbeſſern konnte, ſeinen religioͤſen Sinn gleichſam in
die Welt einfuͤhrte, und ſein ganzes Leben bereicherte und ver-
ſchoͤnerte, verehrte in ihm zugleich den Freund fuͤr den Himmel.
Und endlich ſeine Lebens- und Sterbensgefaͤhrtin Eliſe ſetzte waͤh-
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 43
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/669>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.