ihm mit Recht hochgeachteten und geliebten Gesellschaft angehö- rig. Sein Christus war der Welterlöser, für welchen er jeden Augenblick in den Tod gegangen wäre, wie man für Vater, Freund und Herrn in den Tod geht; aber er stand ihm so vor, wie gerade nicht diesem oder jenem andern Christusjünger, und so kann man auch in dieser Hinsicht sagen, Christus hatte in ihm eine Gestalt gewonnen.
War jemand geeignet, Sectenstifter zu werden, so war es Jung, und manchmal haben ihm Schwärmer so was angesonnen, weil sie in seiner Geistesmacht viel für sich hofften, aber auch viel wider sich fürchteten. Aber nur zum letzten hatten sie Grund, denn er wies alle ab, sobald er sie als Schwärmer erkannte; auch vermochten sie etwa nur eine Zeit lang den arglosen Stil- ling zu täuschen. Oft entlarvte er sie, und dadurch zog er sich besonders in seinen jüngern Jahren Feindschaft und sogar Ver- folgung zu. Eins seiner frühern Bücher: Theobald oder die Schwärmer, das für die Kirchengeschichte der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wichtig ist, beweiset das sehr entschieden. Man muß staunen, wenn man die Kraft sieht, womit er sich auch durch jene Gefahren hindurchgekämpft hat, und daß er, so wie seinem einigen Herrn und Heiland, so auch seiner väterlichen Kirche treu verblieben, und das alles mit der freiesten Selbstbestimmung. Auch sein Werk: das Heimweh, legt dieses alles dar. Aber es ist recht zu bedauern, daß man gerade hierin den geistvollen Mann so gröblich mißverstanden hat. Wollte ja sogar böse Leumuth noch in neuern Zeiten ihm Secti- rerei schuld geben. Davon war er unendlich entfernt.
Mit gleichem Recht, oder vielmehr Unrecht, hätte man ihn des Indifferentismus zeihen können. Denn jeder glaubige Christ, der auch nicht seiner reformirten Confession zugehörte, war ihm ein guter Christ, und er befreundete sich mit ihm bis zur Brüder- lichkeit, sobald er sich nur in der Liebe zu Jesus Christus mit ihm verbunden fühlte. Wie manche edle Seele von der römisch- und von der griechisch-katholischen Kirchenpartei stand mit ihm im religiösen Herzensverein! Es gab auch Juden, die er für Gottes- fürchtige und von der Seligkeit nicht ausgeschlossen hielt, und denen er es nicht einmal ansann, das Christenthum anzunehmen.
ihm mit Recht hochgeachteten und geliebten Geſellſchaft angehoͤ- rig. Sein Chriſtus war der Welterloͤſer, fuͤr welchen er jeden Augenblick in den Tod gegangen waͤre, wie man fuͤr Vater, Freund und Herrn in den Tod geht; aber er ſtand ihm ſo vor, wie gerade nicht dieſem oder jenem andern Chriſtusjuͤnger, und ſo kann man auch in dieſer Hinſicht ſagen, Chriſtus hatte in ihm eine Geſtalt gewonnen.
War jemand geeignet, Sectenſtifter zu werden, ſo war es Jung, und manchmal haben ihm Schwaͤrmer ſo was angeſonnen, weil ſie in ſeiner Geiſtesmacht viel fuͤr ſich hofften, aber auch viel wider ſich fuͤrchteten. Aber nur zum letzten hatten ſie Grund, denn er wies alle ab, ſobald er ſie als Schwaͤrmer erkannte; auch vermochten ſie etwa nur eine Zeit lang den argloſen Stil- ling zu taͤuſchen. Oft entlarvte er ſie, und dadurch zog er ſich beſonders in ſeinen juͤngern Jahren Feindſchaft und ſogar Ver- folgung zu. Eins ſeiner fruͤhern Buͤcher: Theobald oder die Schwaͤrmer, das fuͤr die Kirchengeſchichte der zweiten Haͤlfte des achtzehnten Jahrhunderts wichtig iſt, beweiſet das ſehr entſchieden. Man muß ſtaunen, wenn man die Kraft ſieht, womit er ſich auch durch jene Gefahren hindurchgekaͤmpft hat, und daß er, ſo wie ſeinem einigen Herrn und Heiland, ſo auch ſeiner vaͤterlichen Kirche treu verblieben, und das alles mit der freieſten Selbſtbeſtimmung. Auch ſein Werk: das Heimweh, legt dieſes alles dar. Aber es iſt recht zu bedauern, daß man gerade hierin den geiſtvollen Mann ſo groͤblich mißverſtanden hat. Wollte ja ſogar boͤſe Leumuth noch in neuern Zeiten ihm Secti- rerei ſchuld geben. Davon war er unendlich entfernt.
Mit gleichem Recht, oder vielmehr Unrecht, haͤtte man ihn des Indifferentismus zeihen koͤnnen. Denn jeder glaubige Chriſt, der auch nicht ſeiner reformirten Confeſſion zugehoͤrte, war ihm ein guter Chriſt, und er befreundete ſich mit ihm bis zur Bruͤder- lichkeit, ſobald er ſich nur in der Liebe zu Jeſus Chriſtus mit ihm verbunden fuͤhlte. Wie manche edle Seele von der roͤmiſch- und von der griechiſch-katholiſchen Kirchenpartei ſtand mit ihm im religioͤſen Herzensverein! Es gab auch Juden, die er fuͤr Gottes- fuͤrchtige und von der Seligkeit nicht ausgeſchloſſen hielt, und denen er es nicht einmal anſann, das Chriſtenthum anzunehmen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0665"n="657"/>
ihm mit Recht hochgeachteten und geliebten Geſellſchaft angehoͤ-<lb/>
rig. <hirendition="#g">Sein</hi> Chriſtus war der Welterloͤſer, fuͤr welchen er jeden<lb/>
Augenblick in den Tod gegangen waͤre, wie man fuͤr Vater,<lb/>
Freund und Herrn in den Tod geht; aber er ſtand ihm ſo vor,<lb/>
wie gerade nicht dieſem oder jenem andern Chriſtusjuͤnger, und<lb/>ſo kann man auch in dieſer Hinſicht ſagen, <hirendition="#g">Chriſtus</hi> hatte in<lb/>
ihm eine Geſtalt gewonnen.</p><lb/><p>War jemand geeignet, Sectenſtifter zu werden, ſo war es Jung,<lb/>
und manchmal haben ihm Schwaͤrmer ſo was angeſonnen, weil<lb/>ſie in ſeiner Geiſtesmacht viel fuͤr ſich hofften, aber auch viel<lb/>
wider ſich fuͤrchteten. Aber nur zum letzten hatten ſie Grund,<lb/>
denn er wies alle ab, ſobald er ſie als Schwaͤrmer erkannte;<lb/>
auch vermochten ſie etwa nur eine Zeit lang den argloſen Stil-<lb/>
ling zu taͤuſchen. Oft entlarvte er ſie, und dadurch zog er ſich<lb/>
beſonders in ſeinen juͤngern Jahren Feindſchaft und ſogar Ver-<lb/>
folgung zu. Eins ſeiner fruͤhern Buͤcher: <hirendition="#g">Theobald oder<lb/>
die Schwaͤrmer</hi>, das fuͤr die Kirchengeſchichte der zweiten<lb/>
Haͤlfte des achtzehnten Jahrhunderts wichtig iſt, beweiſet das<lb/>ſehr entſchieden. Man muß ſtaunen, wenn man die Kraft ſieht,<lb/>
womit er ſich auch durch jene Gefahren hindurchgekaͤmpft hat,<lb/>
und daß er, ſo wie ſeinem einigen Herrn und Heiland, ſo auch<lb/>ſeiner vaͤterlichen Kirche treu verblieben, und das alles mit der<lb/>
freieſten Selbſtbeſtimmung. Auch ſein Werk: <hirendition="#g">das Heimweh</hi>,<lb/>
legt dieſes alles dar. Aber es iſt recht zu bedauern, daß man<lb/>
gerade hierin den geiſtvollen Mann ſo groͤblich mißverſtanden hat.<lb/>
Wollte ja ſogar boͤſe Leumuth noch in neuern Zeiten ihm Secti-<lb/>
rerei ſchuld geben. Davon war er unendlich entfernt.</p><lb/><p>Mit gleichem Recht, oder vielmehr Unrecht, haͤtte man ihn<lb/>
des Indifferentismus zeihen koͤnnen. Denn jeder glaubige Chriſt,<lb/>
der auch nicht ſeiner reformirten Confeſſion zugehoͤrte, war ihm<lb/>
ein guter Chriſt, und er befreundete ſich mit ihm bis zur Bruͤder-<lb/>
lichkeit, ſobald er ſich nur in der Liebe zu Jeſus Chriſtus mit ihm<lb/>
verbunden fuͤhlte. Wie manche edle Seele von der roͤmiſch- und<lb/>
von der griechiſch-katholiſchen Kirchenpartei ſtand mit ihm im<lb/>
religioͤſen Herzensverein! Es gab auch Juden, die er fuͤr Gottes-<lb/>
fuͤrchtige und von der Seligkeit nicht ausgeſchloſſen hielt, und<lb/>
denen er es nicht einmal anſann, das Chriſtenthum anzunehmen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[657/0665]
ihm mit Recht hochgeachteten und geliebten Geſellſchaft angehoͤ-
rig. Sein Chriſtus war der Welterloͤſer, fuͤr welchen er jeden
Augenblick in den Tod gegangen waͤre, wie man fuͤr Vater,
Freund und Herrn in den Tod geht; aber er ſtand ihm ſo vor,
wie gerade nicht dieſem oder jenem andern Chriſtusjuͤnger, und
ſo kann man auch in dieſer Hinſicht ſagen, Chriſtus hatte in
ihm eine Geſtalt gewonnen.
War jemand geeignet, Sectenſtifter zu werden, ſo war es Jung,
und manchmal haben ihm Schwaͤrmer ſo was angeſonnen, weil
ſie in ſeiner Geiſtesmacht viel fuͤr ſich hofften, aber auch viel
wider ſich fuͤrchteten. Aber nur zum letzten hatten ſie Grund,
denn er wies alle ab, ſobald er ſie als Schwaͤrmer erkannte;
auch vermochten ſie etwa nur eine Zeit lang den argloſen Stil-
ling zu taͤuſchen. Oft entlarvte er ſie, und dadurch zog er ſich
beſonders in ſeinen juͤngern Jahren Feindſchaft und ſogar Ver-
folgung zu. Eins ſeiner fruͤhern Buͤcher: Theobald oder
die Schwaͤrmer, das fuͤr die Kirchengeſchichte der zweiten
Haͤlfte des achtzehnten Jahrhunderts wichtig iſt, beweiſet das
ſehr entſchieden. Man muß ſtaunen, wenn man die Kraft ſieht,
womit er ſich auch durch jene Gefahren hindurchgekaͤmpft hat,
und daß er, ſo wie ſeinem einigen Herrn und Heiland, ſo auch
ſeiner vaͤterlichen Kirche treu verblieben, und das alles mit der
freieſten Selbſtbeſtimmung. Auch ſein Werk: das Heimweh,
legt dieſes alles dar. Aber es iſt recht zu bedauern, daß man
gerade hierin den geiſtvollen Mann ſo groͤblich mißverſtanden hat.
Wollte ja ſogar boͤſe Leumuth noch in neuern Zeiten ihm Secti-
rerei ſchuld geben. Davon war er unendlich entfernt.
Mit gleichem Recht, oder vielmehr Unrecht, haͤtte man ihn
des Indifferentismus zeihen koͤnnen. Denn jeder glaubige Chriſt,
der auch nicht ſeiner reformirten Confeſſion zugehoͤrte, war ihm
ein guter Chriſt, und er befreundete ſich mit ihm bis zur Bruͤder-
lichkeit, ſobald er ſich nur in der Liebe zu Jeſus Chriſtus mit ihm
verbunden fuͤhlte. Wie manche edle Seele von der roͤmiſch- und
von der griechiſch-katholiſchen Kirchenpartei ſtand mit ihm im
religioͤſen Herzensverein! Es gab auch Juden, die er fuͤr Gottes-
fuͤrchtige und von der Seligkeit nicht ausgeſchloſſen hielt, und
denen er es nicht einmal anſann, das Chriſtenthum anzunehmen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/665>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.