schen Worten bezeichneu, weil es so deutsch auch in seinen reli- giösen Gesprächen erschien. Diese Stärke seines reichen Geistes verlieh ihm jene ungemeine Beredtsamkeit, die schon in kleinen Un- terhaltungen seine Gesellschaft so angenehm machte, und wirklich die Herzen zu ihm hinriß. Denn Frömmigkeit, in Menschenliebe gebildet, zieht fast unwiderstehlich an. Es ist wohl mehr als ein- mal der Fall gewesen, daß Leute mit einem Vorurtheil gegen Jung, ja selbst mit einem zurückgehaltenen Spott in seine Nähe kamen, und mit welchen ganz andern Gefühlen verließen sie ihn! Manchem war da ein Licht aufgegangen, und mancher drückte ihm mit stiller Abbitte und redender Hochachtung die Hand. Hohe und Niedere, Menschen jeden Standes und jeder Stufe von Bil- dung erfreuten sich in seinem Umgang. Er war ein Kraftmann, und das Christenthum hatte in ihm gerade diejenige herrliche Ge- stalt gewonnen, wie sie diesem Manne entsprach.
Auch hatte Jung eine ganz eigene persönliche Zuneigung zu dem Erlöser. Ich bin überzeugt, daß in seiner Phantasie ein scharf gezeichnetes und lebendig ausgemaltes Bild von Christus stand, welches aus seinem innersten Wesen als sein höchstes Ideal hervorgegangen war, in welchem er die Gottheit schaute, und an den er sich im Gebete wandte; sein himmlischer Freund, mit welchem er in täglichem und in dem vertrautesten Umgange stand. Wie ein Evangelist Johannes das Bild aus der hellen Wirklich- keit in sich trug, so daß er wohl wußte, was er mit den Wor- ten sagte: "Und wir sahen seine Herrlichkeit als die Herrlichkeit "des eingebornen Sohnes vom Vater," und wie ein Apostel Pau- lus ihn so im Geiste schauete, daß er sagen konnte: "Ich lebe, "doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir;" so stand ein Nachbild in der Seele jenes ächten Christen, der seit der letz- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts in frommen Betrachtungen heran- gereift war, es stand in ihm nach seiner eigenthümlichen Beschaf- fenheit gestaltet. Der Gekreuzigte war es, auf den seine Seele immer hinschaute.
Eben diese sehr bestimmten Vorstellungen befreundeten ihn mit der Brüdergemeinde noch besonders, außer dem allgemeinen Wesen einer tiefchristlichen Denkart; doch befreundete es ihn auch nur, und er war weder äußerlich noch innerlich dieser von
ſchen Worten bezeichneu, weil es ſo deutſch auch in ſeinen reli- gioͤſen Geſpraͤchen erſchien. Dieſe Staͤrke ſeines reichen Geiſtes verlieh ihm jene ungemeine Beredtſamkeit, die ſchon in kleinen Un- terhaltungen ſeine Geſellſchaft ſo angenehm machte, und wirklich die Herzen zu ihm hinriß. Denn Froͤmmigkeit, in Menſchenliebe gebildet, zieht faſt unwiderſtehlich an. Es iſt wohl mehr als ein- mal der Fall geweſen, daß Leute mit einem Vorurtheil gegen Jung, ja ſelbſt mit einem zuruͤckgehaltenen Spott in ſeine Naͤhe kamen, und mit welchen ganz andern Gefuͤhlen verließen ſie ihn! Manchem war da ein Licht aufgegangen, und mancher druͤckte ihm mit ſtiller Abbitte und redender Hochachtung die Hand. Hohe und Niedere, Menſchen jeden Standes und jeder Stufe von Bil- dung erfreuten ſich in ſeinem Umgang. Er war ein Kraftmann, und das Chriſtenthum hatte in ihm gerade diejenige herrliche Ge- ſtalt gewonnen, wie ſie dieſem Manne entſprach.
Auch hatte Jung eine ganz eigene perſoͤnliche Zuneigung zu dem Erloͤſer. Ich bin uͤberzeugt, daß in ſeiner Phantaſie ein ſcharf gezeichnetes und lebendig ausgemaltes Bild von Chriſtus ſtand, welches aus ſeinem innerſten Weſen als ſein hoͤchſtes Ideal hervorgegangen war, in welchem er die Gottheit ſchaute, und an den er ſich im Gebete wandte; ſein himmliſcher Freund, mit welchem er in taͤglichem und in dem vertrauteſten Umgange ſtand. Wie ein Evangeliſt Johannes das Bild aus der hellen Wirklich- keit in ſich trug, ſo daß er wohl wußte, was er mit den Wor- ten ſagte: „Und wir ſahen ſeine Herrlichkeit als die Herrlichkeit „des eingebornen Sohnes vom Vater,“ und wie ein Apoſtel Pau- lus ihn ſo im Geiſte ſchauete, daß er ſagen konnte: „Ich lebe, „doch nun nicht ich, ſondern Chriſtus lebt in mir;“ ſo ſtand ein Nachbild in der Seele jenes aͤchten Chriſten, der ſeit der letz- ten Haͤlfte des 18. Jahrhunderts in frommen Betrachtungen heran- gereift war, es ſtand in ihm nach ſeiner eigenthuͤmlichen Beſchaf- fenheit geſtaltet. Der Gekreuzigte war es, auf den ſeine Seele immer hinſchaute.
Eben dieſe ſehr beſtimmten Vorſtellungen befreundeten ihn mit der Bruͤdergemeinde noch beſonders, außer dem allgemeinen Weſen einer tiefchriſtlichen Denkart; doch befreundete es ihn auch nur, und er war weder aͤußerlich noch innerlich dieſer von
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ſchen Worten bezeichneu, weil es ſo deutſch auch in ſeinen reli-
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verlieh ihm jene ungemeine Beredtſamkeit, die ſchon in kleinen Un-
terhaltungen ſeine Geſellſchaft ſo angenehm machte, und wirklich
die Herzen zu ihm hinriß. Denn Froͤmmigkeit, in Menſchenliebe
gebildet, zieht faſt unwiderſtehlich an. Es iſt wohl mehr als ein-
mal der Fall geweſen, daß Leute mit einem Vorurtheil gegen
Jung, ja ſelbſt mit einem zuruͤckgehaltenen Spott in ſeine Naͤhe
kamen, und mit welchen ganz andern Gefuͤhlen verließen ſie ihn!
Manchem war da ein Licht aufgegangen, und mancher druͤckte
ihm mit ſtiller Abbitte und redender Hochachtung die Hand. Hohe
und Niedere, Menſchen jeden Standes und jeder Stufe von Bil-
dung erfreuten ſich in ſeinem Umgang. Er war ein Kraftmann,
und das Chriſtenthum hatte in ihm gerade diejenige herrliche Ge-
ſtalt gewonnen, wie ſie dieſem Manne entſprach.
Auch hatte Jung eine ganz eigene perſoͤnliche Zuneigung zu
dem Erloͤſer. Ich bin uͤberzeugt, daß in ſeiner Phantaſie ein
ſcharf gezeichnetes und lebendig ausgemaltes Bild von Chriſtus
ſtand, welches aus ſeinem innerſten Weſen als ſein hoͤchſtes Ideal
hervorgegangen war, in welchem er die Gottheit ſchaute, und
an den er ſich im Gebete wandte; ſein himmliſcher Freund, mit
welchem er in taͤglichem und in dem vertrauteſten Umgange ſtand.
Wie ein Evangeliſt Johannes das Bild aus der hellen Wirklich-
keit in ſich trug, ſo daß er wohl wußte, was er mit den Wor-
ten ſagte: „Und wir ſahen ſeine Herrlichkeit als die Herrlichkeit
„des eingebornen Sohnes vom Vater,“ und wie ein Apoſtel Pau-
lus ihn ſo im Geiſte ſchauete, daß er ſagen konnte: „Ich lebe,
„doch nun nicht ich, ſondern Chriſtus lebt in mir;“ ſo ſtand
ein Nachbild in der Seele jenes aͤchten Chriſten, der ſeit der letz-
ten Haͤlfte des 18. Jahrhunderts in frommen Betrachtungen heran-
gereift war, es ſtand in ihm nach ſeiner eigenthuͤmlichen Beſchaf-
fenheit geſtaltet. Der Gekreuzigte war es, auf den ſeine
Seele immer hinſchaute.
Eben dieſe ſehr beſtimmten Vorſtellungen befreundeten ihn
mit der Bruͤdergemeinde noch beſonders, außer dem allgemeinen
Weſen einer tiefchriſtlichen Denkart; doch befreundete es ihn
auch nur, und er war weder aͤußerlich noch innerlich dieſer von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/664>, abgerufen am 25.11.2024.
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