aus freundlich hervordränge, und wie mir eben dieses das Ziel des Christenthums und der christlichen Erziehung zu seyn schiene; und ich habe mich gefreut, hierin im Allgemeinen seine Zustim- mung zu erhalten. Er war keinesweges den bekannten pietisti- schen Vorstellungen hold, ob er gleich in der Bekehrungsgeschichte einzelner Menschen solche Silberblicke der Entscheidung annahm. Doch ganz ist er nie in meine Idee eingegangen; die seinige neigte sich immer mehr einem strengen, als einem freundlichen Anfang des göttlichen Lebens zu. Daß er übrigens ein abgesagter Feind von Pharisäismus, und besonders von dem Dünkel der From- men oder vielmehr der Frömmlinge war, ist schon aus seinen Schriften, und selbst aus Verfolgungen, die er deßhalb in frü- heren Jahren zu erleiden hatte, bekannt. Das lag auch zu sehr in der Wahrheit seines ganzen Wesens. Niemand war mehr von jeder Art von Affection entfernt, als er. Seine Ueberzeu- gung, daß der Fromme es nur durch die richtigste Demuth sey, stand in seinem Innersten fest, und bewies sich, schon ohne sein Wissen, in allen seinen Aeußerungen. Gegen Niemand war er in seinen Forderungen so strenge, als gegen sich selbst; und machte ihm sein leises sittliches Gefühl auch nur einigen Vorwurf, so konnte ihn das so beunruhigen, daß er selbst körperlich dabei litt.
Solche Wahrheit und Lauterkeit war sein Wesen. Sein zu- versichtliches Beten, sein unermüdetes Arbeiten, sein unerschöpf- liches Wohlthun, sein geselliges Unterhalten, sein freundliches Entgegenkommen, alles war der Erguß seines Gott geweiheten Gemüths. An ihm konnte man so recht sehen, wie die Religion die ganze Natur des Menschen durchdringt und alle seine Eigen- thümlichkeiten aufsucht, um ihn ganz, so wie er gerade dieser Mensch ist, zu veredeln. Andere Anlagen, andere Erziehung, andere Verhältnisse: und die Frömmigkeit wo sie wahrhaft im Herzen ist, hat eine ganz andere Gestalt, und soll sie haben, als sie bei Jung-Stilling hatte. Sie war aus seinem Innersten er- wachsen und in sein Wesen eingeflossen, er war mit ihr ganz Eins. So entquoll auch alles, was er darin sprach und schrieb, frei aus dem Herzen, und sein Geist gab allem sein eigenes Gepräge. Naivetät, Originalität, Genialität, wie man dergleichen mit frem- den Worten zu nennen pflegt, möchte man hier gerne mit deut-
aus freundlich hervordraͤnge, und wie mir eben dieſes das Ziel des Chriſtenthums und der chriſtlichen Erziehung zu ſeyn ſchiene; und ich habe mich gefreut, hierin im Allgemeinen ſeine Zuſtim- mung zu erhalten. Er war keinesweges den bekannten pietiſti- ſchen Vorſtellungen hold, ob er gleich in der Bekehrungsgeſchichte einzelner Menſchen ſolche Silberblicke der Entſcheidung annahm. Doch ganz iſt er nie in meine Idee eingegangen; die ſeinige neigte ſich immer mehr einem ſtrengen, als einem freundlichen Anfang des goͤttlichen Lebens zu. Daß er uͤbrigens ein abgeſagter Feind von Phariſaͤismus, und beſonders von dem Duͤnkel der From- men oder vielmehr der Froͤmmlinge war, iſt ſchon aus ſeinen Schriften, und ſelbſt aus Verfolgungen, die er deßhalb in fruͤ- heren Jahren zu erleiden hatte, bekannt. Das lag auch zu ſehr in der Wahrheit ſeines ganzen Weſens. Niemand war mehr von jeder Art von Affection entfernt, als er. Seine Ueberzeu- gung, daß der Fromme es nur durch die richtigſte Demuth ſey, ſtand in ſeinem Innerſten feſt, und bewies ſich, ſchon ohne ſein Wiſſen, in allen ſeinen Aeußerungen. Gegen Niemand war er in ſeinen Forderungen ſo ſtrenge, als gegen ſich ſelbſt; und machte ihm ſein leiſes ſittliches Gefuͤhl auch nur einigen Vorwurf, ſo konnte ihn das ſo beunruhigen, daß er ſelbſt koͤrperlich dabei litt.
Solche Wahrheit und Lauterkeit war ſein Weſen. Sein zu- verſichtliches Beten, ſein unermuͤdetes Arbeiten, ſein unerſchoͤpf- liches Wohlthun, ſein geſelliges Unterhalten, ſein freundliches Entgegenkommen, alles war der Erguß ſeines Gott geweiheten Gemuͤths. An ihm konnte man ſo recht ſehen, wie die Religion die ganze Natur des Menſchen durchdringt und alle ſeine Eigen- thuͤmlichkeiten aufſucht, um ihn ganz, ſo wie er gerade dieſer Menſch iſt, zu veredeln. Andere Anlagen, andere Erziehung, andere Verhaͤltniſſe: und die Froͤmmigkeit wo ſie wahrhaft im Herzen iſt, hat eine ganz andere Geſtalt, und ſoll ſie haben, als ſie bei Jung-Stilling hatte. Sie war aus ſeinem Innerſten er- wachſen und in ſein Weſen eingefloſſen, er war mit ihr ganz Eins. So entquoll auch alles, was er darin ſprach und ſchrieb, frei aus dem Herzen, und ſein Geiſt gab allem ſein eigenes Gepraͤge. Naivetaͤt, Originalitaͤt, Genialitaͤt, wie man dergleichen mit frem- den Worten zu nennen pflegt, moͤchte man hier gerne mit deut-
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aus freundlich hervordraͤnge, und wie mir eben dieſes das Ziel
des Chriſtenthums und der chriſtlichen Erziehung zu ſeyn ſchiene;
und ich habe mich gefreut, hierin im Allgemeinen ſeine Zuſtim-
mung zu erhalten. Er war keinesweges den bekannten pietiſti-
ſchen Vorſtellungen hold, ob er gleich in der Bekehrungsgeſchichte
einzelner Menſchen ſolche Silberblicke der Entſcheidung annahm.
Doch ganz iſt er nie in meine Idee eingegangen; die ſeinige neigte
ſich immer mehr einem ſtrengen, als einem freundlichen Anfang
des goͤttlichen Lebens zu. Daß er uͤbrigens ein abgeſagter Feind
von Phariſaͤismus, und beſonders von dem Duͤnkel der From-
men oder vielmehr der Froͤmmlinge war, iſt ſchon aus ſeinen
Schriften, und ſelbſt aus Verfolgungen, die er deßhalb in fruͤ-
heren Jahren zu erleiden hatte, bekannt. Das lag auch zu ſehr
in der Wahrheit ſeines ganzen Weſens. Niemand war mehr
von jeder Art von Affection entfernt, als er. Seine Ueberzeu-
gung, daß der Fromme es nur durch die richtigſte Demuth ſey,
ſtand in ſeinem Innerſten feſt, und bewies ſich, ſchon ohne ſein
Wiſſen, in allen ſeinen Aeußerungen. Gegen Niemand war er
in ſeinen Forderungen ſo ſtrenge, als gegen ſich ſelbſt; und machte
ihm ſein leiſes ſittliches Gefuͤhl auch nur einigen Vorwurf, ſo
konnte ihn das ſo beunruhigen, daß er ſelbſt koͤrperlich dabei litt.
Solche Wahrheit und Lauterkeit war ſein Weſen. Sein zu-
verſichtliches Beten, ſein unermuͤdetes Arbeiten, ſein unerſchoͤpf-
liches Wohlthun, ſein geſelliges Unterhalten, ſein freundliches
Entgegenkommen, alles war der Erguß ſeines Gott geweiheten
Gemuͤths. An ihm konnte man ſo recht ſehen, wie die Religion
die ganze Natur des Menſchen durchdringt und alle ſeine Eigen-
thuͤmlichkeiten aufſucht, um ihn ganz, ſo wie er gerade dieſer
Menſch iſt, zu veredeln. Andere Anlagen, andere Erziehung,
andere Verhaͤltniſſe: und die Froͤmmigkeit wo ſie wahrhaft im
Herzen iſt, hat eine ganz andere Geſtalt, und ſoll ſie haben, als
ſie bei Jung-Stilling hatte. Sie war aus ſeinem Innerſten er-
wachſen und in ſein Weſen eingefloſſen, er war mit ihr ganz Eins.
So entquoll auch alles, was er darin ſprach und ſchrieb, frei
aus dem Herzen, und ſein Geiſt gab allem ſein eigenes Gepraͤge.
Naivetaͤt, Originalitaͤt, Genialitaͤt, wie man dergleichen mit frem-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/663>, abgerufen am 22.11.2024.
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