Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Lage, und was er sonst für nöthig hielt, vor, dann heftete er
seinen Blick auf die gegenüber hängend Madonna, und jetzt brach
sich sein Auge, und er schloß es mit aller Gewalt der leiblichen
und geistigen Stärke. Wir aber standen athemlos und hielten an
im Gebet; und der Krampf verzog schrecklich des Duldenden
Züge, Einmal, und zum zweiten Male schien es, als wollten
böse Geister seine edle Miene verrücken; aber siehe da! es tra-
ten die edlen Falten des erhabenen Antlitzes in ihre Würde und
Freundlichkeit zurück, die himmlische Reinheit stellte sich vollkomm-
ner dar unsern starrenden Augen; und als um die Mittagszeit
die Sonne am freundlichsten strahlte, stockte der Athem, und der
Christ hatte überwunden; der Glaube war sein Sieg.

Die scheidende Seele ließ alle ihre Freundlichkeit, Reinheit und
Würde der leiblichen Hülle zurück; diese blieb wie von Himmels-
strahlen verklärt. Christen vom niedersten bis zum höchsten welt-
lichen Stande weinten Thränen der tiefsten Wehmuth an dem
geliebten Leichname, und baten Gott um gleiche Förderung im
Glauben.

Auf Erden ist Trauer um den vollendeten Wohlthäter, Rath-
geber, Freund und Vater ohne Gleichen, -- Vater Stilling wird
bis in die fernsten Lande hin beweint: aber im Himmel ist unter
den Seligen Freude, und ewiger Lobgesang seiner Seele vor
Gott.


Lage, und was er ſonſt fuͤr noͤthig hielt, vor, dann heftete er
ſeinen Blick auf die gegenuͤber haͤngend Madonna, und jetzt brach
ſich ſein Auge, und er ſchloß es mit aller Gewalt der leiblichen
und geiſtigen Staͤrke. Wir aber ſtanden athemlos und hielten an
im Gebet; und der Krampf verzog ſchrecklich des Duldenden
Zuͤge, Einmal, und zum zweiten Male ſchien es, als wollten
boͤſe Geiſter ſeine edle Miene verruͤcken; aber ſiehe da! es tra-
ten die edlen Falten des erhabenen Antlitzes in ihre Wuͤrde und
Freundlichkeit zuruͤck, die himmliſche Reinheit ſtellte ſich vollkomm-
ner dar unſern ſtarrenden Augen; und als um die Mittagszeit
die Sonne am freundlichſten ſtrahlte, ſtockte der Athem, und der
Chriſt hatte uͤberwunden; der Glaube war ſein Sieg.

Die ſcheidende Seele ließ alle ihre Freundlichkeit, Reinheit und
Wuͤrde der leiblichen Huͤlle zuruͤck; dieſe blieb wie von Himmels-
ſtrahlen verklaͤrt. Chriſten vom niederſten bis zum hoͤchſten welt-
lichen Stande weinten Thraͤnen der tiefſten Wehmuth an dem
geliebten Leichname, und baten Gott um gleiche Foͤrderung im
Glauben.

Auf Erden iſt Trauer um den vollendeten Wohlthaͤter, Rath-
geber, Freund und Vater ohne Gleichen, — Vater Stilling wird
bis in die fernſten Lande hin beweint: aber im Himmel iſt unter
den Seligen Freude, und ewiger Lobgeſang ſeiner Seele vor
Gott.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0656" n="648"/>
Lage, und was er &#x017F;on&#x017F;t fu&#x0364;r no&#x0364;thig hielt, vor, dann heftete er<lb/>
&#x017F;einen Blick auf die gegenu&#x0364;ber ha&#x0364;ngend Madonna, und jetzt brach<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ein Auge, und er &#x017F;chloß es mit aller Gewalt der leiblichen<lb/>
und gei&#x017F;tigen Sta&#x0364;rke. Wir aber &#x017F;tanden athemlos und hielten an<lb/>
im Gebet; und der Krampf verzog &#x017F;chrecklich des Duldenden<lb/>
Zu&#x0364;ge, Einmal, und zum zweiten Male &#x017F;chien es, als wollten<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e Gei&#x017F;ter &#x017F;eine edle Miene verru&#x0364;cken; aber &#x017F;iehe da! es tra-<lb/>
ten die edlen Falten des erhabenen Antlitzes in ihre Wu&#x0364;rde und<lb/>
Freundlichkeit zuru&#x0364;ck, die himmli&#x017F;che Reinheit &#x017F;tellte &#x017F;ich vollkomm-<lb/>
ner dar un&#x017F;ern &#x017F;tarrenden Augen; und als um die Mittagszeit<lb/>
die Sonne am freundlich&#x017F;ten &#x017F;trahlte, &#x017F;tockte der Athem, und der<lb/>
Chri&#x017F;t hatte u&#x0364;berwunden; der Glaube war &#x017F;ein Sieg.</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;cheidende Seele ließ alle ihre Freundlichkeit, Reinheit und<lb/>
Wu&#x0364;rde der leiblichen Hu&#x0364;lle zuru&#x0364;ck; die&#x017F;e blieb wie von Himmels-<lb/>
&#x017F;trahlen verkla&#x0364;rt. Chri&#x017F;ten vom nieder&#x017F;ten bis zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten welt-<lb/>
lichen Stande weinten Thra&#x0364;nen der tief&#x017F;ten Wehmuth an dem<lb/>
geliebten Leichname, und baten Gott um gleiche Fo&#x0364;rderung im<lb/>
Glauben.</p><lb/>
        <p>Auf Erden i&#x017F;t Trauer um den vollendeten Wohltha&#x0364;ter, Rath-<lb/>
geber, Freund und Vater ohne Gleichen, &#x2014; Vater Stilling wird<lb/>
bis in die fern&#x017F;ten Lande hin beweint: aber im Himmel i&#x017F;t unter<lb/>
den Seligen Freude, und ewiger Lobge&#x017F;ang &#x017F;einer Seele vor<lb/>
Gott.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[648/0656] Lage, und was er ſonſt fuͤr noͤthig hielt, vor, dann heftete er ſeinen Blick auf die gegenuͤber haͤngend Madonna, und jetzt brach ſich ſein Auge, und er ſchloß es mit aller Gewalt der leiblichen und geiſtigen Staͤrke. Wir aber ſtanden athemlos und hielten an im Gebet; und der Krampf verzog ſchrecklich des Duldenden Zuͤge, Einmal, und zum zweiten Male ſchien es, als wollten boͤſe Geiſter ſeine edle Miene verruͤcken; aber ſiehe da! es tra- ten die edlen Falten des erhabenen Antlitzes in ihre Wuͤrde und Freundlichkeit zuruͤck, die himmliſche Reinheit ſtellte ſich vollkomm- ner dar unſern ſtarrenden Augen; und als um die Mittagszeit die Sonne am freundlichſten ſtrahlte, ſtockte der Athem, und der Chriſt hatte uͤberwunden; der Glaube war ſein Sieg. Die ſcheidende Seele ließ alle ihre Freundlichkeit, Reinheit und Wuͤrde der leiblichen Huͤlle zuruͤck; dieſe blieb wie von Himmels- ſtrahlen verklaͤrt. Chriſten vom niederſten bis zum hoͤchſten welt- lichen Stande weinten Thraͤnen der tiefſten Wehmuth an dem geliebten Leichname, und baten Gott um gleiche Foͤrderung im Glauben. Auf Erden iſt Trauer um den vollendeten Wohlthaͤter, Rath- geber, Freund und Vater ohne Gleichen, — Vater Stilling wird bis in die fernſten Lande hin beweint: aber im Himmel iſt unter den Seligen Freude, und ewiger Lobgeſang ſeiner Seele vor Gott.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/656
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/656>, abgerufen am 22.11.2024.