sen bleiben, und sprach wenig oder nichts, auch war seine Be- ängstigung schon damals vorüber, und die heitere Ruhe glänzte aus seinen großen geistvollen Augen.
Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an diesen Tag selbst aufgezogen, auch seine Ringe in der Schublade des neben ihm stehenden Tischchens, und dergleichen Dinge, nachge- zählt, und seine Ordnungsliebe, die ihm zu seinen zahlreichen Geschäften stets so förderlich gewesen war, verließ ihn nicht bis zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war, die Getränke und Arzneien, die er immer selbst begehrte, und öfters abschlug, wenn man sie ihm früher darreichte, mit An- stand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen mit frischen vertauschen, die er alle bei Namen zu nennen wußte, und auf sein Tischchen stellen. Nachmittags begehrte er wieder ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm seine Lippen geschwollen waren, bat er sich eine gläserne Röhre zum Trinken aus, und gab an, wo wir sie, da sie zu lang war, abnehmen sollten; damit war er mit dieser Art zu Trinken sehr zufrieden, und sagte scherzhaft: "Bei der gläsernen Röhre mer- "ken auch die Douanen im Halse nichts vom Trinken."
Gegen Abend schlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we- niger Freunde den Wunsch, ihn, den Verehrten, nochmals zu sehen, befriedigen konnten, weil ihn das öftere Bewegen an der Thüre störte.
Als er einmal erwachte, sagte er zu seinen anwesenden Töch- tern: "Immer meine ich, es wäre Morgen. Nun jenseits wird es sich wohl aufklären."
Wie seine zweite Tochter ihm einen Blumenstrauß von ihren Zöglingen, die er alle unaussprechlich liebte, mitbrachte mit den Worten: L. V. diese Blumen schicken Ihnen die Kinder, erwie- derte er mit seinem herzlichen Tone: "Die lieben Kinder! Sie "sind auch wie die zarten Blumen, die sich willig entfalten, "und der Sonne stille halten!"
Gegen sechs Uhr klagte er seinem freundschaftlichen Arzte von selbst alle seine Umstände, und fing noch ein Gespräch über die Güte des Trinkwassers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden mit demselben an. Bald darauf langte, den ehrwürdigen Vater
ſen bleiben, und ſprach wenig oder nichts, auch war ſeine Be- aͤngſtigung ſchon damals voruͤber, und die heitere Ruhe glaͤnzte aus ſeinen großen geiſtvollen Augen.
Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an dieſen Tag ſelbſt aufgezogen, auch ſeine Ringe in der Schublade des neben ihm ſtehenden Tiſchchens, und dergleichen Dinge, nachge- zaͤhlt, und ſeine Ordnungsliebe, die ihm zu ſeinen zahlreichen Geſchaͤften ſtets ſo foͤrderlich geweſen war, verließ ihn nicht bis zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war, die Getraͤnke und Arzneien, die er immer ſelbſt begehrte, und oͤfters abſchlug, wenn man ſie ihm fruͤher darreichte, mit An- ſtand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen mit friſchen vertauſchen, die er alle bei Namen zu nennen wußte, und auf ſein Tiſchchen ſtellen. Nachmittags begehrte er wieder ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm ſeine Lippen geſchwollen waren, bat er ſich eine glaͤſerne Roͤhre zum Trinken aus, und gab an, wo wir ſie, da ſie zu lang war, abnehmen ſollten; damit war er mit dieſer Art zu Trinken ſehr zufrieden, und ſagte ſcherzhaft: „Bei der glaͤſernen Roͤhre mer- „ken auch die Douanen im Halſe nichts vom Trinken.“
Gegen Abend ſchlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we- niger Freunde den Wunſch, ihn, den Verehrten, nochmals zu ſehen, befriedigen konnten, weil ihn das oͤftere Bewegen an der Thuͤre ſtoͤrte.
Als er einmal erwachte, ſagte er zu ſeinen anweſenden Toͤch- tern: „Immer meine ich, es waͤre Morgen. Nun jenſeits wird es ſich wohl aufklaͤren.“
Wie ſeine zweite Tochter ihm einen Blumenſtrauß von ihren Zoͤglingen, die er alle unausſprechlich liebte, mitbrachte mit den Worten: L. V. dieſe Blumen ſchicken Ihnen die Kinder, erwie- derte er mit ſeinem herzlichen Tone: „Die lieben Kinder! Sie „ſind auch wie die zarten Blumen, die ſich willig entfalten, „und der Sonne ſtille halten!“
Gegen ſechs Uhr klagte er ſeinem freundſchaftlichen Arzte von ſelbſt alle ſeine Umſtaͤnde, und fing noch ein Geſpraͤch uͤber die Guͤte des Trinkwaſſers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden mit demſelben an. Bald darauf langte, den ehrwuͤrdigen Vater
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[642/0650]
ſen bleiben, und ſprach wenig oder nichts, auch war ſeine Be-
aͤngſtigung ſchon damals voruͤber, und die heitere Ruhe glaͤnzte
aus ſeinen großen geiſtvollen Augen.
Die Uhren, welche neben ihm hingen, hatte er bis an dieſen
Tag ſelbſt aufgezogen, auch ſeine Ringe in der Schublade des
neben ihm ſtehenden Tiſchchens, und dergleichen Dinge, nachge-
zaͤhlt, und ſeine Ordnungsliebe, die ihm zu ſeinen zahlreichen
Geſchaͤften ſtets ſo foͤrderlich geweſen war, verließ ihn nicht bis
zu den letzten Augenblicken, wo er noch darauf bedacht war,
die Getraͤnke und Arzneien, die er immer ſelbſt begehrte, und
oͤfters abſchlug, wenn man ſie ihm fruͤher darreichte, mit An-
ſtand zu nehmen. Auch ließ er noch zuvor abgewelkte Blumen
mit friſchen vertauſchen, die er alle bei Namen zu nennen wußte,
und auf ſein Tiſchchen ſtellen. Nachmittags begehrte er wieder
ein Pfeifchen zu rauchen und war heiter und ruhig. Da ihm
ſeine Lippen geſchwollen waren, bat er ſich eine glaͤſerne Roͤhre
zum Trinken aus, und gab an, wo wir ſie, da ſie zu lang war,
abnehmen ſollten; damit war er mit dieſer Art zu Trinken ſehr
zufrieden, und ſagte ſcherzhaft: „Bei der glaͤſernen Roͤhre mer-
„ken auch die Douanen im Halſe nichts vom Trinken.“
Gegen Abend ſchlummerte er wieder mehr, weßhalb auch we-
niger Freunde den Wunſch, ihn, den Verehrten, nochmals zu
ſehen, befriedigen konnten, weil ihn das oͤftere Bewegen an der
Thuͤre ſtoͤrte.
Als er einmal erwachte, ſagte er zu ſeinen anweſenden Toͤch-
tern: „Immer meine ich, es waͤre Morgen. Nun
jenſeits wird es ſich wohl aufklaͤren.“
Wie ſeine zweite Tochter ihm einen Blumenſtrauß von ihren
Zoͤglingen, die er alle unausſprechlich liebte, mitbrachte mit den
Worten: L. V. dieſe Blumen ſchicken Ihnen die Kinder, erwie-
derte er mit ſeinem herzlichen Tone: „Die lieben Kinder! Sie
„ſind auch wie die zarten Blumen, die ſich willig entfalten,
„und der Sonne ſtille halten!“
Gegen ſechs Uhr klagte er ſeinem freundſchaftlichen Arzte von
ſelbſt alle ſeine Umſtaͤnde, und fing noch ein Geſpraͤch uͤber die
Guͤte des Trinkwaſſers von dem Herrnbrunnen in Baden-Baden
mit demſelben an. Bald darauf langte, den ehrwuͤrdigen Vater
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/650>, abgerufen am 22.11.2024.
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