zugenommen hatten, entschlief sie den 22. März d. J. sanft und selig in dem Herrn. Zwei Tage zuvor hatte der ehrwürdige Greis, als Arzt ihr nahes Ende wohl merkend, nachdem er ihr einige schöne Verse aus Gellerts Liedern, und aus Paul Gerhards: "Befiehl du deine Wege" u. s. w., vorgesprochen, mit den Wor- ten von ihr Abschied genommen: -- "Der Herr segne "dich, du leidender Engel! -- der Herr sey mit dir!" Und als er ihr Absterben vernahm, faltete er in Ruhe die Hände, hob seinen Blick gen Himmel, seufte und dankte: "Gottlob sie hat vollendet!" Seitdem lebte er auch schon mehr in jener Welt, er war lieber wie vorher sich selbst überlassen, wohl fühlend, daß das Verscheiden seiner Gattin auch für ihn der erste Uebergangsschritt sey. Darum sagte er uns, als wir bei ihm um die Entschlafene trauerten: "Sehet, das kann "mir nicht so leid seyn, als Euch, da ich hoffe, sie "bald wieder zu sehen!" Und was er vor vielen Jahren den 19. Nov. 1790 in dem von ihm auf seine dritte Hochzeit gedichteten Liede gebetet, und was beide geahndet hatten, näm- lich jene Worte:
"Vater, und am Ziel der Reise, Führ' uns Beide Hand in Hand Auf, zum höhern Wirkungskreise, Heim ins Vaterland!" --
das wurde wahr.
Seine Entkräftung wuchs, wenn gleich sein Geist immer leben- dig blieb wie der eines Jünglings, nach seiner eigenen Aussage, und wie der lebhafte Blick seines Auges, der sich bis in die letz- ten Athemzüge offen und heiter erhielt, bezeugte. Darum ver- mochte er einige Tage vor seinem Ende noch der edlen Tochter einer erhabenen Freundin, auf ihren Wunsch, einige Stärkungs- worte für deren nahe Confirmation zu geben, und mit ihrem erhabenen Sohne und edlen Schwester kurze Unterredungen zu pflegen. Auch redete er mit Bekannten über dieses und jenes, und so sagte er einmal zu einem alten Freunde und zu seiner zweiten Tochter unter andern: "Hört, ich muß Euch et- "was sehr Wichtiges sagen, was zur Seelenkunde "gehört: Nämlich, ich habe ganz das Gefühl, als
zugenommen hatten, entſchlief ſie den 22. Maͤrz d. J. ſanft und ſelig in dem Herrn. Zwei Tage zuvor hatte der ehrwuͤrdige Greis, als Arzt ihr nahes Ende wohl merkend, nachdem er ihr einige ſchoͤne Verſe aus Gellerts Liedern, und aus Paul Gerhards: „Befiehl du deine Wege“ u. ſ. w., vorgeſprochen, mit den Wor- ten von ihr Abſchied genommen: — „Der Herr ſegne „dich, du leidender Engel! — der Herr ſey mit dir!“ Und als er ihr Abſterben vernahm, faltete er in Ruhe die Haͤnde, hob ſeinen Blick gen Himmel, ſeufte und dankte: „Gottlob ſie hat vollendet!“ Seitdem lebte er auch ſchon mehr in jener Welt, er war lieber wie vorher ſich ſelbſt uͤberlaſſen, wohl fuͤhlend, daß das Verſcheiden ſeiner Gattin auch fuͤr ihn der erſte Uebergangsſchritt ſey. Darum ſagte er uns, als wir bei ihm um die Entſchlafene trauerten: „Sehet, das kann „mir nicht ſo leid ſeyn, als Euch, da ich hoffe, ſie „bald wieder zu ſehen!“ Und was er vor vielen Jahren den 19. Nov. 1790 in dem von ihm auf ſeine dritte Hochzeit gedichteten Liede gebetet, und was beide geahndet hatten, naͤm- lich jene Worte:
„Vater, und am Ziel der Reiſe, Führ’ uns Beide Hand in Hand Auf, zum höhern Wirkungskreiſe, Heim ins Vaterland!“ —
das wurde wahr.
Seine Entkraͤftung wuchs, wenn gleich ſein Geiſt immer leben- dig blieb wie der eines Juͤnglings, nach ſeiner eigenen Ausſage, und wie der lebhafte Blick ſeines Auges, der ſich bis in die letz- ten Athemzuͤge offen und heiter erhielt, bezeugte. Darum ver- mochte er einige Tage vor ſeinem Ende noch der edlen Tochter einer erhabenen Freundin, auf ihren Wunſch, einige Staͤrkungs- worte fuͤr deren nahe Confirmation zu geben, und mit ihrem erhabenen Sohne und edlen Schweſter kurze Unterredungen zu pflegen. Auch redete er mit Bekannten uͤber dieſes und jenes, und ſo ſagte er einmal zu einem alten Freunde und zu ſeiner zweiten Tochter unter andern: „Hoͤrt, ich muß Euch et- „was ſehr Wichtiges ſagen, was zur Seelenkunde „gehoͤrt: Naͤmlich, ich habe ganz das Gefuͤhl, als
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zugenommen hatten, entſchlief ſie den 22. Maͤrz d. J. ſanft
und ſelig in dem Herrn. Zwei Tage zuvor hatte der ehrwuͤrdige
Greis, als Arzt ihr nahes Ende wohl merkend, nachdem er ihr
einige ſchoͤne Verſe aus Gellerts Liedern, und aus Paul Gerhards:
„Befiehl du deine Wege“ u. ſ. w., vorgeſprochen, mit den Wor-
ten von ihr Abſchied genommen: — „Der Herr ſegne
„dich, du leidender Engel! — der Herr ſey mit
dir!“ Und als er ihr Abſterben vernahm, faltete er in Ruhe
die Haͤnde, hob ſeinen Blick gen Himmel, ſeufte und dankte:
„Gottlob ſie hat vollendet!“ Seitdem lebte er auch ſchon mehr
in jener Welt, er war lieber wie vorher ſich ſelbſt uͤberlaſſen,
wohl fuͤhlend, daß das Verſcheiden ſeiner Gattin auch fuͤr ihn
der erſte Uebergangsſchritt ſey. Darum ſagte er uns, als wir
bei ihm um die Entſchlafene trauerten: „Sehet, das kann
„mir nicht ſo leid ſeyn, als Euch, da ich hoffe, ſie
„bald wieder zu ſehen!“ Und was er vor vielen Jahren
den 19. Nov. 1790 in dem von ihm auf ſeine dritte Hochzeit
gedichteten Liede gebetet, und was beide geahndet hatten, naͤm-
lich jene Worte:
„Vater, und am Ziel der Reiſe,
Führ’ uns Beide Hand in Hand
Auf, zum höhern Wirkungskreiſe,
Heim ins Vaterland!“ —
das wurde wahr.
Seine Entkraͤftung wuchs, wenn gleich ſein Geiſt immer leben-
dig blieb wie der eines Juͤnglings, nach ſeiner eigenen Ausſage,
und wie der lebhafte Blick ſeines Auges, der ſich bis in die letz-
ten Athemzuͤge offen und heiter erhielt, bezeugte. Darum ver-
mochte er einige Tage vor ſeinem Ende noch der edlen Tochter
einer erhabenen Freundin, auf ihren Wunſch, einige Staͤrkungs-
worte fuͤr deren nahe Confirmation zu geben, und mit ihrem
erhabenen Sohne und edlen Schweſter kurze Unterredungen zu
pflegen. Auch redete er mit Bekannten uͤber dieſes und jenes,
und ſo ſagte er einmal zu einem alten Freunde und zu ſeiner
zweiten Tochter unter andern: „Hoͤrt, ich muß Euch et-
„was ſehr Wichtiges ſagen, was zur Seelenkunde
„gehoͤrt: Naͤmlich, ich habe ganz das Gefuͤhl, als
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/642>, abgerufen am 27.11.2024.
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