Görlitz war mir auch von einer andern Seite her merkwür- dig. Der berühmte Jakob Böhm war hier Schuhmacher- meister und Bürger; es war mir außerordentlich rührend, sein Andenken noch so blühend und im Segen zu finden; man macht sich in Görlitz eine Ehre daraus, daß Böhm Bürger daselbst war, ungeachtet er vor 200 Jahren dort lebte, und unverdien- ter Weise, besonders von der damaligen Geistlichkeit, vorzüglich von Pastor Primarius Gregorius Richter, schnöde miß- handelt wurde. Böhm lehrt in seinen Schriften nichts, das der Augsburgischen Confession widerspricht; er war ein fleißiger Kirchengänger, und genoß das Abendmahl oft; in sei- nem Lebenswandel war er untadelhaft, ein treuer Unterthan, ein musterhafter Hausvater und Ehegatte und ein liebevoller Nach- bar; das alles weiß man in Görlitz noch wohl, und dennoch behandelte ihn die stolze Priesterschaft wie einen Erzketzer. Eins- mals an einem Morgen kam Meister Böhm zum Herrn Pa- stor Richter, um Etwas zu besorgen; so wie er zur Thüre herein trat, ergriff Richter einen Pantoffel, und warf ihn dem guten Schuster an den Kopf; dieser hob ihn ganz ruhig auf, und trug ihn dem Pastor wieder vor die Füße. Als Böhm 1624 gestorben war, so wollten ihn die Prediger nicht auf den Kirchhof begraben lassen; man berichtete den Fall an's Ober- consistorium in Dresden. Die Leiche mußte also stehen blei- ben, bis die Resolution zurück kam, welche befahl, daß man Böhms Leiche mit allen Ehren, wie es einem guten Christen gebühre, beerdigen, und daß ihm die gesammte Geistlichkeit das Geleit geben sollte. Dieß geschah denn auch, aber nur bis un- ter das Thor, wo die gestrengen Herrn wieder umkehrten. Der Kirchhof liegt an der Nordseite der Stadt; ich ließ mir Böhms Grab zeigen, welches mit einem kleinen viereckigten gehauenen Stein, der Böhms Geburtsjahr, Namen und Sterbejahr be- zeichnet, bedeckt ist. Ein namhafter privatisirender Gelehrter in Görlitz erzählte mir, daß er auf einem Spaziergange zwei Engländer bei diesem Grabe gesehen, wie sie ihre Tabaksdosen ausgeleert, und mit Erde von Böhms Grabe angefüllt hätten; dieses habe ihn bewogen, einen neuen Stein darauf zu legen, indem der alte kaum mehr zu sehen gewesen sey.
Goͤrlitz war mir auch von einer andern Seite her merkwuͤr- dig. Der beruͤhmte Jakob Boͤhm war hier Schuhmacher- meiſter und Buͤrger; es war mir außerordentlich ruͤhrend, ſein Andenken noch ſo bluͤhend und im Segen zu finden; man macht ſich in Goͤrlitz eine Ehre daraus, daß Boͤhm Buͤrger daſelbſt war, ungeachtet er vor 200 Jahren dort lebte, und unverdien- ter Weiſe, beſonders von der damaligen Geiſtlichkeit, vorzuͤglich von Paſtor Primarius Gregorius Richter, ſchnoͤde miß- handelt wurde. Boͤhm lehrt in ſeinen Schriften nichts, das der Augsburgiſchen Confeſſion widerſpricht; er war ein fleißiger Kirchengaͤnger, und genoß das Abendmahl oft; in ſei- nem Lebenswandel war er untadelhaft, ein treuer Unterthan, ein muſterhafter Hausvater und Ehegatte und ein liebevoller Nach- bar; das alles weiß man in Goͤrlitz noch wohl, und dennoch behandelte ihn die ſtolze Prieſterſchaft wie einen Erzketzer. Eins- mals an einem Morgen kam Meiſter Boͤhm zum Herrn Pa- ſtor Richter, um Etwas zu beſorgen; ſo wie er zur Thuͤre herein trat, ergriff Richter einen Pantoffel, und warf ihn dem guten Schuſter an den Kopf; dieſer hob ihn ganz ruhig auf, und trug ihn dem Paſtor wieder vor die Fuͤße. Als Boͤhm 1624 geſtorben war, ſo wollten ihn die Prediger nicht auf den Kirchhof begraben laſſen; man berichtete den Fall an’s Ober- conſiſtorium in Dresden. Die Leiche mußte alſo ſtehen blei- ben, bis die Reſolution zuruͤck kam, welche befahl, daß man Boͤhms Leiche mit allen Ehren, wie es einem guten Chriſten gebuͤhre, beerdigen, und daß ihm die geſammte Geiſtlichkeit das Geleit geben ſollte. Dieß geſchah denn auch, aber nur bis un- ter das Thor, wo die geſtrengen Herrn wieder umkehrten. Der Kirchhof liegt an der Nordſeite der Stadt; ich ließ mir Boͤhms Grab zeigen, welches mit einem kleinen viereckigten gehauenen Stein, der Boͤhms Geburtsjahr, Namen und Sterbejahr be- zeichnet, bedeckt iſt. Ein namhafter privatiſirender Gelehrter in Goͤrlitz erzaͤhlte mir, daß er auf einem Spaziergange zwei Englaͤnder bei dieſem Grabe geſehen, wie ſie ihre Tabaksdoſen ausgeleert, und mit Erde von Boͤhms Grabe angefuͤllt haͤtten; dieſes habe ihn bewogen, einen neuen Stein darauf zu legen, indem der alte kaum mehr zu ſehen geweſen ſey.
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Goͤrlitz war mir auch von einer andern Seite her merkwuͤr-
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Andenken noch ſo bluͤhend und im Segen zu finden; man macht
ſich in Goͤrlitz eine Ehre daraus, daß Boͤhm Buͤrger daſelbſt
war, ungeachtet er vor 200 Jahren dort lebte, und unverdien-
ter Weiſe, beſonders von der damaligen Geiſtlichkeit, vorzuͤglich
von Paſtor Primarius Gregorius Richter, ſchnoͤde miß-
handelt wurde. Boͤhm lehrt in ſeinen Schriften nichts, das
der Augsburgiſchen Confeſſion widerſpricht; er war ein
fleißiger Kirchengaͤnger, und genoß das Abendmahl oft; in ſei-
nem Lebenswandel war er untadelhaft, ein treuer Unterthan,
ein muſterhafter Hausvater und Ehegatte und ein liebevoller Nach-
bar; das alles weiß man in Goͤrlitz noch wohl, und dennoch
behandelte ihn die ſtolze Prieſterſchaft wie einen Erzketzer. Eins-
mals an einem Morgen kam Meiſter Boͤhm zum Herrn Pa-
ſtor Richter, um Etwas zu beſorgen; ſo wie er zur Thuͤre
herein trat, ergriff Richter einen Pantoffel, und warf ihn dem
guten Schuſter an den Kopf; dieſer hob ihn ganz ruhig auf,
und trug ihn dem Paſtor wieder vor die Fuͤße. Als Boͤhm
1624 geſtorben war, ſo wollten ihn die Prediger nicht auf den
Kirchhof begraben laſſen; man berichtete den Fall an’s Ober-
conſiſtorium in Dresden. Die Leiche mußte alſo ſtehen blei-
ben, bis die Reſolution zuruͤck kam, welche befahl, daß man
Boͤhms Leiche mit allen Ehren, wie es einem guten Chriſten
gebuͤhre, beerdigen, und daß ihm die geſammte Geiſtlichkeit das
Geleit geben ſollte. Dieß geſchah denn auch, aber nur bis un-
ter das Thor, wo die geſtrengen Herrn wieder umkehrten. Der
Kirchhof liegt an der Nordſeite der Stadt; ich ließ mir Boͤhms
Grab zeigen, welches mit einem kleinen viereckigten gehauenen
Stein, der Boͤhms Geburtsjahr, Namen und Sterbejahr be-
zeichnet, bedeckt iſt. Ein namhafter privatiſirender Gelehrter
in Goͤrlitz erzaͤhlte mir, daß er auf einem Spaziergange zwei
Englaͤnder bei dieſem Grabe geſehen, wie ſie ihre Tabaksdoſen
ausgeleert, und mit Erde von Boͤhms Grabe angefuͤllt haͤtten;
dieſes habe ihn bewogen, einen neuen Stein darauf zu legen,
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1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/629>, abgerufen am 24.11.2024.
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