behrung alles dessen, was Menschen trösten kann, vermag sich Niemand vorzustellen, der so Etwas nie erfahren hat. Hier wurde Sinnlichkeit und Leichtsinn an der Wurzel angegriffen. Endlich hielt ichs nicht aus, ich lief fort, irrte in der Wildniß umher, besann mich wieder, ging zurück nach Rade vorm Wald, und der selige Johann Jacob Becker (Meister Isaak) machte das herrliche Meisterstück der christlichen Men- schenliebe an mir. -- Jetzt war ich aber auch so gründlich von meinem Widerwillen gegen das Schneiderhandwerk kurirt, daß mich hernach Herr Spanier und der Meister Becker selbst kaum bereden konnten, bei Ersterem die Hauslehrerstelle anzu- nehmen; und ich bin sogar jetzt noch so weit von jenem Wider- willen entfernt, daß ich mich -- wenn es seyn müßte -- im Augenblick wieder auf die Werkstatt setzen könnte.
Während meinem Aufenthalt bei Spanier schien sich Alles dazu anzuschicken, daß ich Kaufmann werden sollte; ich wurde täglich in Handelsgeschäften gebraucht, alles ging mir gut von statten; und ob ich gleich von Natur keine Neigung zur Hand- lung hatte, so glaubte ich doch, es sey Gottes Führung, der ich wohl würde folgen müssen; besonders da mir auch heimlich ver- sichert wurde, daß eine reiche, schöne und rechtschaffene junge Kaufmannstochter für mich bestimmt sey, ihr Vater wolle sie mir geben und mich dann in Compagnie nehmen. Ob ich gleich an dem allen keine sonderliche Freude hatte, so glaubte ich doch, es sey Ganz der Vorsehung, dem ich folgen, und die ganze Sache als ein besonderes Glück ansehen müßte.
In dieser Vorstellung und Erwartung bekam ich, ganz gewiß ohne mein Mitwirken, den in meiner Geschichte vorkommenden besondern Eindruck, ich müßte Medizin studiren; gut -- ich für mich hatte nichts dazu gegeben, und diejenigen, die mein Schicksal lenken wollten, auch nicht; denn sie sagten: es sey doch auffallend für eine vornehme Familie, einem Menschen, der noch vor kurzem Schneiderbursch gewesen sey, seine Tochter zu geben; hätte ich aber studirt und promovirt, so könnte das Alles denn doch füglich ausgeführt werden, ich wäre dann Doktor und Kaufmann zugleich. Das war Plan der Menschen, und auch Plan meines himmlischen Führers. Bald nachher widerfuhr mir
behrung alles deſſen, was Menſchen troͤſten kann, vermag ſich Niemand vorzuſtellen, der ſo Etwas nie erfahren hat. Hier wurde Sinnlichkeit und Leichtſinn an der Wurzel angegriffen. Endlich hielt ichs nicht aus, ich lief fort, irrte in der Wildniß umher, beſann mich wieder, ging zuruͤck nach Rade vorm Wald, und der ſelige Johann Jacob Becker (Meiſter Iſaak) machte das herrliche Meiſterſtuͤck der chriſtlichen Men- ſchenliebe an mir. — Jetzt war ich aber auch ſo gruͤndlich von meinem Widerwillen gegen das Schneiderhandwerk kurirt, daß mich hernach Herr Spanier und der Meiſter Becker ſelbſt kaum bereden konnten, bei Erſterem die Hauslehrerſtelle anzu- nehmen; und ich bin ſogar jetzt noch ſo weit von jenem Wider- willen entfernt, daß ich mich — wenn es ſeyn muͤßte — im Augenblick wieder auf die Werkſtatt ſetzen koͤnnte.
Waͤhrend meinem Aufenthalt bei Spanier ſchien ſich Alles dazu anzuſchicken, daß ich Kaufmann werden ſollte; ich wurde taͤglich in Handelsgeſchaͤften gebraucht, alles ging mir gut von ſtatten; und ob ich gleich von Natur keine Neigung zur Hand- lung hatte, ſo glaubte ich doch, es ſey Gottes Fuͤhrung, der ich wohl wuͤrde folgen muͤſſen; beſonders da mir auch heimlich ver- ſichert wurde, daß eine reiche, ſchoͤne und rechtſchaffene junge Kaufmannstochter fuͤr mich beſtimmt ſey, ihr Vater wolle ſie mir geben und mich dann in Compagnie nehmen. Ob ich gleich an dem allen keine ſonderliche Freude hatte, ſo glaubte ich doch, es ſey Ganz der Vorſehung, dem ich folgen, und die ganze Sache als ein beſonderes Gluͤck anſehen muͤßte.
In dieſer Vorſtellung und Erwartung bekam ich, ganz gewiß ohne mein Mitwirken, den in meiner Geſchichte vorkommenden beſondern Eindruck, ich muͤßte Medizin ſtudiren; gut — ich fuͤr mich hatte nichts dazu gegeben, und diejenigen, die mein Schickſal lenken wollten, auch nicht; denn ſie ſagten: es ſey doch auffallend fuͤr eine vornehme Familie, einem Menſchen, der noch vor kurzem Schneiderburſch geweſen ſey, ſeine Tochter zu geben; haͤtte ich aber ſtudirt und promovirt, ſo koͤnnte das Alles denn doch fuͤglich ausgefuͤhrt werden, ich waͤre dann Doktor und Kaufmann zugleich. Das war Plan der Menſchen, und auch Plan meines himmliſchen Fuͤhrers. Bald nachher widerfuhr mir
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[593/0601]
behrung alles deſſen, was Menſchen troͤſten kann, vermag ſich
Niemand vorzuſtellen, der ſo Etwas nie erfahren hat. Hier
wurde Sinnlichkeit und Leichtſinn an der Wurzel angegriffen.
Endlich hielt ichs nicht aus, ich lief fort, irrte in der Wildniß
umher, beſann mich wieder, ging zuruͤck nach Rade vorm
Wald, und der ſelige Johann Jacob Becker (Meiſter
Iſaak) machte das herrliche Meiſterſtuͤck der chriſtlichen Men-
ſchenliebe an mir. — Jetzt war ich aber auch ſo gruͤndlich von
meinem Widerwillen gegen das Schneiderhandwerk kurirt, daß
mich hernach Herr Spanier und der Meiſter Becker ſelbſt
kaum bereden konnten, bei Erſterem die Hauslehrerſtelle anzu-
nehmen; und ich bin ſogar jetzt noch ſo weit von jenem Wider-
willen entfernt, daß ich mich — wenn es ſeyn muͤßte — im
Augenblick wieder auf die Werkſtatt ſetzen koͤnnte.
Waͤhrend meinem Aufenthalt bei Spanier ſchien ſich Alles
dazu anzuſchicken, daß ich Kaufmann werden ſollte; ich wurde
taͤglich in Handelsgeſchaͤften gebraucht, alles ging mir gut von
ſtatten; und ob ich gleich von Natur keine Neigung zur Hand-
lung hatte, ſo glaubte ich doch, es ſey Gottes Fuͤhrung, der ich
wohl wuͤrde folgen muͤſſen; beſonders da mir auch heimlich ver-
ſichert wurde, daß eine reiche, ſchoͤne und rechtſchaffene junge
Kaufmannstochter fuͤr mich beſtimmt ſey, ihr Vater wolle ſie
mir geben und mich dann in Compagnie nehmen. Ob ich gleich
an dem allen keine ſonderliche Freude hatte, ſo glaubte ich doch,
es ſey Ganz der Vorſehung, dem ich folgen, und die ganze Sache
als ein beſonderes Gluͤck anſehen muͤßte.
In dieſer Vorſtellung und Erwartung bekam ich, ganz gewiß
ohne mein Mitwirken, den in meiner Geſchichte vorkommenden
beſondern Eindruck, ich muͤßte Medizin ſtudiren; gut — ich
fuͤr mich hatte nichts dazu gegeben, und diejenigen, die mein
Schickſal lenken wollten, auch nicht; denn ſie ſagten: es ſey
doch auffallend fuͤr eine vornehme Familie, einem Menſchen, der
noch vor kurzem Schneiderburſch geweſen ſey, ſeine Tochter zu
geben; haͤtte ich aber ſtudirt und promovirt, ſo koͤnnte das Alles
denn doch fuͤglich ausgefuͤhrt werden, ich waͤre dann Doktor und
Kaufmann zugleich. Das war Plan der Menſchen, und auch
Plan meines himmliſchen Fuͤhrers. Bald nachher widerfuhr mir
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/601>, abgerufen am 25.11.2024.
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