halten; er sahe also zu seinem größten Leidwesen, daß ein guter Schulmeister an mir verdorben war; dadurch wurde er also natürlicher Weise noch ernsthafter und unfreundlicher gegen mich, und als er nun noch gar eine weltlich gesinnte, gefühllose Frau bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefsohn mit ins Feld gehen, alle Bauernarbeit, auch die schwerste verrichten, Hacken, Mähen und Dreschen sollte, so stieg mein Jammer auf's höchste, dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewöhnt wor- den, jetzt litt ich erschrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur- den die Hände immer voller Blasen, und die Haut blieb am Hackenstiel kleben: wenn ich die Grassense oder den Dreschflegel schwang, so krachten mir Rippen und Hüften; Tage und Wochen schienen mir eine Ewigkeit zu seyn, und über das Alles war die Zukunft finster, ich konnte mir keine Rettung aus dieser Lage denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulämtern, es bleib mir also nichts mehr übrig, als auf dem Lande umher bei Schneidermeistern als Geselle zu arbeiten, dazu fand sich dann auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich so in Kleidern und Wäsche zurück, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts und verlorner Mensch betrachtet wurde. Mein religiöser Grund- trieb glänzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir Spe- ner, Franke und überhaupt so recht fromme Prediger dachte, und mir dann vorstellte, welch eine Seligkeit es für mich seyn würde, so ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage unmöglich wäre, so brach mir das Herz.
Die Absichten, warum mich die Vorsehung in diese entsetzlich traurige Lage führte, waren zweifach: erstlich, um meine über alle Vorstellung gehende Sinnlichkeit und den unbändigen Leicht- sinn zu bekämpfen. -- Diese Absicht merkte ich wohl, und dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin- gen, weil sie in demselben ihren Plan mit mir nicht ausführen konnte; diesen Zweck aber merkte ich ganz und gar nicht, ich war dergestalt in mein Vaterland ver- liebt, daß mich nur die äußerste Nothwendigkeit hinausbannen konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort.
Man merke hier wohl, daß dieser erste Schritt zu meiner künftigen Bestimmung schlechterdings
halten; er ſahe alſo zu ſeinem groͤßten Leidweſen, daß ein guter Schulmeiſter an mir verdorben war; dadurch wurde er alſo natuͤrlicher Weiſe noch ernſthafter und unfreundlicher gegen mich, und als er nun noch gar eine weltlich geſinnte, gefuͤhlloſe Frau bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefſohn mit ins Feld gehen, alle Bauernarbeit, auch die ſchwerſte verrichten, Hacken, Maͤhen und Dreſchen ſollte, ſo ſtieg mein Jammer auf’s hoͤchſte, dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewoͤhnt wor- den, jetzt litt ich erſchrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur- den die Haͤnde immer voller Blaſen, und die Haut blieb am Hackenſtiel kleben: wenn ich die Grasſenſe oder den Dreſchflegel ſchwang, ſo krachten mir Rippen und Huͤften; Tage und Wochen ſchienen mir eine Ewigkeit zu ſeyn, und uͤber das Alles war die Zukunft finſter, ich konnte mir keine Rettung aus dieſer Lage denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulaͤmtern, es bleib mir alſo nichts mehr uͤbrig, als auf dem Lande umher bei Schneidermeiſtern als Geſelle zu arbeiten, dazu fand ſich dann auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich ſo in Kleidern und Waͤſche zuruͤck, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts und verlorner Menſch betrachtet wurde. Mein religioͤſer Grund- trieb glaͤnzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir Spe- ner, Franke und uͤberhaupt ſo recht fromme Prediger dachte, und mir dann vorſtellte, welch eine Seligkeit es fuͤr mich ſeyn wuͤrde, ſo ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage unmoͤglich waͤre, ſo brach mir das Herz.
Die Abſichten, warum mich die Vorſehung in dieſe entſetzlich traurige Lage fuͤhrte, waren zweifach: erſtlich, um meine uͤber alle Vorſtellung gehende Sinnlichkeit und den unbaͤndigen Leicht- ſinn zu bekaͤmpfen. — Dieſe Abſicht merkte ich wohl, und dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin- gen, weil ſie in demſelben ihren Plan mit mir nicht ausfuͤhren konnte; dieſen Zweck aber merkte ich ganz und gar nicht, ich war dergeſtalt in mein Vaterland ver- liebt, daß mich nur die aͤußerſte Nothwendigkeit hinausbannen konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort.
Man merke hier wohl, daß dieſer erſte Schritt zu meiner kuͤnftigen Beſtimmung ſchlechterdings
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0599"n="591"/>
halten; er ſahe alſo zu ſeinem groͤßten Leidweſen, daß ein guter<lb/>
Schulmeiſter an mir verdorben war; dadurch wurde er alſo<lb/>
natuͤrlicher Weiſe noch ernſthafter und unfreundlicher gegen mich,<lb/>
und als er nun noch gar eine weltlich geſinnte, gefuͤhlloſe Frau<lb/>
bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefſohn mit ins Feld<lb/>
gehen, alle Bauernarbeit, auch die ſchwerſte verrichten, Hacken,<lb/>
Maͤhen und Dreſchen ſollte, ſo ſtieg mein Jammer auf’s hoͤchſte,<lb/>
dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewoͤhnt wor-<lb/>
den, jetzt litt ich erſchrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur-<lb/>
den die Haͤnde immer voller Blaſen, und die Haut blieb am<lb/>
Hackenſtiel kleben: wenn ich die Grasſenſe oder den Dreſchflegel<lb/>ſchwang, ſo krachten mir Rippen und Huͤften; Tage und Wochen<lb/>ſchienen mir eine Ewigkeit zu ſeyn, und uͤber das Alles war die<lb/>
Zukunft finſter, ich konnte mir keine Rettung aus dieſer Lage<lb/>
denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulaͤmtern, es<lb/>
bleib mir alſo nichts mehr uͤbrig, als auf dem Lande umher bei<lb/>
Schneidermeiſtern als Geſelle zu arbeiten, dazu fand ſich dann<lb/>
auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich ſo in Kleidern<lb/>
und Waͤſche zuruͤck, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts<lb/>
und verlorner Menſch betrachtet wurde. Mein religioͤſer Grund-<lb/>
trieb glaͤnzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir <hirendition="#g">Spe-<lb/>
ner, Franke</hi> und uͤberhaupt ſo recht fromme Prediger dachte,<lb/>
und mir dann vorſtellte, welch eine Seligkeit es fuͤr mich ſeyn<lb/>
wuͤrde, ſo ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage<lb/>
unmoͤglich waͤre, ſo brach mir das Herz.</p><lb/><p>Die Abſichten, warum mich die Vorſehung in dieſe entſetzlich<lb/>
traurige Lage fuͤhrte, waren zweifach: erſtlich, um meine uͤber<lb/>
alle Vorſtellung gehende Sinnlichkeit und den unbaͤndigen Leicht-<lb/>ſinn zu bekaͤmpfen. — Dieſe Abſicht merkte ich wohl, <hirendition="#g">und<lb/>
dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin-<lb/>
gen, weil ſie in demſelben ihren Plan mit mir<lb/>
nicht ausfuͤhren konnte</hi>; dieſen Zweck aber merkte ich<lb/>
ganz und gar nicht, ich war dergeſtalt in mein Vaterland ver-<lb/>
liebt, daß mich nur die aͤußerſte Nothwendigkeit hinausbannen<lb/>
konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort.</p><lb/><p><hirendition="#g">Man merke hier wohl, daß dieſer erſte Schritt<lb/>
zu meiner kuͤnftigen Beſtimmung ſchlechterdings<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[591/0599]
halten; er ſahe alſo zu ſeinem groͤßten Leidweſen, daß ein guter
Schulmeiſter an mir verdorben war; dadurch wurde er alſo
natuͤrlicher Weiſe noch ernſthafter und unfreundlicher gegen mich,
und als er nun noch gar eine weltlich geſinnte, gefuͤhlloſe Frau
bekommen hatte, welche forderte, daß ihr Stiefſohn mit ins Feld
gehen, alle Bauernarbeit, auch die ſchwerſte verrichten, Hacken,
Maͤhen und Dreſchen ſollte, ſo ſtieg mein Jammer auf’s hoͤchſte,
dazu waren meine Glieder von Jugend auf nicht angewoͤhnt wor-
den, jetzt litt ich erſchrecklich. Von den rauhen Werkzeugen wur-
den die Haͤnde immer voller Blaſen, und die Haut blieb am
Hackenſtiel kleben: wenn ich die Grasſenſe oder den Dreſchflegel
ſchwang, ſo krachten mir Rippen und Huͤften; Tage und Wochen
ſchienen mir eine Ewigkeit zu ſeyn, und uͤber das Alles war die
Zukunft finſter, ich konnte mir keine Rettung aus dieſer Lage
denken, auch berief man mich nicht mehr zu Schulaͤmtern, es
bleib mir alſo nichts mehr uͤbrig, als auf dem Lande umher bei
Schneidermeiſtern als Geſelle zu arbeiten, dazu fand ſich dann
auch Gelegenheit; aber bei dem Allem kam ich ſo in Kleidern
und Waͤſche zuruͤck, daß ich von Jedermann als ein Taugenichts
und verlorner Menſch betrachtet wurde. Mein religioͤſer Grund-
trieb glaͤnzte mir aus der Ferne entgegen; wenn ich mir Spe-
ner, Franke und uͤberhaupt ſo recht fromme Prediger dachte,
und mir dann vorſtellte, welch eine Seligkeit es fuͤr mich ſeyn
wuͤrde, ſo ein Mann zu werden, und daß es doch in meiner Lage
unmoͤglich waͤre, ſo brach mir das Herz.
Die Abſichten, warum mich die Vorſehung in dieſe entſetzlich
traurige Lage fuͤhrte, waren zweifach: erſtlich, um meine uͤber
alle Vorſtellung gehende Sinnlichkeit und den unbaͤndigen Leicht-
ſinn zu bekaͤmpfen. — Dieſe Abſicht merkte ich wohl, und
dann, um mich aus meinem Vaterland zu brin-
gen, weil ſie in demſelben ihren Plan mit mir
nicht ausfuͤhren konnte; dieſen Zweck aber merkte ich
ganz und gar nicht, ich war dergeſtalt in mein Vaterland ver-
liebt, daß mich nur die aͤußerſte Nothwendigkeit hinausbannen
konnte, und dazu kam es dann auch; ich ging fort.
Man merke hier wohl, daß dieſer erſte Schritt
zu meiner kuͤnftigen Beſtimmung ſchlechterdings
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/599>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.