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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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Verhältniß kamen, bemerken wollen, so müßte das der Menge
der vortrefflichen Seelen aus der Bürgerschaft wieder leid thun,
und das mit Recht: denn in dem Verhältniß, worinnen man
in Herrnhut steht, ist man Allen im Herrn Jesu Christo
verschwistert, da gilt kein Stand mehr etwas, sondern die neue
Kreatur, die aus Wasser und Geist wiedergeboren ist. Wer
übrigens Herrnhut in seiner religiösen und politischen Ver-
fassung gern kennen möchte, der lese nur Pastor Frohbergers
Briefe über Herrnhut, da findet er Alles genau beschrieben.

Die Feier der Charwoche ist in allen Brüdergemeinden, vor-
züglich aber in Herrnhut, herzerhebend und himmlisch; Stil-
ling
und Elise wohnten allen Stunden, die ihr gewidmet
sind, fleißig und andächtig bei: auch erlaubten ihnen die ehr-
würdigen Bischöfe und Vorsteher, am grünen Donnerstag Abends
mit der Gemeinde zu communiziren; diese Communion ist, was
sie eigentlich seyn soll: eine feierliche Vereinigung mit dem Haupte
Christo und mit allen seinen Gliedern unter allen Religions-
partheien. Was ein christlichgesinntes Herz in dieser Stunde
empfindet, und wie einem da zu Muth ist, das kann nicht be-
schrieben, sondern es muß erfahren werden. Es war Stil-
ling
zu dieser Zeit zu Muth, als wenn er zu seiner neuen künf-
tigen Bestimmung eingeweiht würde; und zu solch einer Ein-
weihung war denn freilich kein Ort geschickter, als der, wo Je-
sus Christus
und seine Religion vielleicht am reinsten und lau-
tersten in der ganzen Welt bekannt und gelehrt wird, als der
Ort, wo nach dem Verhältniß der Menschenzahl überhaupt,
gewiß die mehresten wahren Christen wohnen.

Zweier Personen in Herrnhut muß ich doch noch beson-
ders gedenken: nämlich der dortigen Ortsherrschaft, welche aus
dem Baron von Wattewille und seiner Gemahlin, einer
gebornen Gräfin von Zinzendorf, besteht; diese würdige
Dame ist ihrem seligen Vater sehr ähnlich, und fließt auch eben
so von Gottes- und Menschenliebe über; auch ihr Gemahl ist
ein edler und Gottliebender Mann; Beide erzeigten Stilling
und Elise viele Freundschaft.

Stilling operirte in Herrnhut verschiedene Personen,
und ging einigen Hunderten mit Rath und That an die Hand.

Verhaͤltniß kamen, bemerken wollen, ſo muͤßte das der Menge
der vortrefflichen Seelen aus der Buͤrgerſchaft wieder leid thun,
und das mit Recht: denn in dem Verhaͤltniß, worinnen man
in Herrnhut ſteht, iſt man Allen im Herrn Jeſu Chriſto
verſchwiſtert, da gilt kein Stand mehr etwas, ſondern die neue
Kreatur, die aus Waſſer und Geiſt wiedergeboren iſt. Wer
uͤbrigens Herrnhut in ſeiner religioͤſen und politiſchen Ver-
faſſung gern kennen moͤchte, der leſe nur Paſtor Frohbergers
Briefe uͤber Herrnhut, da findet er Alles genau beſchrieben.

Die Feier der Charwoche iſt in allen Bruͤdergemeinden, vor-
zuͤglich aber in Herrnhut, herzerhebend und himmliſch; Stil-
ling
und Eliſe wohnten allen Stunden, die ihr gewidmet
ſind, fleißig und andaͤchtig bei: auch erlaubten ihnen die ehr-
wuͤrdigen Biſchoͤfe und Vorſteher, am gruͤnen Donnerſtag Abends
mit der Gemeinde zu communiziren; dieſe Communion iſt, was
ſie eigentlich ſeyn ſoll: eine feierliche Vereinigung mit dem Haupte
Chriſto und mit allen ſeinen Gliedern unter allen Religions-
partheien. Was ein chriſtlichgeſinntes Herz in dieſer Stunde
empfindet, und wie einem da zu Muth iſt, das kann nicht be-
ſchrieben, ſondern es muß erfahren werden. Es war Stil-
ling
zu dieſer Zeit zu Muth, als wenn er zu ſeiner neuen kuͤnf-
tigen Beſtimmung eingeweiht wuͤrde; und zu ſolch einer Ein-
weihung war denn freilich kein Ort geſchickter, als der, wo Je-
ſus Chriſtus
und ſeine Religion vielleicht am reinſten und lau-
terſten in der ganzen Welt bekannt und gelehrt wird, als der
Ort, wo nach dem Verhaͤltniß der Menſchenzahl uͤberhaupt,
gewiß die mehreſten wahren Chriſten wohnen.

Zweier Perſonen in Herrnhut muß ich doch noch beſon-
ders gedenken: naͤmlich der dortigen Ortsherrſchaft, welche aus
dem Baron von Wattewille und ſeiner Gemahlin, einer
gebornen Graͤfin von Zinzendorf, beſteht; dieſe wuͤrdige
Dame iſt ihrem ſeligen Vater ſehr aͤhnlich, und fließt auch eben
ſo von Gottes- und Menſchenliebe uͤber; auch ihr Gemahl iſt
ein edler und Gottliebender Mann; Beide erzeigten Stilling
und Eliſe viele Freundſchaft.

Stilling operirte in Herrnhut verſchiedene Perſonen,
und ging einigen Hunderten mit Rath und That an die Hand.

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[574/0582] Verhaͤltniß kamen, bemerken wollen, ſo muͤßte das der Menge der vortrefflichen Seelen aus der Buͤrgerſchaft wieder leid thun, und das mit Recht: denn in dem Verhaͤltniß, worinnen man in Herrnhut ſteht, iſt man Allen im Herrn Jeſu Chriſto verſchwiſtert, da gilt kein Stand mehr etwas, ſondern die neue Kreatur, die aus Waſſer und Geiſt wiedergeboren iſt. Wer uͤbrigens Herrnhut in ſeiner religioͤſen und politiſchen Ver- faſſung gern kennen moͤchte, der leſe nur Paſtor Frohbergers Briefe uͤber Herrnhut, da findet er Alles genau beſchrieben. Die Feier der Charwoche iſt in allen Bruͤdergemeinden, vor- zuͤglich aber in Herrnhut, herzerhebend und himmliſch; Stil- ling und Eliſe wohnten allen Stunden, die ihr gewidmet ſind, fleißig und andaͤchtig bei: auch erlaubten ihnen die ehr- wuͤrdigen Biſchoͤfe und Vorſteher, am gruͤnen Donnerſtag Abends mit der Gemeinde zu communiziren; dieſe Communion iſt, was ſie eigentlich ſeyn ſoll: eine feierliche Vereinigung mit dem Haupte Chriſto und mit allen ſeinen Gliedern unter allen Religions- partheien. Was ein chriſtlichgeſinntes Herz in dieſer Stunde empfindet, und wie einem da zu Muth iſt, das kann nicht be- ſchrieben, ſondern es muß erfahren werden. Es war Stil- ling zu dieſer Zeit zu Muth, als wenn er zu ſeiner neuen kuͤnf- tigen Beſtimmung eingeweiht wuͤrde; und zu ſolch einer Ein- weihung war denn freilich kein Ort geſchickter, als der, wo Je- ſus Chriſtus und ſeine Religion vielleicht am reinſten und lau- terſten in der ganzen Welt bekannt und gelehrt wird, als der Ort, wo nach dem Verhaͤltniß der Menſchenzahl uͤberhaupt, gewiß die mehreſten wahren Chriſten wohnen. Zweier Perſonen in Herrnhut muß ich doch noch beſon- ders gedenken: naͤmlich der dortigen Ortsherrſchaft, welche aus dem Baron von Wattewille und ſeiner Gemahlin, einer gebornen Graͤfin von Zinzendorf, beſteht; dieſe wuͤrdige Dame iſt ihrem ſeligen Vater ſehr aͤhnlich, und fließt auch eben ſo von Gottes- und Menſchenliebe uͤber; auch ihr Gemahl iſt ein edler und Gottliebender Mann; Beide erzeigten Stilling und Eliſe viele Freundſchaft. Stilling operirte in Herrnhut verſchiedene Perſonen, und ging einigen Hunderten mit Rath und That an die Hand.

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/582>, abgerufen am 22.11.2024.