Anstößige; er konnte also unmöglich denken, daß eine so ortho- doxe Schrift, welche Religiosität, die allgemeine Ruhe und Sicher- heit, und die Erhaltung des Gehorsams und der Liebe der Unter- thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Ursach zu diesem, für die Universität so traurigen Gesetz gegeben habe; um aber doch zur Gewißheit in dieser Sache zu kommen, schrieb er einen sehr höflichen und herzlichen Brief an einen gewissen Herrn in Kassel, dem er in seinem Leben kein Haar gekränkt hatte, und erkundigte sich mit Bescheidenheit nach der Ursache des harten Censurrescripts -- allein wie erschrack er, als er in einer ziem- lich stachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam: der graue Mann habe das Censurrescript veran- laßt -- nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt, und nun kann sich Jeder leicht vorstellen, wie Stilling zu Muthe seyn mußte, wenn er bedachte, daß er die Veranlassung zu einer, für die Universität so schweren, Bürde gegeben habe; jetzt war er nun auf Einmal mit Marburg und Hessen fertig; -- Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr sein Schicksal vollends entschied. Daß der Kurfürst von Hessen an diesem Rescript durchaus unschuldig war, das brauche ich wohl nicht zu erinnern. -- Wie kann ein großer Herr alle Schriften lesen und prüfen? -- diese und noch viele andere Sachen muß er sachkundigen Männern zur Entscheidung überlassen. Ich berufe mich auf alle Leser des grauen Mannes, und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den Reichscensurgesetzen entgegen ist, so will ich verloren haben.
Hätte man nun nicht Stillingen einen Wink geben sol- len, er möchte doch den grauen Mann nicht schrei- ben? -- ihn aber der ganzen Universität, allen seinen Kolle- gen zum Stein des Anstoßes zu machen, das war sehr hart für einen Mann, der dem Fürsten und dem Staat sechzehen Jahr lang mit aller Treue gedient hat.
Ja, wahrlich! jetzt war in Hessen Stillings Bleibens nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor- her in Karlsruhe eine frohe Aussicht erhalten hatte. Er erklärte öffentlich, und auch in seinem Votum, welches auf sein Verlangen der Vorstellung der Universität an den Kurfürsten
Anſtoͤßige; er konnte alſo unmoͤglich denken, daß eine ſo ortho- doxe Schrift, welche Religioſitaͤt, die allgemeine Ruhe und Sicher- heit, und die Erhaltung des Gehorſams und der Liebe der Unter- thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Urſach zu dieſem, fuͤr die Univerſitaͤt ſo traurigen Geſetz gegeben habe; um aber doch zur Gewißheit in dieſer Sache zu kommen, ſchrieb er einen ſehr hoͤflichen und herzlichen Brief an einen gewiſſen Herrn in Kaſſel, dem er in ſeinem Leben kein Haar gekraͤnkt hatte, und erkundigte ſich mit Beſcheidenheit nach der Urſache des harten Cenſurreſcripts — allein wie erſchrack er, als er in einer ziem- lich ſtachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam: der graue Mann habe das Cenſurreſcript veran- laßt — nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt, und nun kann ſich Jeder leicht vorſtellen, wie Stilling zu Muthe ſeyn mußte, wenn er bedachte, daß er die Veranlaſſung zu einer, fuͤr die Univerſitaͤt ſo ſchweren, Buͤrde gegeben habe; jetzt war er nun auf Einmal mit Marburg und Heſſen fertig; — Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr ſein Schickſal vollends entſchied. Daß der Kurfuͤrſt von Heſſen an dieſem Reſcript durchaus unſchuldig war, das brauche ich wohl nicht zu erinnern. — Wie kann ein großer Herr alle Schriften leſen und pruͤfen? — dieſe und noch viele andere Sachen muß er ſachkundigen Maͤnnern zur Entſcheidung uͤberlaſſen. Ich berufe mich auf alle Leſer des grauen Mannes, und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den Reichscenſurgeſetzen entgegen iſt, ſo will ich verloren haben.
Haͤtte man nun nicht Stillingen einen Wink geben ſol- len, er moͤchte doch den grauen Mann nicht ſchrei- ben? — ihn aber der ganzen Univerſitaͤt, allen ſeinen Kolle- gen zum Stein des Anſtoßes zu machen, das war ſehr hart fuͤr einen Mann, der dem Fuͤrſten und dem Staat ſechzehen Jahr lang mit aller Treue gedient hat.
Ja, wahrlich! jetzt war in Heſſen Stillings Bleibens nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor- her in Karlsruhe eine frohe Ausſicht erhalten hatte. Er erklaͤrte oͤffentlich, und auch in ſeinem Votum, welches auf ſein Verlangen der Vorſtellung der Univerſitaͤt an den Kurfuͤrſten
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Anſtoͤßige; er konnte alſo unmoͤglich denken, daß eine ſo ortho-
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heit, und die Erhaltung des Gehorſams und der Liebe der Unter-
thanen gegen ihre Regenten zum Zweck hat, Urſach zu dieſem,
fuͤr die Univerſitaͤt ſo traurigen Geſetz gegeben habe; um aber
doch zur Gewißheit in dieſer Sache zu kommen, ſchrieb er einen
ſehr hoͤflichen und herzlichen Brief an einen gewiſſen Herrn in
Kaſſel, dem er in ſeinem Leben kein Haar gekraͤnkt hatte, und
erkundigte ſich mit Beſcheidenheit nach der Urſache des harten
Cenſurreſcripts — allein wie erſchrack er, als er in einer ziem-
lich ſtachlichten, nicht liebevollen Antwort, die Nachricht bekam:
der graue Mann habe das Cenſurreſcript veran-
laßt — nach und nach wurde dieß auch allgemein bekannt,
und nun kann ſich Jeder leicht vorſtellen, wie Stilling zu
Muthe ſeyn mußte, wenn er bedachte, daß er die Veranlaſſung
zu einer, fuͤr die Univerſitaͤt ſo ſchweren, Buͤrde gegeben habe;
jetzt war er nun auf Einmal mit Marburg und Heſſen
fertig; — Zeit und Weile wurden ihm zu lang, bis der Herr
ſein Schickſal vollends entſchied. Daß der Kurfuͤrſt von
Heſſen an dieſem Reſcript durchaus unſchuldig war, das
brauche ich wohl nicht zu erinnern. — Wie kann ein großer
Herr alle Schriften leſen und pruͤfen? — dieſe und noch viele
andere Sachen muß er ſachkundigen Maͤnnern zur Entſcheidung
uͤberlaſſen. Ich berufe mich auf alle Leſer des grauen Mannes,
und wenn mir einer eine einzige Stelle zeigen kann, die den
Reichscenſurgeſetzen entgegen iſt, ſo will ich verloren haben.
Haͤtte man nun nicht Stillingen einen Wink geben ſol-
len, er moͤchte doch den grauen Mann nicht ſchrei-
ben? — ihn aber der ganzen Univerſitaͤt, allen ſeinen Kolle-
gen zum Stein des Anſtoßes zu machen, das war ſehr hart
fuͤr einen Mann, der dem Fuͤrſten und dem Staat ſechzehen
Jahr lang mit aller Treue gedient hat.
Ja, wahrlich! jetzt war in Heſſen Stillings Bleibens
nicht mehr, und wie gut war es, daß er nun gerade kurz vor-
her in Karlsruhe eine frohe Ausſicht erhalten hatte. Er
erklaͤrte oͤffentlich, und auch in ſeinem Votum, welches auf ſein
Verlangen der Vorſtellung der Univerſitaͤt an den Kurfuͤrſten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/579>, abgerufen am 25.11.2024.
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