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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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rechte Brust war dick aufgeschwollen, und wenn man mit der
Hand darüber her streicht, so rauschte es; eine Rippe war
geknickt; hinten unter dem rechten Schulterblatt empfand er
heftige Schmerzen; an der rechten Schläfe hatte er eine
Wunde, die heftig blutete, und nur einen Strohhalm breit
von der Schlaf-Pulsader entfernt war, und in der rechten
Leiste und Hüfte empfand er heftige Schmerzen, so oft er den
Schenkel bewegte. Kurz, jede Bewegung war schmerzhaft.

Die Aerzte von Rothenburg, der Leibarzt Hofrath Meiß
und der Leibchirurgus Freiß, zwei sehr geschickte Männer,
fanden sich bald ein, und durch ihre treue Pflege und Gottes
Segen wurde Stilling in wenigen Tagen so weit wieder
hergestellt, daß er nach Marburg reisen konnte. Die Kutsche
aber konnten sie mit aller ihrer gelehrten Geschicklichkeit nicht
kuriren, aber sie sorgten denn doch auch für ihre Heilung:
diese wurde dem Hofsattler übertragen, der sie so gut wieder
herstellte, daß sie fester wurde als vorher.

Montags den 2. November wurde die Reise wieder nach
Marburg angetreten: Stilling ritt langsam, weil er in
den schrecklichen Wegen dem Fahren nicht traute, es war aber
auch rathsam: denn die Frauenzimmer und die Kinder wur-
den noch einmal -- doch ohne Schaden umgeworfen. Coing
begleitete seinen Schwager zu Pferd bis Mabern, wo Ka-
roline
sie erwartete; des folgenden Tages fuhren sie dann
Alle zusammen nach Marburg, weil von da an der Weg
Chausee ist, Coing ritt aber wieder nach Braach zurück.
Mit den Folgen dieses Falls hatte Stilling noch eine
Weile zu kämpfen, besonders blieb ihm noch lange ein Schwin-
del übrig, der aber endlich auch ganz verschwunden ist.

Stillings Zustand während dieser Braunschweiger
Reise bis daher, kann ich am besten durch ein Gleichniß be-
greiflich machen: Ein einsamer Reisender zu Fuß kommt am
Abend in einen Wald, durch diesen muß er noch, ehe er an
die Herberge kommt. Es wird Nacht, der Mond scheint im
jungen Licht, also nur dämmernd; jetzt gesellt sich ein sehr
verdächtiger, furchtbarer Mann zu ihm, dieser weicht nicht von
ihm, und machte immer Miene, ihn anzufallen und zu ermor-

rechte Bruſt war dick aufgeſchwollen, und wenn man mit der
Hand daruͤber her ſtreicht, ſo rauſchte es; eine Rippe war
geknickt; hinten unter dem rechten Schulterblatt empfand er
heftige Schmerzen; an der rechten Schlaͤfe hatte er eine
Wunde, die heftig blutete, und nur einen Strohhalm breit
von der Schlaf-Pulsader entfernt war, und in der rechten
Leiſte und Huͤfte empfand er heftige Schmerzen, ſo oft er den
Schenkel bewegte. Kurz, jede Bewegung war ſchmerzhaft.

Die Aerzte von Rothenburg, der Leibarzt Hofrath Meiß
und der Leibchirurgus Freiß, zwei ſehr geſchickte Maͤnner,
fanden ſich bald ein, und durch ihre treue Pflege und Gottes
Segen wurde Stilling in wenigen Tagen ſo weit wieder
hergeſtellt, daß er nach Marburg reiſen konnte. Die Kutſche
aber konnten ſie mit aller ihrer gelehrten Geſchicklichkeit nicht
kuriren, aber ſie ſorgten denn doch auch fuͤr ihre Heilung:
dieſe wurde dem Hofſattler uͤbertragen, der ſie ſo gut wieder
herſtellte, daß ſie feſter wurde als vorher.

Montags den 2. November wurde die Reiſe wieder nach
Marburg angetreten: Stilling ritt langſam, weil er in
den ſchrecklichen Wegen dem Fahren nicht traute, es war aber
auch rathſam: denn die Frauenzimmer und die Kinder wur-
den noch einmal — doch ohne Schaden umgeworfen. Coing
begleitete ſeinen Schwager zu Pferd bis Mabern, wo Ka-
roline
ſie erwartete; des folgenden Tages fuhren ſie dann
Alle zuſammen nach Marburg, weil von da an der Weg
Chauſee iſt, Coing ritt aber wieder nach Braach zuruͤck.
Mit den Folgen dieſes Falls hatte Stilling noch eine
Weile zu kaͤmpfen, beſonders blieb ihm noch lange ein Schwin-
del uͤbrig, der aber endlich auch ganz verſchwunden iſt.

Stillings Zuſtand waͤhrend dieſer Braunſchweiger
Reiſe bis daher, kann ich am beſten durch ein Gleichniß be-
greiflich machen: Ein einſamer Reiſender zu Fuß kommt am
Abend in einen Wald, durch dieſen muß er noch, ehe er an
die Herberge kommt. Es wird Nacht, der Mond ſcheint im
jungen Licht, alſo nur daͤmmernd; jetzt geſellt ſich ein ſehr
verdaͤchtiger, furchtbarer Mann zu ihm, dieſer weicht nicht von
ihm, und machte immer Miene, ihn anzufallen und zu ermor-

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[552/0560] rechte Bruſt war dick aufgeſchwollen, und wenn man mit der Hand daruͤber her ſtreicht, ſo rauſchte es; eine Rippe war geknickt; hinten unter dem rechten Schulterblatt empfand er heftige Schmerzen; an der rechten Schlaͤfe hatte er eine Wunde, die heftig blutete, und nur einen Strohhalm breit von der Schlaf-Pulsader entfernt war, und in der rechten Leiſte und Huͤfte empfand er heftige Schmerzen, ſo oft er den Schenkel bewegte. Kurz, jede Bewegung war ſchmerzhaft. Die Aerzte von Rothenburg, der Leibarzt Hofrath Meiß und der Leibchirurgus Freiß, zwei ſehr geſchickte Maͤnner, fanden ſich bald ein, und durch ihre treue Pflege und Gottes Segen wurde Stilling in wenigen Tagen ſo weit wieder hergeſtellt, daß er nach Marburg reiſen konnte. Die Kutſche aber konnten ſie mit aller ihrer gelehrten Geſchicklichkeit nicht kuriren, aber ſie ſorgten denn doch auch fuͤr ihre Heilung: dieſe wurde dem Hofſattler uͤbertragen, der ſie ſo gut wieder herſtellte, daß ſie feſter wurde als vorher. Montags den 2. November wurde die Reiſe wieder nach Marburg angetreten: Stilling ritt langſam, weil er in den ſchrecklichen Wegen dem Fahren nicht traute, es war aber auch rathſam: denn die Frauenzimmer und die Kinder wur- den noch einmal — doch ohne Schaden umgeworfen. Coing begleitete ſeinen Schwager zu Pferd bis Mabern, wo Ka- roline ſie erwartete; des folgenden Tages fuhren ſie dann Alle zuſammen nach Marburg, weil von da an der Weg Chauſee iſt, Coing ritt aber wieder nach Braach zuruͤck. Mit den Folgen dieſes Falls hatte Stilling noch eine Weile zu kaͤmpfen, beſonders blieb ihm noch lange ein Schwin- del uͤbrig, der aber endlich auch ganz verſchwunden iſt. Stillings Zuſtand waͤhrend dieſer Braunſchweiger Reiſe bis daher, kann ich am beſten durch ein Gleichniß be- greiflich machen: Ein einſamer Reiſender zu Fuß kommt am Abend in einen Wald, durch dieſen muß er noch, ehe er an die Herberge kommt. Es wird Nacht, der Mond ſcheint im jungen Licht, alſo nur daͤmmernd; jetzt geſellt ſich ein ſehr verdaͤchtiger, furchtbarer Mann zu ihm, dieſer weicht nicht von ihm, und machte immer Miene, ihn anzufallen und zu ermor-

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/560>, abgerufen am 25.11.2024.