immer daran, daß ich meinen Fehler erkannt habe, und nun noch will ich mich ändern. Gott ist ein Vater, auch über die irrenden Kinder. Nun höret noch eine Ermahnung von mir, und folgt derselben: Alles was ihr thut, das überlegt vorher wohl, ob es auch Andern nützlich seyn könne. Findet ihr, daß es nur euch dienlich ist, so denkt: das ist ein Werk ohne Belohnung. Nur wo wir dem Nächsten dienen, da belohnt uns Gott! Ich habe arm und unbemerkt in der Welt dahin- gewandelt, und wann ich todt bin, dann wird man meiner bald vergessen: ich aber werde Barmherzigkeit finden vor dem Thron Christi, und selig seyn." -- Nun gingen sie wieder nach Haus, und Moritz blieb immer traurig. Er ging um- her, tröstete die Arme und betete mit ihnen. Auch arbeitete er und machte Uhren, womit er sein Brod erwarb, und noch Etwas übrig behielt. Doch dieses währte nicht lange, denn den folgenden Winter verlor man ihn; man fand ihn nach dreien Tagen unter dem Schnee und war todt gefroren.
Nach diesem traurigen Zufall entdeckte man in Stillings Hause eine wichtige Neuigkeit. Dortchen war gesegneten Leibes, und Jedermann freuete sich auf ein Kind, deren in vielen Jahren kein's im Hause gewesen war. Mit was für Mühe und Fleiß man sich auf Dortchens Entbindung ge- rüstet, ist nicht zu sagen. Der alte Stilling selbst freute sich auf einen Enkel, und hoffte noch einmal vor seinem Ende seine alten Wiegenlieder zu singen und seine Erziehungskunst zu beweisen.
Nun nahete der Tag der Niederkunft heran, und 1740 den 12ten September, Abends um 8 Uhr, wurde Heinrich Stil- ling geboren. Der Knabe war frisch, gesund und wohl, und seine Mutter wurde gleichfalls, gegen die Weissagungen der Tiefenbacher Sybillen, geschwind wieder besser.
Das Kind wurde in der Florenburger Kirche getauft. Vater Stilling aber, um diesen Tag feierlicher zu machen, richtete ein Mahl an, bei welchem er den Herrn Pastor Stoll- bein zu sehen wünschte. Er schickte daher seinen Sohn Jo-
immer daran, daß ich meinen Fehler erkannt habe, und nun noch will ich mich aͤndern. Gott iſt ein Vater, auch uͤber die irrenden Kinder. Nun hoͤret noch eine Ermahnung von mir, und folgt derſelben: Alles was ihr thut, das uͤberlegt vorher wohl, ob es auch Andern nuͤtzlich ſeyn koͤnne. Findet ihr, daß es nur euch dienlich iſt, ſo denkt: das iſt ein Werk ohne Belohnung. Nur wo wir dem Naͤchſten dienen, da belohnt uns Gott! Ich habe arm und unbemerkt in der Welt dahin- gewandelt, und wann ich todt bin, dann wird man meiner bald vergeſſen: ich aber werde Barmherzigkeit finden vor dem Thron Chriſti, und ſelig ſeyn.“ — Nun gingen ſie wieder nach Haus, und Moritz blieb immer traurig. Er ging um- her, troͤſtete die Arme und betete mit ihnen. Auch arbeitete er und machte Uhren, womit er ſein Brod erwarb, und noch Etwas uͤbrig behielt. Doch dieſes waͤhrte nicht lange, denn den folgenden Winter verlor man ihn; man fand ihn nach dreien Tagen unter dem Schnee und war todt gefroren.
Nach dieſem traurigen Zufall entdeckte man in Stillings Hauſe eine wichtige Neuigkeit. Dortchen war geſegneten Leibes, und Jedermann freuete ſich auf ein Kind, deren in vielen Jahren kein’s im Hauſe geweſen war. Mit was fuͤr Muͤhe und Fleiß man ſich auf Dortchens Entbindung ge- ruͤſtet, iſt nicht zu ſagen. Der alte Stilling ſelbſt freute ſich auf einen Enkel, und hoffte noch einmal vor ſeinem Ende ſeine alten Wiegenlieder zu ſingen und ſeine Erziehungskunſt zu beweiſen.
Nun nahete der Tag der Niederkunft heran, und 1740 den 12ten September, Abends um 8 Uhr, wurde Heinrich Stil- ling geboren. Der Knabe war friſch, geſund und wohl, und ſeine Mutter wurde gleichfalls, gegen die Weiſſagungen der Tiefenbacher Sybillen, geſchwind wieder beſſer.
Das Kind wurde in der Florenburger Kirche getauft. Vater Stilling aber, um dieſen Tag feierlicher zu machen, richtete ein Mahl an, bei welchem er den Herrn Paſtor Stoll- bein zu ſehen wuͤnſchte. Er ſchickte daher ſeinen Sohn Jo-
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immer daran, daß ich meinen Fehler erkannt habe, und nun
noch will ich mich aͤndern. Gott iſt ein Vater, auch uͤber die
irrenden Kinder. Nun hoͤret noch eine Ermahnung von mir,
und folgt derſelben: Alles was ihr thut, das uͤberlegt vorher
wohl, ob es auch Andern nuͤtzlich ſeyn koͤnne. Findet ihr,
daß es nur euch dienlich iſt, ſo denkt: das iſt ein Werk ohne
Belohnung. Nur wo wir dem Naͤchſten dienen, da belohnt
uns Gott! Ich habe arm und unbemerkt in der Welt dahin-
gewandelt, und wann ich todt bin, dann wird man meiner
bald vergeſſen: ich aber werde Barmherzigkeit finden vor dem
Thron Chriſti, und ſelig ſeyn.“ — Nun gingen ſie wieder
nach Haus, und Moritz blieb immer traurig. Er ging um-
her, troͤſtete die Arme und betete mit ihnen. Auch arbeitete
er und machte Uhren, womit er ſein Brod erwarb, und noch
Etwas uͤbrig behielt. Doch dieſes waͤhrte nicht lange, denn
den folgenden Winter verlor man ihn; man fand ihn nach dreien
Tagen unter dem Schnee und war todt gefroren.
Nach dieſem traurigen Zufall entdeckte man in Stillings
Hauſe eine wichtige Neuigkeit. Dortchen war geſegneten
Leibes, und Jedermann freuete ſich auf ein Kind, deren in
vielen Jahren kein’s im Hauſe geweſen war. Mit was fuͤr
Muͤhe und Fleiß man ſich auf Dortchens Entbindung ge-
ruͤſtet, iſt nicht zu ſagen. Der alte Stilling ſelbſt freute
ſich auf einen Enkel, und hoffte noch einmal vor ſeinem Ende
ſeine alten Wiegenlieder zu ſingen und ſeine Erziehungskunſt
zu beweiſen.
Nun nahete der Tag der Niederkunft heran, und 1740 den
12ten September, Abends um 8 Uhr, wurde Heinrich Stil-
ling geboren. Der Knabe war friſch, geſund und wohl, und
ſeine Mutter wurde gleichfalls, gegen die Weiſſagungen der
Tiefenbacher Sybillen, geſchwind wieder beſſer.
Das Kind wurde in der Florenburger Kirche getauft.
Vater Stilling aber, um dieſen Tag feierlicher zu machen,
richtete ein Mahl an, bei welchem er den Herrn Paſtor Stoll-
bein zu ſehen wuͤnſchte. Er ſchickte daher ſeinen Sohn Jo-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/54>, abgerufen am 24.11.2024.
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