Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
heiten, wo Hülfe nöthig war, holte; denn ihre drei Söhne hat-
ten nun Handwerke gelernt, und waren in der Fremde; sie
selbst aber bekam eine Stelle in dem Bürgerstift zu St. Ja-
kob
in Marburg, so daß sie also nun versorgt ist; sie war
aber doch die mehreste Zeit in Stillings Hause, wo immer
genug für sie zu thun war. Zur Aufwartung bei Vater Wil-
helm
war sie aber nicht zu gebrauchen, weil sie gegen so
Etwas einen übertriebenen Eckel hatte. Endlich kam dann noch
14. eine ordentliche Magd hinzu, welche in einer solchen
Haushaltung natürlicher Weise unentbehrlich ist. Jeder ver-
nünftige Leser, der die Einrichtung einer Stadthaushaltung
kennt, wo Alles für baares Geld gekauft, und auch der stan-
desmäßige Wohlstand beobachtet werden muß, und dann auch
noch Stillings Verhältnisse in Ansehung der armen Staar-
blinden weiß, der begreift leicht, daß er in solchen theuren Zei-
ten keine Schulden abtragen konnte; doch wurden die Zinsen
immer richtig bezahlt, und keine neue Schulden gemacht.

Bei dieser häuslichen Lage denke man sich nun Stillings
Gedränge in seinem Wirkungskreis:

1) Einen beständigen schriftlichen und persönlichen Zulauf
von Augenpatienten aller Art, aus der Nähe und Ferne, so
daß dieser Beruf allein einen Mann beschäftigen konnte, indes-
sen aber außer den Reisen, in der häuslichen Praxis so viel
als nichts eintrug. Die Reisen aber übernahm er nur, wenn
er gerufen wurde, und zwar in den Ferien.

2) Eine ungemein große religiöse Correspondenz, deren Wich-
tigkeit und Nutzstiftung auf mancherlei Art nur der beurthei-
len kann, der die Briefe gesehen hat, und nun die Aufforde-
rung von allen Seiten, religiöse Bücher zu schreiben, und allein
für den Herrn und sein Reich zu wirken, wobei dann nun
wiederum nicht allein Nichts heraus kam, sondern wo die Ho-
norarien bei Weitem nicht zureichten, um das Postgeld zu be-
zahlen -- also hatte hier Stilling zwei äußerst wichtige,
weit und breit wohlthätig fruchtbare Berufsarten -- zu denen,
besonders zum religiösen Wirkungskreis, er sich nun auch gänz-
lich bestimmt und berufen fühlte, aber nun eine so schwere
und kostbare Haushaltung, und dann zwei Berufe, wo keine
Besoldung zu denken und zu erwarten war! -- wie ließ sich

heiten, wo Huͤlfe noͤthig war, holte; denn ihre drei Soͤhne hat-
ten nun Handwerke gelernt, und waren in der Fremde; ſie
ſelbſt aber bekam eine Stelle in dem Buͤrgerſtift zu St. Ja-
kob
in Marburg, ſo daß ſie alſo nun verſorgt iſt; ſie war
aber doch die mehreſte Zeit in Stillings Hauſe, wo immer
genug fuͤr ſie zu thun war. Zur Aufwartung bei Vater Wil-
helm
war ſie aber nicht zu gebrauchen, weil ſie gegen ſo
Etwas einen uͤbertriebenen Eckel hatte. Endlich kam dann noch
14. eine ordentliche Magd hinzu, welche in einer ſolchen
Haushaltung natuͤrlicher Weiſe unentbehrlich iſt. Jeder ver-
nuͤnftige Leſer, der die Einrichtung einer Stadthaushaltung
kennt, wo Alles fuͤr baares Geld gekauft, und auch der ſtan-
desmaͤßige Wohlſtand beobachtet werden muß, und dann auch
noch Stillings Verhaͤltniſſe in Anſehung der armen Staar-
blinden weiß, der begreift leicht, daß er in ſolchen theuren Zei-
ten keine Schulden abtragen konnte; doch wurden die Zinſen
immer richtig bezahlt, und keine neue Schulden gemacht.

Bei dieſer haͤuslichen Lage denke man ſich nun Stillings
Gedraͤnge in ſeinem Wirkungskreis:

1) Einen beſtaͤndigen ſchriftlichen und perſoͤnlichen Zulauf
von Augenpatienten aller Art, aus der Naͤhe und Ferne, ſo
daß dieſer Beruf allein einen Mann beſchaͤftigen konnte, indeſ-
ſen aber außer den Reiſen, in der haͤuslichen Praxis ſo viel
als nichts eintrug. Die Reiſen aber uͤbernahm er nur, wenn
er gerufen wurde, und zwar in den Ferien.

2) Eine ungemein große religioͤſe Correſpondenz, deren Wich-
tigkeit und Nutzſtiftung auf mancherlei Art nur der beurthei-
len kann, der die Briefe geſehen hat, und nun die Aufforde-
rung von allen Seiten, religioͤſe Buͤcher zu ſchreiben, und allein
fuͤr den Herrn und ſein Reich zu wirken, wobei dann nun
wiederum nicht allein Nichts heraus kam, ſondern wo die Ho-
norarien bei Weitem nicht zureichten, um das Poſtgeld zu be-
zahlen — alſo hatte hier Stilling zwei aͤußerſt wichtige,
weit und breit wohlthaͤtig fruchtbare Berufsarten — zu denen,
beſonders zum religioͤſen Wirkungskreis, er ſich nun auch gaͤnz-
lich beſtimmt und berufen fuͤhlte, aber nun eine ſo ſchwere
und koſtbare Haushaltung, und dann zwei Berufe, wo keine
Beſoldung zu denken und zu erwarten war! — wie ließ ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0532" n="524"/>
heiten, wo Hu&#x0364;lfe no&#x0364;thig war, holte; denn ihre drei So&#x0364;hne hat-<lb/>
ten nun Handwerke gelernt, und waren in der Fremde; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aber bekam eine Stelle in dem Bu&#x0364;rger&#x017F;tift zu St. <hi rendition="#g">Ja-<lb/>
kob</hi> in <hi rendition="#g">Marburg</hi>, &#x017F;o daß &#x017F;ie al&#x017F;o nun ver&#x017F;orgt i&#x017F;t; &#x017F;ie war<lb/>
aber doch die mehre&#x017F;te Zeit in <hi rendition="#g">Stillings</hi> Hau&#x017F;e, wo immer<lb/>
genug fu&#x0364;r &#x017F;ie zu thun war. Zur Aufwartung bei Vater <hi rendition="#g">Wil-<lb/>
helm</hi> war &#x017F;ie aber nicht zu gebrauchen, weil &#x017F;ie gegen &#x017F;o<lb/>
Etwas einen u&#x0364;bertriebenen Eckel hatte. Endlich kam dann noch</item><lb/>
              <item>14. eine ordentliche Magd hinzu, welche in einer &#x017F;olchen<lb/>
Haushaltung natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e unentbehrlich i&#x017F;t. Jeder ver-<lb/>
nu&#x0364;nftige Le&#x017F;er, der die Einrichtung einer Stadthaushaltung<lb/>
kennt, wo Alles fu&#x0364;r baares Geld gekauft, und auch der &#x017F;tan-<lb/>
desma&#x0364;ßige Wohl&#x017F;tand beobachtet werden muß, und dann auch<lb/>
noch <hi rendition="#g">Stillings</hi> Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e in An&#x017F;ehung der armen Staar-<lb/>
blinden weiß, der begreift leicht, daß er in &#x017F;olchen theuren Zei-<lb/>
ten keine Schulden abtragen konnte; doch wurden die Zin&#x017F;en<lb/>
immer richtig bezahlt, und keine neue Schulden gemacht.</item>
            </list><lb/>
            <p>Bei die&#x017F;er ha&#x0364;uslichen Lage denke man &#x017F;ich nun <hi rendition="#g">Stillings</hi><lb/>
Gedra&#x0364;nge in &#x017F;einem Wirkungskreis:</p><lb/>
            <p>1) Einen be&#x017F;ta&#x0364;ndigen &#x017F;chriftlichen und per&#x017F;o&#x0364;nlichen Zulauf<lb/>
von Augenpatienten aller Art, aus der Na&#x0364;he und Ferne, &#x017F;o<lb/>
daß die&#x017F;er Beruf allein einen Mann be&#x017F;cha&#x0364;ftigen konnte, inde&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en aber außer den Rei&#x017F;en, in der ha&#x0364;uslichen Praxis &#x017F;o viel<lb/>
als nichts eintrug. Die Rei&#x017F;en aber u&#x0364;bernahm er nur, wenn<lb/>
er gerufen wurde, und zwar in den Ferien.</p><lb/>
            <p>2) Eine ungemein große religio&#x0364;&#x017F;e Corre&#x017F;pondenz, deren Wich-<lb/>
tigkeit und Nutz&#x017F;tiftung auf mancherlei Art nur <hi rendition="#g">der</hi> beurthei-<lb/>
len kann, <hi rendition="#g">der</hi> die Briefe ge&#x017F;ehen hat, und nun die Aufforde-<lb/>
rung von allen Seiten, religio&#x0364;&#x017F;e Bu&#x0364;cher zu &#x017F;chreiben, und allein<lb/>
fu&#x0364;r den Herrn und &#x017F;ein Reich zu wirken, wobei dann nun<lb/>
wiederum nicht allein Nichts heraus kam, &#x017F;ondern wo die Ho-<lb/>
norarien bei Weitem nicht zureichten, um das Po&#x017F;tgeld zu be-<lb/>
zahlen &#x2014; al&#x017F;o hatte hier <hi rendition="#g">Stilling</hi> zwei a&#x0364;ußer&#x017F;t wichtige,<lb/>
weit und breit wohltha&#x0364;tig fruchtbare Berufsarten &#x2014; zu denen,<lb/>
be&#x017F;onders zum religio&#x0364;&#x017F;en Wirkungskreis, er &#x017F;ich nun auch ga&#x0364;nz-<lb/>
lich be&#x017F;timmt und berufen fu&#x0364;hlte, aber nun eine &#x017F;o &#x017F;chwere<lb/>
und ko&#x017F;tbare Haushaltung, und dann zwei Berufe, wo keine<lb/>
Be&#x017F;oldung zu denken und zu erwarten war! &#x2014; wie ließ &#x017F;ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[524/0532] heiten, wo Huͤlfe noͤthig war, holte; denn ihre drei Soͤhne hat- ten nun Handwerke gelernt, und waren in der Fremde; ſie ſelbſt aber bekam eine Stelle in dem Buͤrgerſtift zu St. Ja- kob in Marburg, ſo daß ſie alſo nun verſorgt iſt; ſie war aber doch die mehreſte Zeit in Stillings Hauſe, wo immer genug fuͤr ſie zu thun war. Zur Aufwartung bei Vater Wil- helm war ſie aber nicht zu gebrauchen, weil ſie gegen ſo Etwas einen uͤbertriebenen Eckel hatte. Endlich kam dann noch 14. eine ordentliche Magd hinzu, welche in einer ſolchen Haushaltung natuͤrlicher Weiſe unentbehrlich iſt. Jeder ver- nuͤnftige Leſer, der die Einrichtung einer Stadthaushaltung kennt, wo Alles fuͤr baares Geld gekauft, und auch der ſtan- desmaͤßige Wohlſtand beobachtet werden muß, und dann auch noch Stillings Verhaͤltniſſe in Anſehung der armen Staar- blinden weiß, der begreift leicht, daß er in ſolchen theuren Zei- ten keine Schulden abtragen konnte; doch wurden die Zinſen immer richtig bezahlt, und keine neue Schulden gemacht. Bei dieſer haͤuslichen Lage denke man ſich nun Stillings Gedraͤnge in ſeinem Wirkungskreis: 1) Einen beſtaͤndigen ſchriftlichen und perſoͤnlichen Zulauf von Augenpatienten aller Art, aus der Naͤhe und Ferne, ſo daß dieſer Beruf allein einen Mann beſchaͤftigen konnte, indeſ- ſen aber außer den Reiſen, in der haͤuslichen Praxis ſo viel als nichts eintrug. Die Reiſen aber uͤbernahm er nur, wenn er gerufen wurde, und zwar in den Ferien. 2) Eine ungemein große religioͤſe Correſpondenz, deren Wich- tigkeit und Nutzſtiftung auf mancherlei Art nur der beurthei- len kann, der die Briefe geſehen hat, und nun die Aufforde- rung von allen Seiten, religioͤſe Buͤcher zu ſchreiben, und allein fuͤr den Herrn und ſein Reich zu wirken, wobei dann nun wiederum nicht allein Nichts heraus kam, ſondern wo die Ho- norarien bei Weitem nicht zureichten, um das Poſtgeld zu be- zahlen — alſo hatte hier Stilling zwei aͤußerſt wichtige, weit und breit wohlthaͤtig fruchtbare Berufsarten — zu denen, beſonders zum religioͤſen Wirkungskreis, er ſich nun auch gaͤnz- lich beſtimmt und berufen fuͤhlte, aber nun eine ſo ſchwere und koſtbare Haushaltung, und dann zwei Berufe, wo keine Beſoldung zu denken und zu erwarten war! — wie ließ ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/532
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/532>, abgerufen am 22.11.2024.