und erbaut worden. Dieß bewog sie, mit Lavatern in ei- nen Briefwechsel zu treten; da sie aber gegründete Ursachen hatte, verborgen zu bleiben, so entdeckte sie sich Lavatern nie; -- er correspondirte also lange mit einer gewissen Julie im nördlichen Deutschland, ohne nur von Ferne zu ahnen, wer sie sey; er schickte ihr manches Erinnerungszeichen, wie das so seine Art war; dieß alles geschahe aber durch Pas- savant, der allein um ihr Geheimniß wußte und sie kannte. Jetzt in Lavaters schweren Leiden hörte Stilling zuerst etwas von Julien, er schrieb also an Passavant, er möchte ihm doch wo möglich entdecken, wer die Julie sey? -- Nach einiger Zeit erfolgte dann auch diese Entdeckung.
Julie ist die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters Eicke, eines redlichen und ehrlichen Mannes zu Hannöverisch- Minden; sie war mit dem bekannten und rechtschaffenen Theologen Richerz verheirathet, welcher zuerst Universitäts- Prediger in Göttingen, und zuletzt Superintendent zu Giff- horn im Hannöverischen war; er ist durch mehrere gute theo- logische Schriften berühmt geworden, und er starb auch als ein wahrer Christ, nach einer langwierigen Krankheit, an der Auszehrung. Julie war ebenfalls von jeher sehr schwächlich und kränklich; sie litt an ihrem eigenen Körper außerordent- lich viel, und mußte auch noch ihren kranken Gatten pflegen; hätte sie ihr munterer Geist und ihr ruhiges Hingeben in den Willen Gottes, überhaupt ihr christlicher Sinn nicht aufrecht erhalten, so hätte sie Alles, was ihr die Liebe auferlegte, nicht ertragen können. Sie hatte nie Kinder, und lebte als Wittwe in ihrer Vaterstadt Minden; jetzt war nun ihr Vater sehr alt und schwächlich, sie hielt es daher für Pflicht, ihn zu war- ten und zu pflegen, und wohnte also auch bei ihm im Hause.
Von nun an correspondirte Stilling sehr fleißig mit Julie, und die Gegenstände ihrer Briefe waren Lavaters Leiden, und dann das einzige Nothwendige, um welches es jedem Christen vorzüglich zu thun seyn muß.
Ach, dürfte doch Alles gesagt werden, was der Herr an den Seinigen thut! -- Ja! -- auch der Unglaubige würde -- erstaunen, aber doch nicht glauben.
und erbaut worden. Dieß bewog ſie, mit Lavatern in ei- nen Briefwechſel zu treten; da ſie aber gegruͤndete Urſachen hatte, verborgen zu bleiben, ſo entdeckte ſie ſich Lavatern nie; — er correſpondirte alſo lange mit einer gewiſſen Julie im noͤrdlichen Deutſchland, ohne nur von Ferne zu ahnen, wer ſie ſey; er ſchickte ihr manches Erinnerungszeichen, wie das ſo ſeine Art war; dieß alles geſchahe aber durch Paſ- ſavant, der allein um ihr Geheimniß wußte und ſie kannte. Jetzt in Lavaters ſchweren Leiden hoͤrte Stilling zuerſt etwas von Julien, er ſchrieb alſo an Paſſavant, er moͤchte ihm doch wo moͤglich entdecken, wer die Julie ſey? — Nach einiger Zeit erfolgte dann auch dieſe Entdeckung.
Julie iſt die Tochter des ehemaligen Buͤrgermeiſters Eicke, eines redlichen und ehrlichen Mannes zu Hannoͤveriſch- Minden; ſie war mit dem bekannten und rechtſchaffenen Theologen Richerz verheirathet, welcher zuerſt Univerſitaͤts- Prediger in Goͤttingen, und zuletzt Superintendent zu Giff- horn im Hannoͤveriſchen war; er iſt durch mehrere gute theo- logiſche Schriften beruͤhmt geworden, und er ſtarb auch als ein wahrer Chriſt, nach einer langwierigen Krankheit, an der Auszehrung. Julie war ebenfalls von jeher ſehr ſchwaͤchlich und kraͤnklich; ſie litt an ihrem eigenen Koͤrper außerordent- lich viel, und mußte auch noch ihren kranken Gatten pflegen; haͤtte ſie ihr munterer Geiſt und ihr ruhiges Hingeben in den Willen Gottes, uͤberhaupt ihr chriſtlicher Sinn nicht aufrecht erhalten, ſo haͤtte ſie Alles, was ihr die Liebe auferlegte, nicht ertragen koͤnnen. Sie hatte nie Kinder, und lebte als Wittwe in ihrer Vaterſtadt Minden; jetzt war nun ihr Vater ſehr alt und ſchwaͤchlich, ſie hielt es daher fuͤr Pflicht, ihn zu war- ten und zu pflegen, und wohnte alſo auch bei ihm im Hauſe.
Von nun an correſpondirte Stilling ſehr fleißig mit Julie, und die Gegenſtaͤnde ihrer Briefe waren Lavaters Leiden, und dann das einzige Nothwendige, um welches es jedem Chriſten vorzuͤglich zu thun ſeyn muß.
Ach, duͤrfte doch Alles geſagt werden, was der Herr an den Seinigen thut! — Ja! — auch der Unglaubige wuͤrde — erſtaunen, aber doch nicht glauben.
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und erbaut worden. Dieß bewog ſie, mit Lavatern in ei-
nen Briefwechſel zu treten; da ſie aber gegruͤndete Urſachen
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nie; — er correſpondirte alſo lange mit einer gewiſſen Julie
im noͤrdlichen Deutſchland, ohne nur von Ferne zu ahnen,
wer ſie ſey; er ſchickte ihr manches Erinnerungszeichen, wie
das ſo ſeine Art war; dieß alles geſchahe aber durch Paſ-
ſavant, der allein um ihr Geheimniß wußte und ſie kannte.
Jetzt in Lavaters ſchweren Leiden hoͤrte Stilling zuerſt
etwas von Julien, er ſchrieb alſo an Paſſavant, er moͤchte
ihm doch wo moͤglich entdecken, wer die Julie ſey? — Nach
einiger Zeit erfolgte dann auch dieſe Entdeckung.
Julie iſt die Tochter des ehemaligen Buͤrgermeiſters Eicke,
eines redlichen und ehrlichen Mannes zu Hannoͤveriſch-
Minden; ſie war mit dem bekannten und rechtſchaffenen
Theologen Richerz verheirathet, welcher zuerſt Univerſitaͤts-
Prediger in Goͤttingen, und zuletzt Superintendent zu Giff-
horn im Hannoͤveriſchen war; er iſt durch mehrere gute theo-
logiſche Schriften beruͤhmt geworden, und er ſtarb auch als
ein wahrer Chriſt, nach einer langwierigen Krankheit, an der
Auszehrung. Julie war ebenfalls von jeher ſehr ſchwaͤchlich
und kraͤnklich; ſie litt an ihrem eigenen Koͤrper außerordent-
lich viel, und mußte auch noch ihren kranken Gatten pflegen;
haͤtte ſie ihr munterer Geiſt und ihr ruhiges Hingeben in den
Willen Gottes, uͤberhaupt ihr chriſtlicher Sinn nicht aufrecht
erhalten, ſo haͤtte ſie Alles, was ihr die Liebe auferlegte, nicht
ertragen koͤnnen. Sie hatte nie Kinder, und lebte als Wittwe
in ihrer Vaterſtadt Minden; jetzt war nun ihr Vater ſehr
alt und ſchwaͤchlich, ſie hielt es daher fuͤr Pflicht, ihn zu war-
ten und zu pflegen, und wohnte alſo auch bei ihm im Hauſe.
Von nun an correſpondirte Stilling ſehr fleißig mit Julie,
und die Gegenſtaͤnde ihrer Briefe waren Lavaters Leiden,
und dann das einzige Nothwendige, um welches es jedem
Chriſten vorzuͤglich zu thun ſeyn muß.
Ach, duͤrfte doch Alles geſagt werden, was der Herr an den
Seinigen thut! — Ja! — auch der Unglaubige wuͤrde —
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/528>, abgerufen am 22.11.2024.
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