Brodmesser ab; sägte dann ein Brett genau vierkantig, und schabte es so lange, bis die Schnur just darum paßte. Nun mußte ja das viereckigte Brett genau so groß seyn, als der Zirkel des Mostfasses. Eberhard sprang auf einem Fuß her- um, verlachte die großen gelehrten Köpfe, daß sie aus dem einfältigen Dinge so viel Werks machten, und erzählte bei nächster Gelegenheit seinem Johann die Erfindung. Wir wollen die Wahrheit gestehen. Vater Stilling hatte wohl nichts Höhnisches in seinem Charakter: doch lief hier eine kleine Satyre mit unter; aber der Landmesser machte bald der Freude ein Ende, indem er sagte: Es ist die Frage nicht, Vater! ob ein Schreiner einen viereckigten Kasten machen könne, der just so viel Haber enthalte, als eine runde cylindrische Tonne; sondern es muß ausgemacht seyn, wie sich der Diameter des Zirkels gegen seine Peripherie verhalte, und dann, wie groß eine Seite des Quadrats seyn müsse, wenn es so groß als der Zirkel seyn soll. Aber in beiden Fällen darf an einem Facit nicht der tausendste Theil eines Haars fehlen. Es muß in der Theorie durch die Algebra bewirkt werden können, daß es wahr ist!
Der alte Stilling würde sich geschämt haben, wenn nicht die Gelehrsamkeit seines Sohns, und seine unmäßige Freude darüber, alles Schämen bei ihm verdrängt hätte. Er sagte deßwegen nichts weiter, als: Mit Gelehrten ist nicht gut disputiren; lachte, schüttelte den Kopf, und fuhr fort, von ei- nem birkenen Klotz Späne zu schneiden, womit man Feuer und Lichter, auch allenfalls eine Pfeife Tabak anzünden konnte. Dieses war so seine Beschäftigung bei müßigen Stunden.
Stillings Töchter waren stark und arbeitsam. Sie pfleg- ten die Erde, und sie gab ihnen reiche Nahrung im Garten und Felde. Dortchen aber hatte zarte Glieder und Hände, sie wurde geschwind müde, und dann seufzte sie und weinte. Unbarmherzig waren nun die Mädchen eben nicht; aber sie konnten doch nicht begreifen, warum ein Weibsbild, das eben so groß als ihrer Eine war, nicht auch eben so gut sollte ar- beiten können. Doch mußte ihre Schwägerin oft ausruhen,
Brodmeſſer ab; ſaͤgte dann ein Brett genau vierkantig, und ſchabte es ſo lange, bis die Schnur juſt darum paßte. Nun mußte ja das viereckigte Brett genau ſo groß ſeyn, als der Zirkel des Moſtfaſſes. Eberhard ſprang auf einem Fuß her- um, verlachte die großen gelehrten Koͤpfe, daß ſie aus dem einfaͤltigen Dinge ſo viel Werks machten, und erzaͤhlte bei naͤchſter Gelegenheit ſeinem Johann die Erfindung. Wir wollen die Wahrheit geſtehen. Vater Stilling hatte wohl nichts Hoͤhniſches in ſeinem Charakter: doch lief hier eine kleine Satyre mit unter; aber der Landmeſſer machte bald der Freude ein Ende, indem er ſagte: Es iſt die Frage nicht, Vater! ob ein Schreiner einen viereckigten Kaſten machen koͤnne, der juſt ſo viel Haber enthalte, als eine runde cylindriſche Tonne; ſondern es muß ausgemacht ſeyn, wie ſich der Diameter des Zirkels gegen ſeine Peripherie verhalte, und dann, wie groß eine Seite des Quadrats ſeyn muͤſſe, wenn es ſo groß als der Zirkel ſeyn ſoll. Aber in beiden Faͤllen darf an einem Facit nicht der tauſendſte Theil eines Haars fehlen. Es muß in der Theorie durch die Algebra bewirkt werden koͤnnen, daß es wahr iſt!
Der alte Stilling wuͤrde ſich geſchaͤmt haben, wenn nicht die Gelehrſamkeit ſeines Sohns, und ſeine unmaͤßige Freude daruͤber, alles Schaͤmen bei ihm verdraͤngt haͤtte. Er ſagte deßwegen nichts weiter, als: Mit Gelehrten iſt nicht gut diſputiren; lachte, ſchuͤttelte den Kopf, und fuhr fort, von ei- nem birkenen Klotz Spaͤne zu ſchneiden, womit man Feuer und Lichter, auch allenfalls eine Pfeife Tabak anzuͤnden konnte. Dieſes war ſo ſeine Beſchaͤftigung bei muͤßigen Stunden.
Stillings Toͤchter waren ſtark und arbeitſam. Sie pfleg- ten die Erde, und ſie gab ihnen reiche Nahrung im Garten und Felde. Dortchen aber hatte zarte Glieder und Haͤnde, ſie wurde geſchwind muͤde, und dann ſeufzte ſie und weinte. Unbarmherzig waren nun die Maͤdchen eben nicht; aber ſie konnten doch nicht begreifen, warum ein Weibsbild, das eben ſo groß als ihrer Eine war, nicht auch eben ſo gut ſollte ar- beiten koͤnnen. Doch mußte ihre Schwaͤgerin oft ausruhen,
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Brodmeſſer ab; ſaͤgte dann ein Brett genau vierkantig, und
ſchabte es ſo lange, bis die Schnur juſt darum paßte. Nun
mußte ja das viereckigte Brett genau ſo groß ſeyn, als der
Zirkel des Moſtfaſſes. Eberhard ſprang auf einem Fuß her-
um, verlachte die großen gelehrten Koͤpfe, daß ſie aus
dem einfaͤltigen Dinge ſo viel Werks machten, und erzaͤhlte
bei naͤchſter Gelegenheit ſeinem Johann die Erfindung. Wir
wollen die Wahrheit geſtehen. Vater Stilling hatte wohl nichts
Hoͤhniſches in ſeinem Charakter: doch lief hier eine kleine
Satyre mit unter; aber der Landmeſſer machte bald der Freude
ein Ende, indem er ſagte: Es iſt die Frage nicht, Vater!
ob ein Schreiner einen viereckigten Kaſten machen koͤnne, der
juſt ſo viel Haber enthalte, als eine runde cylindriſche Tonne;
ſondern es muß ausgemacht ſeyn, wie ſich der Diameter des
Zirkels gegen ſeine Peripherie verhalte, und dann, wie groß
eine Seite des Quadrats ſeyn muͤſſe, wenn es ſo groß als der
Zirkel ſeyn ſoll. Aber in beiden Faͤllen darf an einem Facit
nicht der tauſendſte Theil eines Haars fehlen. Es muß in
der Theorie durch die Algebra bewirkt werden koͤnnen, daß es
wahr iſt!
Der alte Stilling wuͤrde ſich geſchaͤmt haben, wenn nicht
die Gelehrſamkeit ſeines Sohns, und ſeine unmaͤßige Freude
daruͤber, alles Schaͤmen bei ihm verdraͤngt haͤtte. Er ſagte
deßwegen nichts weiter, als: Mit Gelehrten iſt nicht gut
diſputiren; lachte, ſchuͤttelte den Kopf, und fuhr fort, von ei-
nem birkenen Klotz Spaͤne zu ſchneiden, womit man Feuer
und Lichter, auch allenfalls eine Pfeife Tabak anzuͤnden konnte.
Dieſes war ſo ſeine Beſchaͤftigung bei muͤßigen Stunden.
Stillings Toͤchter waren ſtark und arbeitſam. Sie pfleg-
ten die Erde, und ſie gab ihnen reiche Nahrung im Garten
und Felde. Dortchen aber hatte zarte Glieder und Haͤnde,
ſie wurde geſchwind muͤde, und dann ſeufzte ſie und weinte.
Unbarmherzig waren nun die Maͤdchen eben nicht; aber ſie
konnten doch nicht begreifen, warum ein Weibsbild, das eben
ſo groß als ihrer Eine war, nicht auch eben ſo gut ſollte ar-
beiten koͤnnen. Doch mußte ihre Schwaͤgerin oft ausruhen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/52>, abgerufen am 28.11.2024.
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