reinen Luft in der schönen Natur mehr Stärkung, Erholung und Aufheiterung zu erhalten; auch Elise hatte dieses alles nöthig; denn durch ihr Halsziehen wurden auch die Brust- muskeln in ihrer freien Bewegung gehindert, dadurch bekam sie ein bald stärkeres, bald schwächeres Drücken auf die Brust, welches sie noch bis auf den heutigen Tag ängstigt und zu Zeiten außerordentlich schwermüthig macht -- auch ihr Weg ist recht Stillings-artig, und dieß macht ihrem, sie so zärt- lich liebenden Mann oft seine Bürde schwerer.
Von nun an wohnte Stilling mit seiner Familie vier Jahre lang einen großen Theil des Frühlings, Sommers und Herbstes in Ockershausen in einem ar[ - 2 Zeichen fehlen]en Hause, an welchem ein schöner Obstgarten nebst einer Laube ist, und aus welchem man eine schöne Aussicht auf den Lahnberg hat. Seine Kollegien aber las er in der Stadt in seinem Hause.
An einem Morgen im Frühjahr 1796 kam ein junger schö- ner Mann in einem grünen seidenplüschenen Kleide, schönen Stauchen und seidenen Regenschirm nach Ockershausen in Stillings Haus; dieser Herr machte Stillingen ein Kompliment, das eine feine und sehr vornehme Erziehung ver- rieth. Stilling erkundigte sich, wer er sey? -- er erfuhr, daß es der merkwürdige ..... war; Stilling wunderte sich über den Besuch, und seine Verwunderung stieg durch die Er- wartung, was dieser äußerst räthselhafte Mann vorzubringen haben möchte. Nachdem sich Beide gesetzt hatten, fing der Fremde damit an, daß er Stillingen wegen eines Augen- kranken consulirte; indessen sein Anliegen drückte ihn so, daß er bald zu weinen anfing, Stillingen bald die Hand und bald den Arm küßte und dann sagte: Herr Hofrath! nicht wahr, Sie haben das Heimweh geschrieben? "Ja! mein Herr ....!"
Er. So sind Sie einer meiner geheimen Obern (er küßte Stilling wieder die Hand und den Arm und weinte fast laut).
Still. Nein! lieber Herr ....! ich bin weder Ihr noch irgend eines Menschen geheimer Oberer -- ich bin durchaus in keiner Verbindung.
Der Fremde sah Stilling starr und mit inniger Bewe-
reinen Luft in der ſchoͤnen Natur mehr Staͤrkung, Erholung und Aufheiterung zu erhalten; auch Eliſe hatte dieſes alles noͤthig; denn durch ihr Halsziehen wurden auch die Bruſt- muskeln in ihrer freien Bewegung gehindert, dadurch bekam ſie ein bald ſtaͤrkeres, bald ſchwaͤcheres Druͤcken auf die Bruſt, welches ſie noch bis auf den heutigen Tag aͤngſtigt und zu Zeiten außerordentlich ſchwermuͤthig macht — auch ihr Weg iſt recht Stillings-artig, und dieß macht ihrem, ſie ſo zaͤrt- lich liebenden Mann oft ſeine Buͤrde ſchwerer.
Von nun an wohnte Stilling mit ſeiner Familie vier Jahre lang einen großen Theil des Fruͤhlings, Sommers und Herbſtes in Ockershauſen in einem ar[ – 2 Zeichen fehlen]en Hauſe, an welchem ein ſchoͤner Obſtgarten nebſt einer Laube iſt, und aus welchem man eine ſchoͤne Ausſicht auf den Lahnberg hat. Seine Kollegien aber las er in der Stadt in ſeinem Hauſe.
An einem Morgen im Fruͤhjahr 1796 kam ein junger ſchoͤ- ner Mann in einem gruͤnen ſeidenpluͤſchenen Kleide, ſchoͤnen Stauchen und ſeidenen Regenſchirm nach Ockershauſen in Stillings Haus; dieſer Herr machte Stillingen ein Kompliment, das eine feine und ſehr vornehme Erziehung ver- rieth. Stilling erkundigte ſich, wer er ſey? — er erfuhr, daß es der merkwuͤrdige ..... war; Stilling wunderte ſich uͤber den Beſuch, und ſeine Verwunderung ſtieg durch die Er- wartung, was dieſer aͤußerſt raͤthſelhafte Mann vorzubringen haben moͤchte. Nachdem ſich Beide geſetzt hatten, fing der Fremde damit an, daß er Stillingen wegen eines Augen- kranken conſulirte; indeſſen ſein Anliegen druͤckte ihn ſo, daß er bald zu weinen anfing, Stillingen bald die Hand und bald den Arm kuͤßte und dann ſagte: Herr Hofrath! nicht wahr, Sie haben das Heimweh geſchrieben? „Ja! mein Herr ....!“
Er. So ſind Sie einer meiner geheimen Obern (er kuͤßte Stilling wieder die Hand und den Arm und weinte faſt laut).
Still. Nein! lieber Herr ....! ich bin weder Ihr noch irgend eines Menſchen geheimer Oberer — ich bin durchaus in keiner Verbindung.
Der Fremde ſah Stilling ſtarr und mit inniger Bewe-
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reinen Luft in der ſchoͤnen Natur mehr Staͤrkung, Erholung
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noͤthig; denn durch ihr Halsziehen wurden auch die Bruſt-
muskeln in ihrer freien Bewegung gehindert, dadurch bekam
ſie ein bald ſtaͤrkeres, bald ſchwaͤcheres Druͤcken auf die Bruſt,
welches ſie noch bis auf den heutigen Tag aͤngſtigt und zu
Zeiten außerordentlich ſchwermuͤthig macht — auch ihr Weg
iſt recht Stillings-artig, und dieß macht ihrem, ſie ſo zaͤrt-
lich liebenden Mann oft ſeine Buͤrde ſchwerer.
Von nun an wohnte Stilling mit ſeiner Familie vier
Jahre lang einen großen Theil des Fruͤhlings, Sommers und
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welchem ein ſchoͤner Obſtgarten nebſt einer Laube iſt, und aus
welchem man eine ſchoͤne Ausſicht auf den Lahnberg hat.
Seine Kollegien aber las er in der Stadt in ſeinem Hauſe.
An einem Morgen im Fruͤhjahr 1796 kam ein junger ſchoͤ-
ner Mann in einem gruͤnen ſeidenpluͤſchenen Kleide, ſchoͤnen
Stauchen und ſeidenen Regenſchirm nach Ockershauſen
in Stillings Haus; dieſer Herr machte Stillingen ein
Kompliment, das eine feine und ſehr vornehme Erziehung ver-
rieth. Stilling erkundigte ſich, wer er ſey? — er erfuhr,
daß es der merkwuͤrdige ..... war; Stilling wunderte ſich
uͤber den Beſuch, und ſeine Verwunderung ſtieg durch die Er-
wartung, was dieſer aͤußerſt raͤthſelhafte Mann vorzubringen
haben moͤchte. Nachdem ſich Beide geſetzt hatten, fing der
Fremde damit an, daß er Stillingen wegen eines Augen-
kranken conſulirte; indeſſen ſein Anliegen druͤckte ihn ſo, daß
er bald zu weinen anfing, Stillingen bald die Hand und
bald den Arm kuͤßte und dann ſagte: Herr Hofrath! nicht wahr,
Sie haben das Heimweh geſchrieben? „Ja! mein Herr ....!“
Er. So ſind Sie einer meiner geheimen Obern (er kuͤßte
Stilling wieder die Hand und den Arm und weinte faſt
laut).
Still. Nein! lieber Herr ....! ich bin weder Ihr noch
irgend eines Menſchen geheimer Oberer — ich bin durchaus in
keiner Verbindung.
Der Fremde ſah Stilling ſtarr und mit inniger Bewe-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/503>, abgerufen am 22.11.2024.
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