lich krank an der rothen Ruhr -- er sahe also die Lebensge- fahr dreier Menschen vor Augen, denn der damalige Geist der Zeit, der mit dem Terrorismus in Frankreich zusam- menhing, schnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten im revolutionären Sinn und Taumel.
Jakob gab also seinen Eltern Nachricht von der Gefahr, die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man möchte doch die Fenster nach der Straße und nach dem Platz hin aushe- ben und die Amalia an einen andern Ort legen, denn sie lag an den Fenstern nach der Straße hin. Die Fenster wur- den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin- ten in einen Alkofen gebettet. Jakob aber ging bei den Studenten herum und legte sich aufs Bitten; er stellte ihnen die Gefahren vor, die aus dem Schrecken entstehen könnten, allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht nachlassen wollte, sagte man ihm unter dem Beding zu, wenn er auch zum Orden überginge und sich aufnehmen lassen wolle. Zwei bange Stunden kämpfte der gute Jüngling in der Wahl zwischen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch, der Eintritt in den Orden sey das Geringere; er ließ sich al- so aufnehmen, das Unglück wurde abgewendet und es blieb nun dabei, daß die Studenten im Zug bei Stillings Hause blos ausspuckten -- das konnten sie nun thun, dazu war Raum genug auf der Gasse.
Stilling wußte kein Wort davon, daß sich sein Sohn in einen Studentenorden hatte aufnehmen lassen, er erfuhr es erst ein Jahr hernach, doch so, daß es ihm weder Schrecken noch Kummer verursachte: Jakob hielt sehr ernstlich bei seinen Eltern an, man möchte ihn noch ein halb Jahr nach Göttingen schicken. Die wahre Ursache, warum? wußte nie- mand, er schützte vor, daß es ihm sehr nützlich seyn würde, wenn er auch in Göttingen studirt hätte. Kurz, er ließ nicht nach, bis seine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein Winterhalb-Jahr nach Göttingen schickten; sein geheimer Zweck aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß dem dortigen Prorector anzuzeigen; in Marburg konnte er das nun nicht, wenn nicht der Lärm wieder von vorne ange-
lich krank an der rothen Ruhr — er ſahe alſo die Lebensge- fahr dreier Menſchen vor Augen, denn der damalige Geiſt der Zeit, der mit dem Terrorismus in Frankreich zuſam- menhing, ſchnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten im revolutionaͤren Sinn und Taumel.
Jakob gab alſo ſeinen Eltern Nachricht von der Gefahr, die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man moͤchte doch die Fenſter nach der Straße und nach dem Platz hin aushe- ben und die Amalia an einen andern Ort legen, denn ſie lag an den Fenſtern nach der Straße hin. Die Fenſter wur- den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin- ten in einen Alkofen gebettet. Jakob aber ging bei den Studenten herum und legte ſich aufs Bitten; er ſtellte ihnen die Gefahren vor, die aus dem Schrecken entſtehen koͤnnten, allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht nachlaſſen wollte, ſagte man ihm unter dem Beding zu, wenn er auch zum Orden uͤberginge und ſich aufnehmen laſſen wolle. Zwei bange Stunden kaͤmpfte der gute Juͤngling in der Wahl zwiſchen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch, der Eintritt in den Orden ſey das Geringere; er ließ ſich al- ſo aufnehmen, das Ungluͤck wurde abgewendet und es blieb nun dabei, daß die Studenten im Zug bei Stillings Hauſe blos ausſpuckten — das konnten ſie nun thun, dazu war Raum genug auf der Gaſſe.
Stilling wußte kein Wort davon, daß ſich ſein Sohn in einen Studentenorden hatte aufnehmen laſſen, er erfuhr es erſt ein Jahr hernach, doch ſo, daß es ihm weder Schrecken noch Kummer verurſachte: Jakob hielt ſehr ernſtlich bei ſeinen Eltern an, man moͤchte ihn noch ein halb Jahr nach Goͤttingen ſchicken. Die wahre Urſache, warum? wußte nie- mand, er ſchuͤtzte vor, daß es ihm ſehr nuͤtzlich ſeyn wuͤrde, wenn er auch in Goͤttingen ſtudirt haͤtte. Kurz, er ließ nicht nach, bis ſeine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein Winterhalb-Jahr nach Goͤttingen ſchickten; ſein geheimer Zweck aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß dem dortigen Prorector anzuzeigen; in Marburg konnte er das nun nicht, wenn nicht der Laͤrm wieder von vorne ange-
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lich krank an der rothen Ruhr — er ſahe alſo die Lebensge-
fahr dreier Menſchen vor Augen, denn der damalige Geiſt
der Zeit, der mit dem Terrorismus in Frankreich zuſam-
menhing, ſchnaubte Mord und Tod, und die Studenten lebten
im revolutionaͤren Sinn und Taumel.
Jakob gab alſo ſeinen Eltern Nachricht von der Gefahr,
die ihnen auf den Abend drohte, und bat, man moͤchte doch
die Fenſter nach der Straße und nach dem Platz hin aushe-
ben und die Amalia an einen andern Ort legen, denn ſie
lag an den Fenſtern nach der Straße hin. Die Fenſter wur-
den nun zwar nicht ausgehoben, aber die Kranke wurde hin-
ten in einen Alkofen gebettet. Jakob aber ging bei den
Studenten herum und legte ſich aufs Bitten; er ſtellte ihnen
die Gefahren vor, die aus dem Schrecken entſtehen koͤnnten,
allein das heißt tauben Ohren predigen; endlich, als er nicht
nachlaſſen wollte, ſagte man ihm unter dem Beding zu, wenn
er auch zum Orden uͤberginge und ſich aufnehmen laſſen
wolle. Zwei bange Stunden kaͤmpfte der gute Juͤngling in
der Wahl zwiſchen zweien Uebeln; endlich glaubte er doch,
der Eintritt in den Orden ſey das Geringere; er ließ ſich al-
ſo aufnehmen, das Ungluͤck wurde abgewendet und es blieb
nun dabei, daß die Studenten im Zug bei Stillings Hauſe
blos ausſpuckten — das konnten ſie nun thun, dazu war
Raum genug auf der Gaſſe.
Stilling wußte kein Wort davon, daß ſich ſein Sohn
in einen Studentenorden hatte aufnehmen laſſen, er erfuhr es
erſt ein Jahr hernach, doch ſo, daß es ihm weder Schrecken
noch Kummer verurſachte: Jakob hielt ſehr ernſtlich bei
ſeinen Eltern an, man moͤchte ihn noch ein halb Jahr nach
Goͤttingen ſchicken. Die wahre Urſache, warum? wußte nie-
mand, er ſchuͤtzte vor, daß es ihm ſehr nuͤtzlich ſeyn wuͤrde,
wenn er auch in Goͤttingen ſtudirt haͤtte. Kurz, er ließ
nicht nach, bis ſeine Eltern endlich einwilligten, und ihn ein
Winterhalb-Jahr nach Goͤttingen ſchickten; ſein geheimer Zweck
aber war, dort wieder aus dem Orden zu gehen, und dieß
dem dortigen Prorector anzuzeigen; in Marburg konnte er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/498>, abgerufen am 25.11.2024.
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