Fall, wie ich am Schluß dieses Bandes zeigen werde, aber bei diesen Büchern, die lediglich, besonders das Heimweh, die eigentlichen Werkzeuge seiner Bestimmung sind, kommt es darauf an, daß ich ihren Ursprung mit allen Umständen und nach der genauesten Wahrheit erzähle.
Die Scenen aus dem Geisterreich entstanden folgenderge- stalt: Als noch Raschmann mit seinen Grafen in Mar- burg war, so wurde einesmals des Abends in einer Gesell- schaft bei ihm von Wieland's Uebersetzung des Lucians gesprochen; Raschmann las einige Stellen daraus vor, die äußerst komisch waren; die ganze Gesellschaft lachte überlaut und Jeder bewunderte die Uebersetzung als ein unnachahmliches Meisterstück. Bei einer gewissen Gelegenheit fiel nun Stil- ling dies Buch wieder ein; flugs, ohne sich lange zu beden- ken, verschrieb er es für sich. Einige Zeit nachher schlug ihm das Gewissen über diesen übereilten Schritt: Wie! -- sprach diese rügende Stimme in seiner Seele, du kaufst ein so theu- res Werk von sieben Bänden, und zu welchem Zweck? -- blos um zu lachen! -- und du hast noch so viele Schulden -- und Frau und Kinder zu versorgen! -- und wenn das Alles nicht wäre, welche Hülfe hättest du einem Nothleiden- den dadurch verschaffen können? -- du kaufst ein Buch, das dir zu deinem ganzen Beruf nicht einmal nützlich, geschweige nothwendig ist. Da stand Stilling vor seinem Richter, wie ein armer Sünder, der sich auf Gnade und Ungnade ergibt. Es war ein harter Kampf, ein schweres Ringen um Gnade -- endlich erhielt er sie, und nun suchte er auch von seiner Seite dies Vergehen so viel möglich wieder gut zu machen. Haben Lucian und Wieland -- dachte er -- Scenen aus dem Reich erdichteter Gottheiten geschrieben, theils um das Ungereimte der heidnischen Götterlehre auf seiner lächer- lichen Seite zu zeigen, theils auch, um dadurch die Leser zu belustigen, so will ich nun Scenen aus dem wahren christlichen Geisterrech, zum ernstlichen Nachdenken und zur Bekehrung und Erbauung der Leser schreiben und das dafür zu erhaltende Honorarium zum besten armer Blinder verwenden; diesen Gedanken führte er aus und so entstand
Fall, wie ich am Schluß dieſes Bandes zeigen werde, aber bei dieſen Buͤchern, die lediglich, beſonders das Heimweh, die eigentlichen Werkzeuge ſeiner Beſtimmung ſind, kommt es darauf an, daß ich ihren Urſprung mit allen Umſtaͤnden und nach der genaueſten Wahrheit erzaͤhle.
Die Scenen aus dem Geiſterreich entſtanden folgenderge- ſtalt: Als noch Raſchmann mit ſeinen Grafen in Mar- burg war, ſo wurde einesmals des Abends in einer Geſell- ſchaft bei ihm von Wieland’s Ueberſetzung des Lucians geſprochen; Raſchmann las einige Stellen daraus vor, die aͤußerſt komiſch waren; die ganze Geſellſchaft lachte uͤberlaut und Jeder bewunderte die Ueberſetzung als ein unnachahmliches Meiſterſtuͤck. Bei einer gewiſſen Gelegenheit fiel nun Stil- ling dies Buch wieder ein; flugs, ohne ſich lange zu beden- ken, verſchrieb er es fuͤr ſich. Einige Zeit nachher ſchlug ihm das Gewiſſen uͤber dieſen uͤbereilten Schritt: Wie! — ſprach dieſe ruͤgende Stimme in ſeiner Seele, du kaufſt ein ſo theu- res Werk von ſieben Baͤnden, und zu welchem Zweck? — blos um zu lachen! — und du haſt noch ſo viele Schulden — und Frau und Kinder zu verſorgen! — und wenn das Alles nicht waͤre, welche Huͤlfe haͤtteſt du einem Nothleiden- den dadurch verſchaffen koͤnnen? — du kaufſt ein Buch, das dir zu deinem ganzen Beruf nicht einmal nuͤtzlich, geſchweige nothwendig iſt. Da ſtand Stilling vor ſeinem Richter, wie ein armer Suͤnder, der ſich auf Gnade und Ungnade ergibt. Es war ein harter Kampf, ein ſchweres Ringen um Gnade — endlich erhielt er ſie, und nun ſuchte er auch von ſeiner Seite dies Vergehen ſo viel moͤglich wieder gut zu machen. Haben Lucian und Wieland — dachte er — Scenen aus dem Reich erdichteter Gottheiten geſchrieben, theils um das Ungereimte der heidniſchen Goͤtterlehre auf ſeiner laͤcher- lichen Seite zu zeigen, theils auch, um dadurch die Leſer zu beluſtigen, ſo will ich nun Scenen aus dem wahren chriſtlichen Geiſterrech, zum ernſtlichen Nachdenken und zur Bekehrung und Erbauung der Leſer ſchreiben und das dafuͤr zu erhaltende Honorarium zum beſten armer Blinder verwenden; dieſen Gedanken fuͤhrte er aus und ſo entſtand
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Fall, wie ich am Schluß dieſes Bandes zeigen werde, aber
bei dieſen Buͤchern, die lediglich, beſonders das Heimweh,
die eigentlichen Werkzeuge ſeiner Beſtimmung ſind, kommt es
darauf an, daß ich ihren Urſprung mit allen Umſtaͤnden und
nach der genaueſten Wahrheit erzaͤhle.
Die Scenen aus dem Geiſterreich entſtanden folgenderge-
ſtalt: Als noch Raſchmann mit ſeinen Grafen in Mar-
burg war, ſo wurde einesmals des Abends in einer Geſell-
ſchaft bei ihm von Wieland’s Ueberſetzung des Lucians
geſprochen; Raſchmann las einige Stellen daraus vor, die
aͤußerſt komiſch waren; die ganze Geſellſchaft lachte uͤberlaut
und Jeder bewunderte die Ueberſetzung als ein unnachahmliches
Meiſterſtuͤck. Bei einer gewiſſen Gelegenheit fiel nun Stil-
ling dies Buch wieder ein; flugs, ohne ſich lange zu beden-
ken, verſchrieb er es fuͤr ſich. Einige Zeit nachher ſchlug ihm
das Gewiſſen uͤber dieſen uͤbereilten Schritt: Wie! — ſprach
dieſe ruͤgende Stimme in ſeiner Seele, du kaufſt ein ſo theu-
res Werk von ſieben Baͤnden, und zu welchem Zweck? —
blos um zu lachen! — und du haſt noch ſo viele Schulden
— und Frau und Kinder zu verſorgen! — und wenn das
Alles nicht waͤre, welche Huͤlfe haͤtteſt du einem Nothleiden-
den dadurch verſchaffen koͤnnen? — du kaufſt ein Buch, das
dir zu deinem ganzen Beruf nicht einmal nuͤtzlich, geſchweige
nothwendig iſt. Da ſtand Stilling vor ſeinem Richter, wie
ein armer Suͤnder, der ſich auf Gnade und Ungnade ergibt.
Es war ein harter Kampf, ein ſchweres Ringen um Gnade
— endlich erhielt er ſie, und nun ſuchte er auch von ſeiner
Seite dies Vergehen ſo viel moͤglich wieder gut zu machen.
Haben Lucian und Wieland — dachte er — Scenen
aus dem Reich erdichteter Gottheiten geſchrieben, theils um
das Ungereimte der heidniſchen Goͤtterlehre auf ſeiner laͤcher-
lichen Seite zu zeigen, theils auch, um dadurch die Leſer zu
beluſtigen, ſo will ich nun Scenen aus dem wahren
chriſtlichen Geiſterrech, zum ernſtlichen Nachdenken und
zur Bekehrung und Erbauung der Leſer ſchreiben und das
dafuͤr zu erhaltende Honorarium zum beſten armer Blinder
verwenden; dieſen Gedanken fuͤhrte er aus und ſo entſtand
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/490>, abgerufen am 22.11.2024.
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