eine Anregung in seinem Gemüthe, es aufzuschlagen, er schlug auf, und bekam den Spruch: Ich hebe meine Hände auf zu den Bergen, von welchen mir Hülfe kömmt, meine Hülfe kommt vom Herrn, u. s. w.; noch einmal schlug er auf, und nun hieß es: Ich will eine feurige Mauer umher seyn, u. s. w.; muthig und getrost stand er auf, und von der Zeit an hatte er auch keine Angst mehr vor den Franzosen; es kamen auch wirklich keine, und bald rückten die Preußen und Hessen heran, Frankfurt wurde erobert, und dann Mainz belagert.
Hier muß ich zwei Anmerkungen machen, die mir keiner mei- ner Leser verübeln wird.
1) Das Aufschlagen biblischer Sprüche, um den Willen Gottes oder gar die Zukunft zu erforschen, ist durchaus Miß- brauch der heiligen Schrift, und dem Christen nicht erlaubt. Will man es thun, um aus dem göttlichen Wort Trost zu holen, so geschehe es mit völliger Gelassenheit und Ergebung in den Willen Gottes; aber man werde auch nicht niederge- schlagen oder kleinmüthig, wenn man einen Spruch bekommt, der nicht tröstlich ist -- das Aufschlagen ist kein Mittel, das uns Gott zu irgend einem Zweck angewiesen hat, es ist eine Art des Looses, und dieß ist ein Heiligthum, das nicht ent- weiht werden darf.
2) Stillings außerordentliche Aengstlichkeit mag wohl hie und da die nachtheilige Idee für ihn erregen, als sey er ein Mann ohne Muth. Darauf dient zur Antwort.: Stil- ling zittert vor jeder kleinen und großen Gefahr, ehe sie zur Wirklichkeit kommt; aber wenn sie da ist, so ist er auch in der größten Noth muthig und getrost. Dieß ist aber auch die natürliche Folge lang erduldeter Leiden: man fürchtete sie, weil man ihre Schmerzen kennt, und man trägt sie getrost, weil man des Tragens gewohnt ist, und ihre geseg- neten Folgen weiß.
Auf die nächsten Osterferien wurde Stilling von der würdigen Vinkischen Familie zum Besuch nach Preu- ßisch-Minden eingeladen. Er nahm diese Einladung mit Dank an, und sein Hausfreund, der junge Vinke, und noch
eine Anregung in ſeinem Gemuͤthe, es aufzuſchlagen, er ſchlug auf, und bekam den Spruch: Ich hebe meine Haͤnde auf zu den Bergen, von welchen mir Huͤlfe koͤmmt, meine Huͤlfe kommt vom Herrn, u. ſ. w.; noch einmal ſchlug er auf, und nun hieß es: Ich will eine feurige Mauer umher ſeyn, u. ſ. w.; muthig und getroſt ſtand er auf, und von der Zeit an hatte er auch keine Angſt mehr vor den Franzoſen; es kamen auch wirklich keine, und bald ruͤckten die Preußen und Heſſen heran, Frankfurt wurde erobert, und dann Mainz belagert.
Hier muß ich zwei Anmerkungen machen, die mir keiner mei- ner Leſer veruͤbeln wird.
1) Das Aufſchlagen bibliſcher Spruͤche, um den Willen Gottes oder gar die Zukunft zu erforſchen, iſt durchaus Miß- brauch der heiligen Schrift, und dem Chriſten nicht erlaubt. Will man es thun, um aus dem goͤttlichen Wort Troſt zu holen, ſo geſchehe es mit voͤlliger Gelaſſenheit und Ergebung in den Willen Gottes; aber man werde auch nicht niederge- ſchlagen oder kleinmuͤthig, wenn man einen Spruch bekommt, der nicht troͤſtlich iſt — das Aufſchlagen iſt kein Mittel, das uns Gott zu irgend einem Zweck angewieſen hat, es iſt eine Art des Looſes, und dieß iſt ein Heiligthum, das nicht ent- weiht werden darf.
2) Stillings außerordentliche Aengſtlichkeit mag wohl hie und da die nachtheilige Idee fuͤr ihn erregen, als ſey er ein Mann ohne Muth. Darauf dient zur Antwort.: Stil- ling zittert vor jeder kleinen und großen Gefahr, ehe ſie zur Wirklichkeit kommt; aber wenn ſie da iſt, ſo iſt er auch in der groͤßten Noth muthig und getroſt. Dieß iſt aber auch die natuͤrliche Folge lang erduldeter Leiden: man fuͤrchtete ſie, weil man ihre Schmerzen kennt, und man traͤgt ſie getroſt, weil man des Tragens gewohnt iſt, und ihre geſeg- neten Folgen weiß.
Auf die naͤchſten Oſterferien wurde Stilling von der wuͤrdigen Vinkiſchen Familie zum Beſuch nach Preu- ßiſch-Minden eingeladen. Er nahm dieſe Einladung mit Dank an, und ſein Hausfreund, der junge Vinke, und noch
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meine Huͤlfe kommt vom Herrn, u. ſ. w.; noch einmal
ſchlug er auf, und nun hieß es: Ich will eine feurige
Mauer umher ſeyn, u. ſ. w.; muthig und getroſt ſtand
er auf, und von der Zeit an hatte er auch keine Angſt mehr
vor den Franzoſen; es kamen auch wirklich keine, und bald
ruͤckten die Preußen und Heſſen heran, Frankfurt wurde
erobert, und dann Mainz belagert.
Hier muß ich zwei Anmerkungen machen, die mir keiner mei-
ner Leſer veruͤbeln wird.
1) Das Aufſchlagen bibliſcher Spruͤche, um den Willen
Gottes oder gar die Zukunft zu erforſchen, iſt durchaus Miß-
brauch der heiligen Schrift, und dem Chriſten nicht erlaubt.
Will man es thun, um aus dem goͤttlichen Wort Troſt zu
holen, ſo geſchehe es mit voͤlliger Gelaſſenheit und Ergebung
in den Willen Gottes; aber man werde auch nicht niederge-
ſchlagen oder kleinmuͤthig, wenn man einen Spruch bekommt,
der nicht troͤſtlich iſt — das Aufſchlagen iſt kein Mittel, das
uns Gott zu irgend einem Zweck angewieſen hat, es iſt eine
Art des Looſes, und dieß iſt ein Heiligthum, das nicht ent-
weiht werden darf.
2) Stillings außerordentliche Aengſtlichkeit mag wohl
hie und da die nachtheilige Idee fuͤr ihn erregen, als ſey er
ein Mann ohne Muth. Darauf dient zur Antwort.: Stil-
ling zittert vor jeder kleinen und großen Gefahr, ehe ſie zur
Wirklichkeit kommt; aber wenn ſie da iſt, ſo iſt er auch in
der groͤßten Noth muthig und getroſt. Dieß iſt aber auch
die natuͤrliche Folge lang erduldeter Leiden: man fuͤrchtete ſie, weil
man ihre Schmerzen kennt, und man traͤgt ſie getroſt,
weil man des Tragens gewohnt iſt, und ihre geſeg-
neten Folgen weiß.
Auf die naͤchſten Oſterferien wurde Stilling von der
wuͤrdigen Vinkiſchen Familie zum Beſuch nach Preu-
ßiſch-Minden eingeladen. Er nahm dieſe Einladung mit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/487>, abgerufen am 25.11.2024.
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