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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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men; er zog sich etwas an, ging heraus, und fand Schwarz
und Hannchen blaß und mit niedergeschlagenen Augen ge-
genüber im offenen Zimmer stehen: Lieber Vater! fing Schwarz
an, was Sie so oft geahnt haben, ist eingetroffen; Vater
Coing ist entschlafen! -- Dieser Donnerschlag fuhr Stil-
ling
durch Mark und Bein -- und nun seine, jetzt noch so
schwache, Elise, die ihren Vater so zärtlich liebte! -- doch
er faßte Muth, ging zu ihr ans Bett, und sagte: Lieschen!
wir haben einen lieben Todten! -- sie antwortete: ach Gott!
Hannchen? -- denn die war auch guter Hoffnung -- Nein!
erwiederte er: Vater Coing ist es! -- Elise jammerte
sehr, doch faßte sie sich christlich -- indessen legte dieser Schre-
cken den ersten Grund zu einem schweren Kreuz, an dem sie
noch immer zu tragen hat. Nun eilte Stilling zu den
lieben Geschwistern, sie standen alle Drei auf einem Kleeblatt
in der Stube und weinten; Stilling umarmte und küßte
sie, und sagte: Sie sind nun jetzt alle drei meine Kinder,
sobald als es möglich ist, ziehen Sie bei mir ein! -- Dieß
geschah denn auch, sobald die Leiche zu ihrer Ruhe gebracht
war. Das Zusammenwohnen mit diesen lieben Geschwistern
ist für Stilling in der Folge unbeschreiblich wohlthätig und
tröstlich geworden, wie sich hernach zeigen wird. Vater Coing
hatte einen Steckfluß bekommen, man hatte den Arzt gerufen,
und alle möglichen Mittel angewendet, ihn zu retten; allein
vergebens. Er bezeugte ganz ruhig, daß er zum Sterben bereit
sey. Er war ein vortrefflicher Mann, und sein Segen ruht
auf seinen Kindern.

Hier fängt nun Stillings wichtigste Lebensperiode an;
es gingen Veränderungen in und außer ihm vor, die seinem
ganzen Wesen eine sehr bedeutende Richtung gaben, und ihn
zu seiner wahren Bestimmung vorbereiteten.



Bald nach Vater Coings Tode kam die Zeit, in welcher
der Prorector der Marburger Universität, nebst dem fürstlichen
Kommissarius, nach Niederhessen reisen, die dortigen Vogteien
besuchen, und die Zehenten, welche der Universität gehören,

men; er zog ſich etwas an, ging heraus, und fand Schwarz
und Hannchen blaß und mit niedergeſchlagenen Augen ge-
genuͤber im offenen Zimmer ſtehen: Lieber Vater! fing Schwarz
an, was Sie ſo oft geahnt haben, iſt eingetroffen; Vater
Coing iſt entſchlafen! — Dieſer Donnerſchlag fuhr Stil-
ling
durch Mark und Bein — und nun ſeine, jetzt noch ſo
ſchwache, Eliſe, die ihren Vater ſo zaͤrtlich liebte! — doch
er faßte Muth, ging zu ihr ans Bett, und ſagte: Lieschen!
wir haben einen lieben Todten! — ſie antwortete: ach Gott!
Hannchen? — denn die war auch guter Hoffnung — Nein!
erwiederte er: Vater Coing iſt es! — Eliſe jammerte
ſehr, doch faßte ſie ſich chriſtlich — indeſſen legte dieſer Schre-
cken den erſten Grund zu einem ſchweren Kreuz, an dem ſie
noch immer zu tragen hat. Nun eilte Stilling zu den
lieben Geſchwiſtern, ſie ſtanden alle Drei auf einem Kleeblatt
in der Stube und weinten; Stilling umarmte und kuͤßte
ſie, und ſagte: Sie ſind nun jetzt alle drei meine Kinder,
ſobald als es moͤglich iſt, ziehen Sie bei mir ein! — Dieß
geſchah denn auch, ſobald die Leiche zu ihrer Ruhe gebracht
war. Das Zuſammenwohnen mit dieſen lieben Geſchwiſtern
iſt fuͤr Stilling in der Folge unbeſchreiblich wohlthaͤtig und
troͤſtlich geworden, wie ſich hernach zeigen wird. Vater Coing
hatte einen Steckfluß bekommen, man hatte den Arzt gerufen,
und alle moͤglichen Mittel angewendet, ihn zu retten; allein
vergebens. Er bezeugte ganz ruhig, daß er zum Sterben bereit
ſey. Er war ein vortrefflicher Mann, und ſein Segen ruht
auf ſeinen Kindern.

Hier faͤngt nun Stillings wichtigſte Lebensperiode an;
es gingen Veraͤnderungen in und außer ihm vor, die ſeinem
ganzen Weſen eine ſehr bedeutende Richtung gaben, und ihn
zu ſeiner wahren Beſtimmung vorbereiteten.



Bald nach Vater Coings Tode kam die Zeit, in welcher
der Prorector der Marburger Univerſitaͤt, nebſt dem fuͤrſtlichen
Kommiſſarius, nach Niederheſſen reiſen, die dortigen Vogteien
beſuchen, und die Zehenten, welche der Univerſitaͤt gehoͤren,

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[472/0480] men; er zog ſich etwas an, ging heraus, und fand Schwarz und Hannchen blaß und mit niedergeſchlagenen Augen ge- genuͤber im offenen Zimmer ſtehen: Lieber Vater! fing Schwarz an, was Sie ſo oft geahnt haben, iſt eingetroffen; Vater Coing iſt entſchlafen! — Dieſer Donnerſchlag fuhr Stil- ling durch Mark und Bein — und nun ſeine, jetzt noch ſo ſchwache, Eliſe, die ihren Vater ſo zaͤrtlich liebte! — doch er faßte Muth, ging zu ihr ans Bett, und ſagte: Lieschen! wir haben einen lieben Todten! — ſie antwortete: ach Gott! Hannchen? — denn die war auch guter Hoffnung — Nein! erwiederte er: Vater Coing iſt es! — Eliſe jammerte ſehr, doch faßte ſie ſich chriſtlich — indeſſen legte dieſer Schre- cken den erſten Grund zu einem ſchweren Kreuz, an dem ſie noch immer zu tragen hat. Nun eilte Stilling zu den lieben Geſchwiſtern, ſie ſtanden alle Drei auf einem Kleeblatt in der Stube und weinten; Stilling umarmte und kuͤßte ſie, und ſagte: Sie ſind nun jetzt alle drei meine Kinder, ſobald als es moͤglich iſt, ziehen Sie bei mir ein! — Dieß geſchah denn auch, ſobald die Leiche zu ihrer Ruhe gebracht war. Das Zuſammenwohnen mit dieſen lieben Geſchwiſtern iſt fuͤr Stilling in der Folge unbeſchreiblich wohlthaͤtig und troͤſtlich geworden, wie ſich hernach zeigen wird. Vater Coing hatte einen Steckfluß bekommen, man hatte den Arzt gerufen, und alle moͤglichen Mittel angewendet, ihn zu retten; allein vergebens. Er bezeugte ganz ruhig, daß er zum Sterben bereit ſey. Er war ein vortrefflicher Mann, und ſein Segen ruht auf ſeinen Kindern. Hier faͤngt nun Stillings wichtigſte Lebensperiode an; es gingen Veraͤnderungen in und außer ihm vor, die ſeinem ganzen Weſen eine ſehr bedeutende Richtung gaben, und ihn zu ſeiner wahren Beſtimmung vorbereiteten. Bald nach Vater Coings Tode kam die Zeit, in welcher der Prorector der Marburger Univerſitaͤt, nebſt dem fuͤrſtlichen Kommiſſarius, nach Niederheſſen reiſen, die dortigen Vogteien beſuchen, und die Zehenten, welche der Univerſitaͤt gehoͤren,

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/480>, abgerufen am 25.11.2024.