Freundin Mieg, die keine Kinder hatte, wünschte das Mäd- chen zu behalten, auch erklärte sie, daß ihre Mutter, deren Herz an dem Kinde hinge, ihr Leben darüber einbüßen könnte, wenn es ihr entzogen würde. Stillingen thats in der Seele weh, sein Töchterchen zurück zu lassen, und Elise weinte -- sie glaubte, es sey ihre eigene und keines Andern Pflicht, ihrer seligen Freundin Kinder zu erziehen, und sie würden der- einst von ihrer und keiner andern Hand gefordert werden; in- dessen beide Eltern beruhigten sich, und ließen das Mädchen in der Pflege ihrer Freundin Mieg. Daß es sehr wohl da aufgehoben gewesen, das wird sich im Verfolg zeigen. Dann kehrten sie mit ihrem Sohn wieder nach Frankfurt zurück; Bruder Coing hatte sie auf dieser Reise in die Pfalz begleitet.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt trat nun die ganze Gesellschaft wieder die Rückreise nach Marburg an, wo also beide Professoren zu rechter Zeit anlangten, um ihren Beruf und ihre Kollegien anfangen zu können.
Im Herbst 1791 kam Elise glücklich mit einer jungen Tochter nieder, welche den in der Duishing'schen Familie gewöhnlichen Namen Lubecka bekam. Außer dem Magen- krampf war jetzt eine kleine Leidenspause, aber sie währte nicht lange; denn Hannchen, die nun mit Schwarz versprochen war, bekam wieder die fürchterlichen Krämpfe, von denen sie aber in wenigen Wochen, durch den sehr geschickten Arzt, den Oberhofrath Michaelis, der auch zu Stillings intimsten Freunden gehört, gänzlich befreit wurde.
Auf Neujahrstag 17[9]2 wurde Stilling von der Univer- sität zum Prorector gewählt; sie hat diese Würde immer in großer Achtung erhalten, aber dagegen ist auch dieß Amt auf keiner Universität so schwer zu verwalten als auf dieser. Stil- ling trat es mit Zuversicht auf den göttlichen Beistand an, und wahrlich! er bedurfte ihn auch in diesem Jahre mehr als je.
Als nun die Ostern, folglich Hannchens Verheirathen sich näherte, so besorgte Elise die Ausstattungsgeschäfte, und Stilling lud den Onkel Kraft mit seiner Gattin und Kin- dern, dann auch Vater Wilhelm Stilling zur Hochzeit;
Freundin Mieg, die keine Kinder hatte, wuͤnſchte das Maͤd- chen zu behalten, auch erklaͤrte ſie, daß ihre Mutter, deren Herz an dem Kinde hinge, ihr Leben daruͤber einbuͤßen koͤnnte, wenn es ihr entzogen wuͤrde. Stillingen thats in der Seele weh, ſein Toͤchterchen zuruͤck zu laſſen, und Eliſe weinte — ſie glaubte, es ſey ihre eigene und keines Andern Pflicht, ihrer ſeligen Freundin Kinder zu erziehen, und ſie wuͤrden der- einſt von ihrer und keiner andern Hand gefordert werden; in- deſſen beide Eltern beruhigten ſich, und ließen das Maͤdchen in der Pflege ihrer Freundin Mieg. Daß es ſehr wohl da aufgehoben geweſen, das wird ſich im Verfolg zeigen. Dann kehrten ſie mit ihrem Sohn wieder nach Frankfurt zuruͤck; Bruder Coing hatte ſie auf dieſer Reiſe in die Pfalz begleitet.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt trat nun die ganze Geſellſchaft wieder die Ruͤckreiſe nach Marburg an, wo alſo beide Profeſſoren zu rechter Zeit anlangten, um ihren Beruf und ihre Kollegien anfangen zu koͤnnen.
Im Herbſt 1791 kam Eliſe gluͤcklich mit einer jungen Tochter nieder, welche den in der Duishing’ſchen Familie gewoͤhnlichen Namen Lubecka bekam. Außer dem Magen- krampf war jetzt eine kleine Leidenspauſe, aber ſie waͤhrte nicht lange; denn Hannchen, die nun mit Schwarz verſprochen war, bekam wieder die fuͤrchterlichen Kraͤmpfe, von denen ſie aber in wenigen Wochen, durch den ſehr geſchickten Arzt, den Oberhofrath Michaelis, der auch zu Stillings intimſten Freunden gehoͤrt, gaͤnzlich befreit wurde.
Auf Neujahrstag 17[9]2 wurde Stilling von der Univer- ſitaͤt zum Prorector gewaͤhlt; ſie hat dieſe Wuͤrde immer in großer Achtung erhalten, aber dagegen iſt auch dieß Amt auf keiner Univerſitaͤt ſo ſchwer zu verwalten als auf dieſer. Stil- ling trat es mit Zuverſicht auf den goͤttlichen Beiſtand an, und wahrlich! er bedurfte ihn auch in dieſem Jahre mehr als je.
Als nun die Oſtern, folglich Hannchens Verheirathen ſich naͤherte, ſo beſorgte Eliſe die Ausſtattungsgeſchaͤfte, und Stilling lud den Onkel Kraft mit ſeiner Gattin und Kin- dern, dann auch Vater Wilhelm Stilling zur Hochzeit;
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Freundin Mieg, die keine Kinder hatte, wuͤnſchte das Maͤd-
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Herz an dem Kinde hinge, ihr Leben daruͤber einbuͤßen koͤnnte,
wenn es ihr entzogen wuͤrde. Stillingen thats in der
Seele weh, ſein Toͤchterchen zuruͤck zu laſſen, und Eliſe weinte
— ſie glaubte, es ſey ihre eigene und keines Andern Pflicht,
ihrer ſeligen Freundin Kinder zu erziehen, und ſie wuͤrden der-
einſt von ihrer und keiner andern Hand gefordert werden; in-
deſſen beide Eltern beruhigten ſich, und ließen das Maͤdchen
in der Pflege ihrer Freundin Mieg. Daß es ſehr wohl da
aufgehoben geweſen, das wird ſich im Verfolg zeigen. Dann
kehrten ſie mit ihrem Sohn wieder nach Frankfurt zuruͤck;
Bruder Coing hatte ſie auf dieſer Reiſe in die Pfalz begleitet.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt trat nun
die ganze Geſellſchaft wieder die Ruͤckreiſe nach Marburg
an, wo alſo beide Profeſſoren zu rechter Zeit anlangten, um
ihren Beruf und ihre Kollegien anfangen zu koͤnnen.
Im Herbſt 1791 kam Eliſe gluͤcklich mit einer jungen
Tochter nieder, welche den in der Duishing’ſchen Familie
gewoͤhnlichen Namen Lubecka bekam. Außer dem Magen-
krampf war jetzt eine kleine Leidenspauſe, aber ſie waͤhrte nicht
lange; denn Hannchen, die nun mit Schwarz verſprochen
war, bekam wieder die fuͤrchterlichen Kraͤmpfe, von denen ſie
aber in wenigen Wochen, durch den ſehr geſchickten Arzt, den
Oberhofrath Michaelis, der auch zu Stillings intimſten
Freunden gehoͤrt, gaͤnzlich befreit wurde.
Auf Neujahrstag 1792 wurde Stilling von der Univer-
ſitaͤt zum Prorector gewaͤhlt; ſie hat dieſe Wuͤrde immer in
großer Achtung erhalten, aber dagegen iſt auch dieß Amt auf
keiner Univerſitaͤt ſo ſchwer zu verwalten als auf dieſer. Stil-
ling trat es mit Zuverſicht auf den goͤttlichen Beiſtand an,
und wahrlich! er bedurfte ihn auch in dieſem Jahre mehr
als je.
Als nun die Oſtern, folglich Hannchens Verheirathen
ſich naͤherte, ſo beſorgte Eliſe die Ausſtattungsgeſchaͤfte, und
Stilling lud den Onkel Kraft mit ſeiner Gattin und Kin-
dern, dann auch Vater Wilhelm Stilling zur Hochzeit;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/478>, abgerufen am 22.11.2024.
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