vorsproßt! Pflege ihn mit höchster Sorgfalt und erziehe ihn zum Baume des Lebens, der zwölferlei Früchte trägt; be- stimmt dich die Vorsehung zu einem nützlichen Beruf, so folge ihm, aber wenn auch noch nebenher ein Trieb erwacht, oder wenn die Vorsehung eine Aussicht eröffnet, wo du, ohne deinem eigentlichen Beruf zu schaden, Saamen der Glückse- ligkeit ausstreuen kannst, da versäume es nicht, laß es dir Mühe und sauren Schweiß kosten, wenns nöthig ist; denn nichts führt uns unmittelbarer Gott näher, als die Wohl- thätigkeit.
Aber hüte dich auch vor der in jetzigen Zeiten so stark ein- reißenden falschen Thätigkeit, die ich Tändelei zu nennen pflege. Der Sklave seiner Sinnlichkeit -- der Wol- lüstling, deckt seinen Unflath mit der Tünche der Menschen- liebe, er will allenthalben Gutes thun und weiß nicht, was gut ist, er befördert oft den armen Taugenichts zu einem Amte, wo er überschwenglich schadet, und wirkt, wo er nicht wirken soll. Eben so verfährt auch der stolze Prie- ster in seiner eigenen Vernunft, die doch in diesem Thal der Irrwische und Schatten noch gewaltig in den Kinderschuhen herumstolpert; er will Selbstherrscher in der moralischen Schö- pfung seyn, legt unbehauene, oder auch verwitterte Steine im Bau an den unrechten Ort, und verkleistert Lücken und Löcher mit falschem Mörtel.
Jüngling! bessere erst dein Herz, und laß deinen Ver- stand durch das himmlische Licht der Wahrheit erleuchten! Sey reines Herzens, so wirst du Gott schauen, und wenn du diese Urquelle des Lichts siehest, so wirst du auch den geraden schmalen Steg sehen, der zum Leben führt; dann bete jeden Morgen zu Gott, daß er dir Gelegenheit zu guten Handlungen geben möge; stößt dir dann eine solche auf, so erwisch sie bei den Haaren, wirke getrost, Gott wird dir beistehen; und wenn dir eine würdige That gelungen ist, so danke Gott innig in deinem Kämmerlein und schweige!!
Ehe ich schließe, muß ich noch Etwas vom Herzen wälzen, das mich drückt: die Geschichte lebender Personen ist schwer
vorſproßt! Pflege ihn mit hoͤchſter Sorgfalt und erziehe ihn zum Baume des Lebens, der zwoͤlferlei Fruͤchte traͤgt; be- ſtimmt dich die Vorſehung zu einem nuͤtzlichen Beruf, ſo folge ihm, aber wenn auch noch nebenher ein Trieb erwacht, oder wenn die Vorſehung eine Ausſicht eroͤffnet, wo du, ohne deinem eigentlichen Beruf zu ſchaden, Saamen der Gluͤckſe- ligkeit ausſtreuen kannſt, da verſaͤume es nicht, laß es dir Muͤhe und ſauren Schweiß koſten, wenns noͤthig iſt; denn nichts fuͤhrt uns unmittelbarer Gott naͤher, als die Wohl- thaͤtigkeit.
Aber huͤte dich auch vor der in jetzigen Zeiten ſo ſtark ein- reißenden falſchen Thaͤtigkeit, die ich Taͤndelei zu nennen pflege. Der Sklave ſeiner Sinnlichkeit — der Wol- luͤſtling, deckt ſeinen Unflath mit der Tuͤnche der Menſchen- liebe, er will allenthalben Gutes thun und weiß nicht, was gut iſt, er befoͤrdert oft den armen Taugenichts zu einem Amte, wo er uͤberſchwenglich ſchadet, und wirkt, wo er nicht wirken ſoll. Eben ſo verfaͤhrt auch der ſtolze Prie- ſter in ſeiner eigenen Vernunft, die doch in dieſem Thal der Irrwiſche und Schatten noch gewaltig in den Kinderſchuhen herumſtolpert; er will Selbſtherrſcher in der moraliſchen Schoͤ- pfung ſeyn, legt unbehauene, oder auch verwitterte Steine im Bau an den unrechten Ort, und verkleiſtert Luͤcken und Loͤcher mit falſchem Moͤrtel.
Juͤngling! beſſere erſt dein Herz, und laß deinen Ver- ſtand durch das himmliſche Licht der Wahrheit erleuchten! Sey reines Herzens, ſo wirſt du Gott ſchauen, und wenn du dieſe Urquelle des Lichts ſieheſt, ſo wirſt du auch den geraden ſchmalen Steg ſehen, der zum Leben fuͤhrt; dann bete jeden Morgen zu Gott, daß er dir Gelegenheit zu guten Handlungen geben moͤge; ſtoͤßt dir dann eine ſolche auf, ſo erwiſch ſie bei den Haaren, wirke getroſt, Gott wird dir beiſtehen; und wenn dir eine wuͤrdige That gelungen iſt, ſo danke Gott innig in deinem Kaͤmmerlein und ſchweige!!
Ehe ich ſchließe, muß ich noch Etwas vom Herzen waͤlzen, das mich druͤckt: die Geſchichte lebender Perſonen iſt ſchwer
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vorſproßt! Pflege ihn mit hoͤchſter Sorgfalt und erziehe ihn
zum Baume des Lebens, der zwoͤlferlei Fruͤchte traͤgt; be-
ſtimmt dich die Vorſehung zu einem nuͤtzlichen Beruf, ſo
folge ihm, aber wenn auch noch nebenher ein Trieb erwacht,
oder wenn die Vorſehung eine Ausſicht eroͤffnet, wo du, ohne
deinem eigentlichen Beruf zu ſchaden, Saamen der Gluͤckſe-
ligkeit ausſtreuen kannſt, da verſaͤume es nicht, laß es dir
Muͤhe und ſauren Schweiß koſten, wenns noͤthig iſt; denn
nichts fuͤhrt uns unmittelbarer Gott naͤher, als die Wohl-
thaͤtigkeit.
Aber huͤte dich auch vor der in jetzigen Zeiten ſo ſtark ein-
reißenden falſchen Thaͤtigkeit, die ich Taͤndelei zu
nennen pflege. Der Sklave ſeiner Sinnlichkeit — der Wol-
luͤſtling, deckt ſeinen Unflath mit der Tuͤnche der Menſchen-
liebe, er will allenthalben Gutes thun und weiß nicht,
was gut iſt, er befoͤrdert oft den armen Taugenichts zu
einem Amte, wo er uͤberſchwenglich ſchadet, und wirkt, wo
er nicht wirken ſoll. Eben ſo verfaͤhrt auch der ſtolze Prie-
ſter in ſeiner eigenen Vernunft, die doch in dieſem Thal der
Irrwiſche und Schatten noch gewaltig in den Kinderſchuhen
herumſtolpert; er will Selbſtherrſcher in der moraliſchen Schoͤ-
pfung ſeyn, legt unbehauene, oder auch verwitterte Steine
im Bau an den unrechten Ort, und verkleiſtert Luͤcken und
Loͤcher mit falſchem Moͤrtel.
Juͤngling! beſſere erſt dein Herz, und laß deinen Ver-
ſtand durch das himmliſche Licht der Wahrheit erleuchten!
Sey reines Herzens, ſo wirſt du Gott ſchauen, und wenn du
dieſe Urquelle des Lichts ſieheſt, ſo wirſt du auch den geraden
ſchmalen Steg ſehen, der zum Leben fuͤhrt; dann bete jeden
Morgen zu Gott, daß er dir Gelegenheit zu guten Handlungen
geben moͤge; ſtoͤßt dir dann eine ſolche auf, ſo erwiſch ſie bei
den Haaren, wirke getroſt, Gott wird dir beiſtehen; und wenn
dir eine wuͤrdige That gelungen iſt, ſo danke Gott innig in
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Ehe ich ſchließe, muß ich noch Etwas vom Herzen waͤlzen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/438>, abgerufen am 22.11.2024.
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