viel zur Glückseligkeit seines Vaters beigetragen; sein ganzes Leben war unaufhörliche Wirksamkeit zum Besten der Men- schen, und heißes Bestreben nach Entdeckung neuer Wahrheiten; sein Einfluß auf Leben, Sitten und Betragen seiner Nach- barn war so groß und so tief eingreifend, daß seine ganze äußere Lebens- und Handelsweise unter alle Bauern seines Dorfes vertheilt ist, der Eine lacht wie er, der Andere hat seinen Gang angenommen, der Dritte seine Lieblingsausdrücke u. s. w. Sein Geist ruht zertheilt auf seinen Freunden, und macht ihn auch für diese Welt unsterblich. Aber auch sein Gedächtniß als Saatsdiener bleibt im Segen; denn seine Anstalten und Verfügungen werden den Armen der Nachwelt noch Brod und Erquickung schaffen, wann Johann Stil- lings Gebeine Staub sind. Ruhe sanft, würdiger Sohn Eberhard Stillings! du hast ihm Ehre gemacht, dem frommen Patriarchen; und jetzt wird er sich in seiner Hoheit seines Sohnes freuen, ihn vor den Thron des Erlösers führen, und ihm an den goldenen Stufen Dank opfern.
Im Sommer des Jahrs 1787, an einem schönen heiteren Nachmittag, als Stilling auf dem Katheder stand und die Technologie lehrte, traten auf Einmal, mitten in der Rede, einige dort studirende Herren in seinen Hörsaal hinein. Ei- ner rief überlaut: Ihr Vater ist da, jetzt hört hier Alles auf! -- Stilling verstummte, mancherlei Empfin- dungen bestürmten sein Herz, und er wankte, vom ganzen Kollegium begleitet, die Treppe herab.
Selma hatte unten an der Hausthüre ihren guten Schwie- gervater mit Thränen bewillkommt, ihn und seinen Begleiter, den Bergmeister, in die Stube geführt, und war nun hinge- gangen, um ihr Kind zu holen; während der Zeit trat Stil- ling mit seiner Begleitung hinein, gerade der Thüre gegen- über stand der Bergmeister, und seitwärts linker Hand Wil- helm Stilling, er hielt seinen Hut in den Händen, stand krumm gebückt vor Alter, und in seinem ehrwürdigen Ange- sicht hatten die Zeit und mancherlei Trübsale viele und tiefe Furchen gegraben. Schüchtern, und mit der ihm ganz eige-
viel zur Gluͤckſeligkeit ſeines Vaters beigetragen; ſein ganzes Leben war unaufhoͤrliche Wirkſamkeit zum Beſten der Men- ſchen, und heißes Beſtreben nach Entdeckung neuer Wahrheiten; ſein Einfluß auf Leben, Sitten und Betragen ſeiner Nach- barn war ſo groß und ſo tief eingreifend, daß ſeine ganze aͤußere Lebens- und Handelsweiſe unter alle Bauern ſeines Dorfes vertheilt iſt, der Eine lacht wie er, der Andere hat ſeinen Gang angenommen, der Dritte ſeine Lieblingsausdruͤcke u. ſ. w. Sein Geiſt ruht zertheilt auf ſeinen Freunden, und macht ihn auch fuͤr dieſe Welt unſterblich. Aber auch ſein Gedaͤchtniß als Saatsdiener bleibt im Segen; denn ſeine Anſtalten und Verfuͤgungen werden den Armen der Nachwelt noch Brod und Erquickung ſchaffen, wann Johann Stil- lings Gebeine Staub ſind. Ruhe ſanft, wuͤrdiger Sohn Eberhard Stillings! du haſt ihm Ehre gemacht, dem frommen Patriarchen; und jetzt wird er ſich in ſeiner Hoheit ſeines Sohnes freuen, ihn vor den Thron des Erloͤſers fuͤhren, und ihm an den goldenen Stufen Dank opfern.
Im Sommer des Jahrs 1787, an einem ſchoͤnen heiteren Nachmittag, als Stilling auf dem Katheder ſtand und die Technologie lehrte, traten auf Einmal, mitten in der Rede, einige dort ſtudirende Herren in ſeinen Hoͤrſaal hinein. Ei- ner rief uͤberlaut: Ihr Vater iſt da, jetzt hoͤrt hier Alles auf! — Stilling verſtummte, mancherlei Empfin- dungen beſtuͤrmten ſein Herz, und er wankte, vom ganzen Kollegium begleitet, die Treppe herab.
Selma hatte unten an der Hausthuͤre ihren guten Schwie- gervater mit Thraͤnen bewillkommt, ihn und ſeinen Begleiter, den Bergmeiſter, in die Stube gefuͤhrt, und war nun hinge- gangen, um ihr Kind zu holen; waͤhrend der Zeit trat Stil- ling mit ſeiner Begleitung hinein, gerade der Thuͤre gegen- uͤber ſtand der Bergmeiſter, und ſeitwaͤrts linker Hand Wil- helm Stilling, er hielt ſeinen Hut in den Haͤnden, ſtand krumm gebuͤckt vor Alter, und in ſeinem ehrwuͤrdigen Ange- ſicht hatten die Zeit und mancherlei Truͤbſale viele und tiefe Furchen gegraben. Schuͤchtern, und mit der ihm ganz eige-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0434"n="426"/>
viel zur Gluͤckſeligkeit ſeines Vaters beigetragen; ſein ganzes<lb/>
Leben war unaufhoͤrliche Wirkſamkeit zum Beſten der Men-<lb/>ſchen, und heißes Beſtreben nach Entdeckung neuer Wahrheiten;<lb/>ſein Einfluß auf Leben, Sitten und Betragen ſeiner Nach-<lb/>
barn war ſo groß und ſo tief eingreifend, daß ſeine ganze<lb/>
aͤußere Lebens- und Handelsweiſe unter alle Bauern ſeines<lb/>
Dorfes vertheilt iſt, der Eine lacht wie er, der Andere hat<lb/>ſeinen Gang angenommen, der Dritte ſeine Lieblingsausdruͤcke<lb/>
u. ſ. w. Sein Geiſt ruht zertheilt auf ſeinen Freunden, und<lb/>
macht ihn auch fuͤr dieſe Welt unſterblich. Aber auch ſein<lb/>
Gedaͤchtniß als Saatsdiener bleibt im Segen; denn ſeine<lb/>
Anſtalten und Verfuͤgungen werden den Armen der Nachwelt<lb/>
noch Brod und Erquickung ſchaffen, wann <hirendition="#g">Johann Stil-<lb/>
lings</hi> Gebeine Staub ſind. Ruhe ſanft, wuͤrdiger Sohn<lb/><hirendition="#g">Eberhard Stillings</hi>! du haſt ihm Ehre gemacht, dem<lb/>
frommen Patriarchen; und jetzt wird er ſich in ſeiner Hoheit<lb/>ſeines Sohnes freuen, ihn vor den Thron des Erloͤſers fuͤhren,<lb/>
und ihm an den goldenen Stufen Dank opfern.</p><lb/><p>Im Sommer des Jahrs 1787, an einem ſchoͤnen heiteren<lb/>
Nachmittag, als <hirendition="#g">Stilling</hi> auf dem Katheder ſtand und<lb/>
die Technologie lehrte, traten auf Einmal, mitten in der Rede,<lb/>
einige dort ſtudirende Herren in ſeinen Hoͤrſaal hinein. Ei-<lb/>
ner rief uͤberlaut: <hirendition="#g">Ihr Vater iſt da, jetzt hoͤrt hier<lb/>
Alles auf! — Stilling</hi> verſtummte, mancherlei Empfin-<lb/>
dungen beſtuͤrmten ſein Herz, und er wankte, vom ganzen<lb/>
Kollegium begleitet, die Treppe herab.</p><lb/><p><hirendition="#g">Selma</hi> hatte unten an der Hausthuͤre ihren guten Schwie-<lb/>
gervater mit Thraͤnen bewillkommt, ihn und ſeinen Begleiter,<lb/>
den Bergmeiſter, in die Stube gefuͤhrt, und war nun hinge-<lb/>
gangen, um ihr Kind zu holen; waͤhrend der Zeit trat <hirendition="#g">Stil-<lb/>
ling</hi> mit ſeiner Begleitung hinein, gerade der Thuͤre gegen-<lb/>
uͤber ſtand der Bergmeiſter, und ſeitwaͤrts linker Hand <hirendition="#g">Wil-<lb/>
helm Stilling</hi>, er hielt ſeinen Hut in den Haͤnden, ſtand<lb/>
krumm gebuͤckt vor Alter, und in ſeinem ehrwuͤrdigen Ange-<lb/>ſicht hatten die Zeit und mancherlei Truͤbſale viele und tiefe<lb/>
Furchen gegraben. Schuͤchtern, und mit der ihm ganz eige-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[426/0434]
viel zur Gluͤckſeligkeit ſeines Vaters beigetragen; ſein ganzes
Leben war unaufhoͤrliche Wirkſamkeit zum Beſten der Men-
ſchen, und heißes Beſtreben nach Entdeckung neuer Wahrheiten;
ſein Einfluß auf Leben, Sitten und Betragen ſeiner Nach-
barn war ſo groß und ſo tief eingreifend, daß ſeine ganze
aͤußere Lebens- und Handelsweiſe unter alle Bauern ſeines
Dorfes vertheilt iſt, der Eine lacht wie er, der Andere hat
ſeinen Gang angenommen, der Dritte ſeine Lieblingsausdruͤcke
u. ſ. w. Sein Geiſt ruht zertheilt auf ſeinen Freunden, und
macht ihn auch fuͤr dieſe Welt unſterblich. Aber auch ſein
Gedaͤchtniß als Saatsdiener bleibt im Segen; denn ſeine
Anſtalten und Verfuͤgungen werden den Armen der Nachwelt
noch Brod und Erquickung ſchaffen, wann Johann Stil-
lings Gebeine Staub ſind. Ruhe ſanft, wuͤrdiger Sohn
Eberhard Stillings! du haſt ihm Ehre gemacht, dem
frommen Patriarchen; und jetzt wird er ſich in ſeiner Hoheit
ſeines Sohnes freuen, ihn vor den Thron des Erloͤſers fuͤhren,
und ihm an den goldenen Stufen Dank opfern.
Im Sommer des Jahrs 1787, an einem ſchoͤnen heiteren
Nachmittag, als Stilling auf dem Katheder ſtand und
die Technologie lehrte, traten auf Einmal, mitten in der Rede,
einige dort ſtudirende Herren in ſeinen Hoͤrſaal hinein. Ei-
ner rief uͤberlaut: Ihr Vater iſt da, jetzt hoͤrt hier
Alles auf! — Stilling verſtummte, mancherlei Empfin-
dungen beſtuͤrmten ſein Herz, und er wankte, vom ganzen
Kollegium begleitet, die Treppe herab.
Selma hatte unten an der Hausthuͤre ihren guten Schwie-
gervater mit Thraͤnen bewillkommt, ihn und ſeinen Begleiter,
den Bergmeiſter, in die Stube gefuͤhrt, und war nun hinge-
gangen, um ihr Kind zu holen; waͤhrend der Zeit trat Stil-
ling mit ſeiner Begleitung hinein, gerade der Thuͤre gegen-
uͤber ſtand der Bergmeiſter, und ſeitwaͤrts linker Hand Wil-
helm Stilling, er hielt ſeinen Hut in den Haͤnden, ſtand
krumm gebuͤckt vor Alter, und in ſeinem ehrwuͤrdigen Ange-
ſicht hatten die Zeit und mancherlei Truͤbſale viele und tiefe
Furchen gegraben. Schuͤchtern, und mit der ihm ganz eige-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/434>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.