Jetzt trat er auf, und hielt eine deutsche Rede, mit der ihm gewöhnlichen Heiterkeit. Der Erfolg war unerwartet: Thrä- nen begannen zu fließen, man freute sich, man lispelte sich in die Ohren, und endlich fing man an zu klatschen und Bravo zu rufen, so daß er aufhören mußte, bis das Getöse vorbei war. Dieß wurde zu verschiedenen Malen wiederholt, und als er endlich vom Katheder herabstieg, dankte ihm der Stell- vertreter des Churfürsten, der Herr Minister von Oberndorf, sehr verbindlich, und nun fingen die Pfälzer Großen in ihren Sternen und Ordensbändern an, herbei zu treten, und ihn der Reihe nach zu umarmen und zu küssen, welches hernach auch von den vornehmsten Deputirten der Reichsstädte und Universitäten geschah. Wie Stillingen bei diesem Auftritte zu Muthe war, das läßt sich leicht errathen. Gott war mit ihm, und er vergönnte ihm nun einmal einen Tropfen wohl- verdienten Ehrgenuß, der ihm so lange unbilliger Weise war vorenthalten worden. Indessen fühlte er bei dem Allem wohl, wie wenig Antheil er an dem ganzen Verdienst dieser Ehre hatte. Sein Talent ist Geschenk Gottes; daß er es gehörig hatte kultiviren können, war Wirkung der göttlichen Vorse- hung, und daß jetzt der Effekt so erstaunlich war, dazu tha- ten auch die Umstände das meiste. Gott allein die Ehre!
Von dieser Zeit an genoß Stilling die Liebe und die Achtung aller vornehmen Pfälzer in großem Maaß, und ge- rade jetzt fing auch die Vorsehung an, ihm den Standpunkt zu bereiten, zu welchem sie ihn seit vierzehn Jahren her durch viele langwierige und schwere Leiden hatte führen und bilden wollen.
Der Herr Landgraf von Hessen-Cassel hatte von seinem Regierungsantritt an den wohlthätigen Entschluß gefaßt, die Universität Marburg in einen bessern Stand zu setzen, und zu dem Ende die berühmten Männer von Selchow, Bal- dinger und andere mehr dahin verpflanzt. Nun wünschte er auch das ökonomische Fach besetzt zu sehen; es wurden ihm zu dem Ende verschiedene Gelehrte vorgeschlagen, allein es standen Umstände im Wege, daß sie nicht kommen konnten.
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Jetzt trat er auf, und hielt eine deutſche Rede, mit der ihm gewoͤhnlichen Heiterkeit. Der Erfolg war unerwartet: Thraͤ- nen begannen zu fließen, man freute ſich, man liſpelte ſich in die Ohren, und endlich fing man an zu klatſchen und Bravo zu rufen, ſo daß er aufhoͤren mußte, bis das Getoͤſe vorbei war. Dieß wurde zu verſchiedenen Malen wiederholt, und als er endlich vom Katheder herabſtieg, dankte ihm der Stell- vertreter des Churfuͤrſten, der Herr Miniſter von Oberndorf, ſehr verbindlich, und nun fingen die Pfaͤlzer Großen in ihren Sternen und Ordensbaͤndern an, herbei zu treten, und ihn der Reihe nach zu umarmen und zu kuͤſſen, welches hernach auch von den vornehmſten Deputirten der Reichsſtaͤdte und Univerſitaͤten geſchah. Wie Stillingen bei dieſem Auftritte zu Muthe war, das laͤßt ſich leicht errathen. Gott war mit ihm, und er vergoͤnnte ihm nun einmal einen Tropfen wohl- verdienten Ehrgenuß, der ihm ſo lange unbilliger Weiſe war vorenthalten worden. Indeſſen fuͤhlte er bei dem Allem wohl, wie wenig Antheil er an dem ganzen Verdienſt dieſer Ehre hatte. Sein Talent iſt Geſchenk Gottes; daß er es gehoͤrig hatte kultiviren koͤnnen, war Wirkung der goͤttlichen Vorſe- hung, und daß jetzt der Effekt ſo erſtaunlich war, dazu tha- ten auch die Umſtaͤnde das meiſte. Gott allein die Ehre!
Von dieſer Zeit an genoß Stilling die Liebe und die Achtung aller vornehmen Pfaͤlzer in großem Maaß, und ge- rade jetzt fing auch die Vorſehung an, ihm den Standpunkt zu bereiten, zu welchem ſie ihn ſeit vierzehn Jahren her durch viele langwierige und ſchwere Leiden hatte fuͤhren und bilden wollen.
Der Herr Landgraf von Heſſen-Caſſel hatte von ſeinem Regierungsantritt an den wohlthaͤtigen Entſchluß gefaßt, die Univerſitaͤt Marburg in einen beſſern Stand zu ſetzen, und zu dem Ende die beruͤhmten Maͤnner von Selchow, Bal- dinger und andere mehr dahin verpflanzt. Nun wuͤnſchte er auch das oͤkonomiſche Fach beſetzt zu ſehen; es wurden ihm zu dem Ende verſchiedene Gelehrte vorgeſchlagen, allein es ſtanden Umſtaͤnde im Wege, daß ſie nicht kommen konnten.
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Jetzt trat er auf, und hielt eine deutſche Rede, mit der ihm
gewoͤhnlichen Heiterkeit. Der Erfolg war unerwartet: Thraͤ-
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in die Ohren, und endlich fing man an zu klatſchen und Bravo
zu rufen, ſo daß er aufhoͤren mußte, bis das Getoͤſe vorbei
war. Dieß wurde zu verſchiedenen Malen wiederholt, und
als er endlich vom Katheder herabſtieg, dankte ihm der Stell-
vertreter des Churfuͤrſten, der Herr Miniſter von Oberndorf,
ſehr verbindlich, und nun fingen die Pfaͤlzer Großen in ihren
Sternen und Ordensbaͤndern an, herbei zu treten, und ihn
der Reihe nach zu umarmen und zu kuͤſſen, welches hernach
auch von den vornehmſten Deputirten der Reichsſtaͤdte und
Univerſitaͤten geſchah. Wie Stillingen bei dieſem Auftritte
zu Muthe war, das laͤßt ſich leicht errathen. Gott war mit
ihm, und er vergoͤnnte ihm nun einmal einen Tropfen wohl-
verdienten Ehrgenuß, der ihm ſo lange unbilliger Weiſe war
vorenthalten worden. Indeſſen fuͤhlte er bei dem Allem wohl,
wie wenig Antheil er an dem ganzen Verdienſt dieſer Ehre
hatte. Sein Talent iſt Geſchenk Gottes; daß er es gehoͤrig
hatte kultiviren koͤnnen, war Wirkung der goͤttlichen Vorſe-
hung, und daß jetzt der Effekt ſo erſtaunlich war, dazu tha-
ten auch die Umſtaͤnde das meiſte. Gott allein die Ehre!
Von dieſer Zeit an genoß Stilling die Liebe und die
Achtung aller vornehmen Pfaͤlzer in großem Maaß, und ge-
rade jetzt fing auch die Vorſehung an, ihm den Standpunkt
zu bereiten, zu welchem ſie ihn ſeit vierzehn Jahren her durch
viele langwierige und ſchwere Leiden hatte fuͤhren und bilden
wollen.
Der Herr Landgraf von Heſſen-Caſſel hatte von ſeinem
Regierungsantritt an den wohlthaͤtigen Entſchluß gefaßt, die
Univerſitaͤt Marburg in einen beſſern Stand zu ſetzen, und
zu dem Ende die beruͤhmten Maͤnner von Selchow, Bal-
dinger und andere mehr dahin verpflanzt. Nun wuͤnſchte
er auch das oͤkonomiſche Fach beſetzt zu ſehen; es wurden
ihm zu dem Ende verſchiedene Gelehrte vorgeſchlagen, allein
es ſtanden Umſtaͤnde im Wege, daß ſie nicht kommen konnten.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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