Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

einigermaßen vernünftigen Manne Ruhe und Zufriedenheit ein-
flößen mußte.

Indessen fanden sich allmählig Umstände, die Stillings
Wirkungskreis sehr einschränkten: seine Thätigkeit und die
Menge seiner Schriften erzeugten Neid; man suchte, so viel
möglich, Dunkelheit gegen ihn zu verbreiten, und ihn in einem
schiefen Lichte zu zeigen; er that Vieles zum gemeinen Be-
sten, allein man bemerkte es nicht, im Gegentheil war alles
nicht recht, und wo ihm der Hof oder andere politische Kör-
per eine Vergeltung angedeihen lassen wollten, da wurde es
verhindert. Dazu kam noch eins: Stilling wünschte, sein
ganzes System allein ausführen und lehren zu können, allein
das war bei der jetzigen Lage unmöglich, denn seine Kollegen
theilten das Lehrgebäude mit ihm. Endlich war sein Einkom-
men zu klein, um für die Versorgung seiner Familie wirken
zu können: denn dieß war nun sein vornehmstes Augenmerk,
da ihn seine Schulden nicht mehr drückten.

Das Alles machte in ihm den Entschluß rege, einem vor-
theilhafteren Ruf zu folgen, sobald ihm die Vorsehung einen
solchen dereinst an die Hand geben würde. Indessen war er
innig froh und vergnügt, denn das Alles waren keine Leiden,
sondern blos einschränkende Verhältnisse.

Im Jahr 1784 beschloß endlich der Churfürst, die Kame-
ralschule von Rittersburg nach Heidelberg zu verle-
gen, und sie dort mit der uralten Universität zu vereinigen.
Stilling befand sich in sofern wohl dabei, daß sein Wir-
kungskreis ausgedehnter, auch sein Einkommen wenigstens um
Etwas stärker wurde, allein an Gründung eines Familien-
glücks war gar nicht zu denken, und der Neid wurde nun noch
stärker; er fand zwar auch viele wichtige Freunde daselbst, und
bei dem Publiko gewann er eine allgemeine Liebe, weil er seine
Staar- und Augenkuren, wie bisher, noch immer mit vie-
lem Glück und unentgeltlich fortsetzte. Allein er hatte doch
auch manchen Kummer und manchen Verdruß hinunter zu
schlucken. Was ihn am meisten tröstete, war die allgemeine

Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 28

einigermaßen vernuͤnftigen Manne Ruhe und Zufriedenheit ein-
floͤßen mußte.

Indeſſen fanden ſich allmaͤhlig Umſtaͤnde, die Stillings
Wirkungskreis ſehr einſchraͤnkten: ſeine Thaͤtigkeit und die
Menge ſeiner Schriften erzeugten Neid; man ſuchte, ſo viel
moͤglich, Dunkelheit gegen ihn zu verbreiten, und ihn in einem
ſchiefen Lichte zu zeigen; er that Vieles zum gemeinen Be-
ſten, allein man bemerkte es nicht, im Gegentheil war alles
nicht recht, und wo ihm der Hof oder andere politiſche Koͤr-
per eine Vergeltung angedeihen laſſen wollten, da wurde es
verhindert. Dazu kam noch eins: Stilling wuͤnſchte, ſein
ganzes Syſtem allein ausfuͤhren und lehren zu koͤnnen, allein
das war bei der jetzigen Lage unmoͤglich, denn ſeine Kollegen
theilten das Lehrgebaͤude mit ihm. Endlich war ſein Einkom-
men zu klein, um fuͤr die Verſorgung ſeiner Familie wirken
zu koͤnnen: denn dieß war nun ſein vornehmſtes Augenmerk,
da ihn ſeine Schulden nicht mehr druͤckten.

Das Alles machte in ihm den Entſchluß rege, einem vor-
theilhafteren Ruf zu folgen, ſobald ihm die Vorſehung einen
ſolchen dereinſt an die Hand geben wuͤrde. Indeſſen war er
innig froh und vergnuͤgt, denn das Alles waren keine Leiden,
ſondern blos einſchraͤnkende Verhaͤltniſſe.

Im Jahr 1784 beſchloß endlich der Churfuͤrſt, die Kame-
ralſchule von Rittersburg nach Heidelberg zu verle-
gen, und ſie dort mit der uralten Univerſitaͤt zu vereinigen.
Stilling befand ſich in ſofern wohl dabei, daß ſein Wir-
kungskreis ausgedehnter, auch ſein Einkommen wenigſtens um
Etwas ſtaͤrker wurde, allein an Gruͤndung eines Familien-
gluͤcks war gar nicht zu denken, und der Neid wurde nun noch
ſtaͤrker; er fand zwar auch viele wichtige Freunde daſelbſt, und
bei dem Publiko gewann er eine allgemeine Liebe, weil er ſeine
Staar- und Augenkuren, wie bisher, noch immer mit vie-
lem Gluͤck und unentgeltlich fortſetzte. Allein er hatte doch
auch manchen Kummer und manchen Verdruß hinunter zu
ſchlucken. Was ihn am meiſten troͤſtete, war die allgemeine

Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0429" n="421"/>
einigermaßen vernu&#x0364;nftigen Manne Ruhe und Zufriedenheit ein-<lb/>
flo&#x0364;ßen mußte.</p><lb/>
            <p>Inde&#x017F;&#x017F;en fanden &#x017F;ich allma&#x0364;hlig Um&#x017F;ta&#x0364;nde, die <hi rendition="#g">Stillings</hi><lb/>
Wirkungskreis &#x017F;ehr ein&#x017F;chra&#x0364;nkten: &#x017F;eine Tha&#x0364;tigkeit und die<lb/>
Menge &#x017F;einer Schriften erzeugten Neid; man &#x017F;uchte, &#x017F;o viel<lb/>
mo&#x0364;glich, Dunkelheit gegen ihn zu verbreiten, und ihn in einem<lb/>
&#x017F;chiefen Lichte zu zeigen; er that Vieles zum gemeinen Be-<lb/>
&#x017F;ten, allein man bemerkte es nicht, im Gegentheil war alles<lb/>
nicht recht, und wo ihm der Hof oder andere politi&#x017F;che Ko&#x0364;r-<lb/>
per eine Vergeltung angedeihen la&#x017F;&#x017F;en wollten, da wurde es<lb/>
verhindert. Dazu kam noch eins: <hi rendition="#g">Stilling</hi> wu&#x0364;n&#x017F;chte, &#x017F;ein<lb/>
ganzes Sy&#x017F;tem allein ausfu&#x0364;hren und lehren zu ko&#x0364;nnen, allein<lb/>
das war bei der jetzigen Lage unmo&#x0364;glich, denn &#x017F;eine Kollegen<lb/>
theilten das Lehrgeba&#x0364;ude mit ihm. Endlich war &#x017F;ein Einkom-<lb/>
men zu klein, um fu&#x0364;r die Ver&#x017F;orgung &#x017F;einer Familie wirken<lb/>
zu ko&#x0364;nnen: denn dieß war nun &#x017F;ein vornehm&#x017F;tes Augenmerk,<lb/>
da ihn &#x017F;eine Schulden nicht mehr dru&#x0364;ckten.</p><lb/>
            <p>Das Alles machte in ihm den Ent&#x017F;chluß rege, einem vor-<lb/>
theilhafteren Ruf zu folgen, &#x017F;obald ihm die Vor&#x017F;ehung einen<lb/>
&#x017F;olchen derein&#x017F;t an die Hand geben wu&#x0364;rde. Inde&#x017F;&#x017F;en war er<lb/>
innig froh und vergnu&#x0364;gt, denn das Alles waren keine <hi rendition="#g">Leiden</hi>,<lb/>
&#x017F;ondern blos <hi rendition="#g">ein&#x017F;chra&#x0364;nkende Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e</hi>.</p><lb/>
            <p>Im Jahr 1784 be&#x017F;chloß endlich der Churfu&#x0364;r&#x017F;t, die Kame-<lb/>
ral&#x017F;chule von <hi rendition="#g">Rittersburg</hi> nach <hi rendition="#g">Heidelberg</hi> zu verle-<lb/>
gen, und &#x017F;ie dort mit der uralten Univer&#x017F;ita&#x0364;t zu vereinigen.<lb/><hi rendition="#g">Stilling</hi> befand &#x017F;ich in &#x017F;ofern wohl dabei, daß &#x017F;ein Wir-<lb/>
kungskreis ausgedehnter, auch &#x017F;ein Einkommen wenig&#x017F;tens um<lb/>
Etwas &#x017F;ta&#x0364;rker wurde, allein an Gru&#x0364;ndung eines Familien-<lb/>
glu&#x0364;cks war gar nicht zu denken, und der Neid wurde nun noch<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rker; er fand zwar auch viele wichtige Freunde da&#x017F;elb&#x017F;t, und<lb/>
bei dem Publiko gewann er eine allgemeine Liebe, weil er &#x017F;eine<lb/>
Staar- und Augenkuren, wie bisher, noch immer mit vie-<lb/>
lem Glu&#x0364;ck und unentgeltlich fort&#x017F;etzte. Allein er hatte doch<lb/>
auch manchen Kummer und manchen Verdruß hinunter zu<lb/>
&#x017F;chlucken. Was ihn am mei&#x017F;ten tro&#x0364;&#x017F;tete, war die allgemeine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Stillings &#x017F;ämmtl. Schriften. <hi rendition="#aq">I.</hi> Band. 28</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0429] einigermaßen vernuͤnftigen Manne Ruhe und Zufriedenheit ein- floͤßen mußte. Indeſſen fanden ſich allmaͤhlig Umſtaͤnde, die Stillings Wirkungskreis ſehr einſchraͤnkten: ſeine Thaͤtigkeit und die Menge ſeiner Schriften erzeugten Neid; man ſuchte, ſo viel moͤglich, Dunkelheit gegen ihn zu verbreiten, und ihn in einem ſchiefen Lichte zu zeigen; er that Vieles zum gemeinen Be- ſten, allein man bemerkte es nicht, im Gegentheil war alles nicht recht, und wo ihm der Hof oder andere politiſche Koͤr- per eine Vergeltung angedeihen laſſen wollten, da wurde es verhindert. Dazu kam noch eins: Stilling wuͤnſchte, ſein ganzes Syſtem allein ausfuͤhren und lehren zu koͤnnen, allein das war bei der jetzigen Lage unmoͤglich, denn ſeine Kollegen theilten das Lehrgebaͤude mit ihm. Endlich war ſein Einkom- men zu klein, um fuͤr die Verſorgung ſeiner Familie wirken zu koͤnnen: denn dieß war nun ſein vornehmſtes Augenmerk, da ihn ſeine Schulden nicht mehr druͤckten. Das Alles machte in ihm den Entſchluß rege, einem vor- theilhafteren Ruf zu folgen, ſobald ihm die Vorſehung einen ſolchen dereinſt an die Hand geben wuͤrde. Indeſſen war er innig froh und vergnuͤgt, denn das Alles waren keine Leiden, ſondern blos einſchraͤnkende Verhaͤltniſſe. Im Jahr 1784 beſchloß endlich der Churfuͤrſt, die Kame- ralſchule von Rittersburg nach Heidelberg zu verle- gen, und ſie dort mit der uralten Univerſitaͤt zu vereinigen. Stilling befand ſich in ſofern wohl dabei, daß ſein Wir- kungskreis ausgedehnter, auch ſein Einkommen wenigſtens um Etwas ſtaͤrker wurde, allein an Gruͤndung eines Familien- gluͤcks war gar nicht zu denken, und der Neid wurde nun noch ſtaͤrker; er fand zwar auch viele wichtige Freunde daſelbſt, und bei dem Publiko gewann er eine allgemeine Liebe, weil er ſeine Staar- und Augenkuren, wie bisher, noch immer mit vie- lem Gluͤck und unentgeltlich fortſetzte. Allein er hatte doch auch manchen Kummer und manchen Verdruß hinunter zu ſchlucken. Was ihn am meiſten troͤſtete, war die allgemeine Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/429
Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/429>, abgerufen am 25.11.2024.