hinab, das Boot fuhr nach, und endlich sah man Beide nicht mehr: über das Alles wurde es immer dunkler und grauenvoller!
Stilling stand da, wie vor dem Richterstuhl des Allmäch- tigen, beten konnte er nicht, nicht denken -- seine Augen starr- ten hin, zwischen die himmelhohen Berge, gegen das Bingerloch zu -- es war ihm, als stände er im brennenden Sand bis an den Hals -- seine Selma, dieß herrliche Geschenk Gottes, war für ihn verloren -- von allen Seiten drang das schreck- liche Geschrei des Volks in seine betäubten Ohren: "die ar- men Leute sind hin -- Gott sey ihnen gnädig!" O Gott, welch ein Jammer! -- und dieser währte zwei Stunden.
Endlich drängte sich ein junger Mann, ein Geistlicher Na- mens Gentli, durch das Volk zu den drei Männern, er stellte sich mit einer Engelsmiene vor ihnen hin, drückte ihnen die Hände, und sagte: Zufrieden! zufrieden! liebe Herren! sorgen Sie nicht -- so leicht verunglückt Niemand, stören Sie sich an das Gewäsch des Pöbels nicht, was gilts, die Da- men sind schon jetzt herüber? Kommen Sie! wir wollen dies- seits am Ufer hinab gehen, kommen Sie! ich will Ihnen den Weg zeigen! -- Dieses war ein kühler Thau auf die brennenden Herzen, sie folgten; er führte sie am Arm die Wiese hinab, und alle seine Worte waren Worte des Trostes und des Friedens.
Als sie nun gegen den Mäusethurm zuwandelten und im- mer die Augen auf den Strom gerichtet hatten, so hörten sie da gegenüber linker Hand ein Knistern und Rasseln, als wenn eine Kutsche zwischen den Hecken fährt; alle Viere schauten hin, allein es war zu dunkel, um zu sehen; Stilling rief also mit lauter Stimme, und seine Selma antwortete: "Wir sind errettet!
Klopstocks: Komm her Abbadona zu deinem Er- barmer! -- und diese Worte: Wir sind errettet! thaten ei- nerlei Wirkung; Schmerz, W.. und Stilling fielen dem guten katholischen Geistlichen um den Hals, gerade als wenn er selbst ihr Erretter gewesen wäre, und er freute sich mit ih- nen als ein Bruder. O du Friedensbote! du ächter Evange- list, sey ewig gesegnet!
hinab, das Boot fuhr nach, und endlich ſah man Beide nicht mehr: uͤber das Alles wurde es immer dunkler und grauenvoller!
Stilling ſtand da, wie vor dem Richterſtuhl des Allmaͤch- tigen, beten konnte er nicht, nicht denken — ſeine Augen ſtarr- ten hin, zwiſchen die himmelhohen Berge, gegen das Bingerloch zu — es war ihm, als ſtaͤnde er im brennenden Sand bis an den Hals — ſeine Selma, dieß herrliche Geſchenk Gottes, war fuͤr ihn verloren — von allen Seiten drang das ſchreck- liche Geſchrei des Volks in ſeine betaͤubten Ohren: „die ar- men Leute ſind hin — Gott ſey ihnen gnaͤdig!“ O Gott, welch ein Jammer! — und dieſer waͤhrte zwei Stunden.
Endlich draͤngte ſich ein junger Mann, ein Geiſtlicher Na- mens Gentli, durch das Volk zu den drei Maͤnnern, er ſtellte ſich mit einer Engelsmiene vor ihnen hin, druͤckte ihnen die Haͤnde, und ſagte: Zufrieden! zufrieden! liebe Herren! ſorgen Sie nicht — ſo leicht verungluͤckt Niemand, ſtoͤren Sie ſich an das Gewaͤſch des Poͤbels nicht, was gilts, die Da- men ſind ſchon jetzt heruͤber? Kommen Sie! wir wollen dieſ- ſeits am Ufer hinab gehen, kommen Sie! ich will Ihnen den Weg zeigen! — Dieſes war ein kuͤhler Thau auf die brennenden Herzen, ſie folgten; er fuͤhrte ſie am Arm die Wieſe hinab, und alle ſeine Worte waren Worte des Troſtes und des Friedens.
Als ſie nun gegen den Maͤuſethurm zuwandelten und im- mer die Augen auf den Strom gerichtet hatten, ſo hoͤrten ſie da gegenuͤber linker Hand ein Kniſtern und Raſſeln, als wenn eine Kutſche zwiſchen den Hecken faͤhrt; alle Viere ſchauten hin, allein es war zu dunkel, um zu ſehen; Stilling rief alſo mit lauter Stimme, und ſeine Selma antwortete: „Wir ſind errettet!
Klopſtocks: Komm her Abbadona zu deinem Er- barmer! — und dieſe Worte: Wir ſind errettet! thaten ei- nerlei Wirkung; Schmerz, W.. und Stilling fielen dem guten katholiſchen Geiſtlichen um den Hals, gerade als wenn er ſelbſt ihr Erretter geweſen waͤre, und er freute ſich mit ih- nen als ein Bruder. O du Friedensbote! du aͤchter Evange- liſt, ſey ewig geſegnet!
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Stilling ſtand da, wie vor dem Richterſtuhl des Allmaͤch-
tigen, beten konnte er nicht, nicht denken — ſeine Augen ſtarr-
ten hin, zwiſchen die himmelhohen Berge, gegen das Bingerloch
zu — es war ihm, als ſtaͤnde er im brennenden Sand bis an
den Hals — ſeine Selma, dieß herrliche Geſchenk Gottes,
war fuͤr ihn verloren — von allen Seiten drang das ſchreck-
liche Geſchrei des Volks in ſeine betaͤubten Ohren: „die ar-
men Leute ſind hin — Gott ſey ihnen gnaͤdig!“ O
Gott, welch ein Jammer! — und dieſer waͤhrte zwei Stunden.
Endlich draͤngte ſich ein junger Mann, ein Geiſtlicher Na-
mens Gentli, durch das Volk zu den drei Maͤnnern, er
ſtellte ſich mit einer Engelsmiene vor ihnen hin, druͤckte ihnen
die Haͤnde, und ſagte: Zufrieden! zufrieden! liebe Herren!
ſorgen Sie nicht — ſo leicht verungluͤckt Niemand, ſtoͤren Sie
ſich an das Gewaͤſch des Poͤbels nicht, was gilts, die Da-
men ſind ſchon jetzt heruͤber? Kommen Sie! wir wollen dieſ-
ſeits am Ufer hinab gehen, kommen Sie! ich will Ihnen
den Weg zeigen! — Dieſes war ein kuͤhler Thau auf die
brennenden Herzen, ſie folgten; er fuͤhrte ſie am Arm die
Wieſe hinab, und alle ſeine Worte waren Worte des Troſtes
und des Friedens.
Als ſie nun gegen den Maͤuſethurm zuwandelten und im-
mer die Augen auf den Strom gerichtet hatten, ſo hoͤrten ſie
da gegenuͤber linker Hand ein Kniſtern und Raſſeln, als wenn
eine Kutſche zwiſchen den Hecken faͤhrt; alle Viere ſchauten
hin, allein es war zu dunkel, um zu ſehen; Stilling rief
alſo mit lauter Stimme, und ſeine Selma antwortete: „Wir
ſind errettet!
Klopſtocks: Komm her Abbadona zu deinem Er-
barmer! — und dieſe Worte: Wir ſind errettet! thaten ei-
nerlei Wirkung; Schmerz, W.. und Stilling fielen dem
guten katholiſchen Geiſtlichen um den Hals, gerade als wenn
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1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/426>, abgerufen am 25.11.2024.
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