das große Unglück, daß er bei Verheerung dieser Stadt, durch die Franzosen, seine in der Asche liegende Wohnung mit seinem Weibe und vielen Kindern mit dem Rücken ansehen mußte. Er zog also nach Frankfurt am Main, wo er abermal Syn- dikus, vieler Reichsstädte Rath, und ein großer ansehnlicher Mann wurde. Unter seinen vielen Söhnen war einer ebenfalls ein geschickter Rechtsgelehrter, welcher in Marburg eine zeit- lang eine Regierungs-Assessorstelle bekleidete, und nachher den Ruf als Kanzleidirektor zu Usingen annahm.
Ein Sohn von diesem, Namens Johann Wilhelm, war der Vater unsrer Selma; erstlich bediente er eine Kammeraths- stelle zu W...., und wurde hernach als Kammerdirektor ins Fürstenthum Nothingen in Ober-Schwaben berufen. Er war ein Mann von durchdringendem Verstand, feurigen Ent- schlüssen, rascher Ausführung und unbestechlicher Redlichkeit, und da er beständig am Hofe lebte, so war er auch zugleich ein sehr feiner Weltmann, und sein Haus war ein Lieblings- aufenthalt der edelsten und besten Menschen. Seine Gattin war ebenfalls edel, gutherzig, und von sehr feinen Sitten.
Diese Eheleute hatten fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töch- ter, welche auch noch Alle leben; alle Fünfe bedürfen meines Lobes nicht, sie sind vortreffliche Menschen. Die älteste Toch- ter hat einen Rath und Amtmann im Fürstenthum U..., der älteste Sohn ist Consulent in S..., der zweite Sohn Kam- merrath zu Nothingen, die zweite Tochter hat einen braven Prediger in Franken, und das jüngste Kind ist Selma.
Der Kammer-Direktor von St. Florintin hatte sein ehr- liches Auskommen, aber er war zu redlich, um Schätze zu sam- meln; als er daher im Jahr 1776 plötzlich starb, so fand seine Wittwe wenigen Vorrath, sie empfing zwar einen Gna- dengehalt, womit sie auskommen konnte, und alle ihre Kinder waren versorgt, nur Selma noch nicht: für diese fanden sich auch zwar allerhand Anschläge, allein sie war erst im sechzehn- ten Jahre, und über das gefielen ihr alle diese Versorgungsmit- tel nicht.
Nun hatten sie ehemals eine sehr reiche weitläufige Anver- wandtin gehabt, welche in ihrem 50sten Jahre einen jungen
das große Ungluͤck, daß er bei Verheerung dieſer Stadt, durch die Franzoſen, ſeine in der Aſche liegende Wohnung mit ſeinem Weibe und vielen Kindern mit dem Ruͤcken anſehen mußte. Er zog alſo nach Frankfurt am Main, wo er abermal Syn- dikus, vieler Reichsſtaͤdte Rath, und ein großer anſehnlicher Mann wurde. Unter ſeinen vielen Soͤhnen war einer ebenfalls ein geſchickter Rechtsgelehrter, welcher in Marburg eine zeit- lang eine Regierungs-Aſſeſſorſtelle bekleidete, und nachher den Ruf als Kanzleidirektor zu Uſingen annahm.
Ein Sohn von dieſem, Namens Johann Wilhelm, war der Vater unſrer Selma; erſtlich bediente er eine Kammeraths- ſtelle zu W...., und wurde hernach als Kammerdirektor ins Fuͤrſtenthum Nothingen in Ober-Schwaben berufen. Er war ein Mann von durchdringendem Verſtand, feurigen Ent- ſchluͤſſen, raſcher Ausfuͤhrung und unbeſtechlicher Redlichkeit, und da er beſtaͤndig am Hofe lebte, ſo war er auch zugleich ein ſehr feiner Weltmann, und ſein Haus war ein Lieblings- aufenthalt der edelſten und beſten Menſchen. Seine Gattin war ebenfalls edel, gutherzig, und von ſehr feinen Sitten.
Dieſe Eheleute hatten fuͤnf Kinder, zwei Soͤhne und drei Toͤch- ter, welche auch noch Alle leben; alle Fuͤnfe beduͤrfen meines Lobes nicht, ſie ſind vortreffliche Menſchen. Die aͤlteſte Toch- ter hat einen Rath und Amtmann im Fuͤrſtenthum U…, der aͤlteſte Sohn iſt Conſulent in S…, der zweite Sohn Kam- merrath zu Nothingen, die zweite Tochter hat einen braven Prediger in Franken, und das juͤngſte Kind iſt Selma.
Der Kammer-Direktor von St. Florintin hatte ſein ehr- liches Auskommen, aber er war zu redlich, um Schaͤtze zu ſam- meln; als er daher im Jahr 1776 ploͤtzlich ſtarb, ſo fand ſeine Wittwe wenigen Vorrath, ſie empfing zwar einen Gna- dengehalt, womit ſie auskommen konnte, und alle ihre Kinder waren verſorgt, nur Selma noch nicht: fuͤr dieſe fanden ſich auch zwar allerhand Anſchlaͤge, allein ſie war erſt im ſechzehn- ten Jahre, und uͤber das gefielen ihr alle dieſe Verſorgungsmit- tel nicht.
Nun hatten ſie ehemals eine ſehr reiche weitlaͤufige Anver- wandtin gehabt, welche in ihrem 50ſten Jahre einen jungen
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das große Ungluͤck, daß er bei Verheerung dieſer Stadt, durch
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zog alſo nach Frankfurt am Main, wo er abermal Syn-
dikus, vieler Reichsſtaͤdte Rath, und ein großer anſehnlicher
Mann wurde. Unter ſeinen vielen Soͤhnen war einer ebenfalls
ein geſchickter Rechtsgelehrter, welcher in Marburg eine zeit-
lang eine Regierungs-Aſſeſſorſtelle bekleidete, und nachher den
Ruf als Kanzleidirektor zu Uſingen annahm.
Ein Sohn von dieſem, Namens Johann Wilhelm, war
der Vater unſrer Selma; erſtlich bediente er eine Kammeraths-
ſtelle zu W...., und wurde hernach als Kammerdirektor ins
Fuͤrſtenthum Nothingen in Ober-Schwaben berufen. Er
war ein Mann von durchdringendem Verſtand, feurigen Ent-
ſchluͤſſen, raſcher Ausfuͤhrung und unbeſtechlicher Redlichkeit,
und da er beſtaͤndig am Hofe lebte, ſo war er auch zugleich
ein ſehr feiner Weltmann, und ſein Haus war ein Lieblings-
aufenthalt der edelſten und beſten Menſchen. Seine Gattin war
ebenfalls edel, gutherzig, und von ſehr feinen Sitten.
Dieſe Eheleute hatten fuͤnf Kinder, zwei Soͤhne und drei Toͤch-
ter, welche auch noch Alle leben; alle Fuͤnfe beduͤrfen meines
Lobes nicht, ſie ſind vortreffliche Menſchen. Die aͤlteſte Toch-
ter hat einen Rath und Amtmann im Fuͤrſtenthum U…, der
aͤlteſte Sohn iſt Conſulent in S…, der zweite Sohn Kam-
merrath zu Nothingen, die zweite Tochter hat einen braven
Prediger in Franken, und das juͤngſte Kind iſt Selma.
Der Kammer-Direktor von St. Florintin hatte ſein ehr-
liches Auskommen, aber er war zu redlich, um Schaͤtze zu ſam-
meln; als er daher im Jahr 1776 ploͤtzlich ſtarb, ſo fand
ſeine Wittwe wenigen Vorrath, ſie empfing zwar einen Gna-
dengehalt, womit ſie auskommen konnte, und alle ihre Kinder
waren verſorgt, nur Selma noch nicht: fuͤr dieſe fanden ſich
auch zwar allerhand Anſchlaͤge, allein ſie war erſt im ſechzehn-
ten Jahre, und uͤber das gefielen ihr alle dieſe Verſorgungsmit-
tel nicht.
Nun hatten ſie ehemals eine ſehr reiche weitlaͤufige Anver-
wandtin gehabt, welche in ihrem 50ſten Jahre einen jungen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/416>, abgerufen am 22.11.2024.
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