hung jeden Schritt, und besonders die Wahl einer Person zur Heirath, nach den Regeln der gesunden Vernunft und der Schicklichkeit zu prüfen, und wenn dieß gehörig geschehen sey, den Segen von Gott zu erwarten. Das war aber ehe- mals Alles vernachlässigt worden: Christine war ein un- schuldiges, unerfahrenes Mädchen, sie liebte Stillingen ins- geheim, hing dieser Liebe nach, betete zu Gott um Erfüllung ihrer Wünsche, und so mischte sich Religion und Liebe in ihre hysterischen Zufälle. Das Alles kannten weder ihre El- tern noch Stilling, sie sahen das für göttliche Eingebun- gen und Wirkungen an, und folgten. Zu spät zeigte sich das Unschickliche und Unvorsichtige in den betrübten Folgen. Chri- stine hatte kein Vermögen, Stilling noch viel weniger; er mußte mit anderer Leute Geld studiren, konnte nachher nicht kaufmännisch haushalten, und also weder sich nähren, noch Schulden bezahlen; Christine hingegen, welche kauf- männisch erzogen war, erwartete von ihrem Mann das große Planmäßige der Wirthschaft, und hielt nur mit dem Haus, was sie in die Hand bekam; sie hätte also jeden Kaufmann glücklich gemacht, aber niemals einen Gelehrten.
Doch erkannte Stilling bei dem Allem sehr wohl, daß die schwere zehnjährige Führung, so wie die Schicksale seines ganzen Lebens, seinem Charakter und seiner ganzen Existenz unaussprechlich wohlthätig gewesen waren. Gott hatte seine eigene Unlauterkeit zur Seife gebraucht, um ihn mehr und mehr zu reinigen, auch seine theure verklärte Christine war auf der Feuerprobe bestanden, und auf eben diesem Weg vol- lendet worden. Stilling brach also in lauten Dank aus gegen Gott, daß er Alles so wohl gemacht habe.
Diese Entdeckung schrieb er nun auch an Herrn Frieden- berg, allein dieser nahm das übel, er glaubte noch immer, die Sache sey von Gott gewesen, nur er sey an allem Schuld, und er müsse sich bessern. Leser! ich bitte inständig, gegen diesen auch nunmehro verklärten edlen Mann keine Bitterkeit zu fassen; er war redlich und fromm, dafür wurde er von allen Menschen erkannt, geliebt und geehrt; allein wie leicht kann der Rechtschaffenste irren -- und welcher Heilige im
hung jeden Schritt, und beſonders die Wahl einer Perſon zur Heirath, nach den Regeln der geſunden Vernunft und der Schicklichkeit zu pruͤfen, und wenn dieß gehoͤrig geſchehen ſey, den Segen von Gott zu erwarten. Das war aber ehe- mals Alles vernachlaͤſſigt worden: Chriſtine war ein un- ſchuldiges, unerfahrenes Maͤdchen, ſie liebte Stillingen ins- geheim, hing dieſer Liebe nach, betete zu Gott um Erfuͤllung ihrer Wuͤnſche, und ſo miſchte ſich Religion und Liebe in ihre hyſteriſchen Zufaͤlle. Das Alles kannten weder ihre El- tern noch Stilling, ſie ſahen das fuͤr goͤttliche Eingebun- gen und Wirkungen an, und folgten. Zu ſpaͤt zeigte ſich das Unſchickliche und Unvorſichtige in den betruͤbten Folgen. Chri- ſtine hatte kein Vermoͤgen, Stilling noch viel weniger; er mußte mit anderer Leute Geld ſtudiren, konnte nachher nicht kaufmaͤnniſch haushalten, und alſo weder ſich naͤhren, noch Schulden bezahlen; Chriſtine hingegen, welche kauf- maͤnniſch erzogen war, erwartete von ihrem Mann das große Planmaͤßige der Wirthſchaft, und hielt nur mit dem Haus, was ſie in die Hand bekam; ſie haͤtte alſo jeden Kaufmann gluͤcklich gemacht, aber niemals einen Gelehrten.
Doch erkannte Stilling bei dem Allem ſehr wohl, daß die ſchwere zehnjaͤhrige Fuͤhrung, ſo wie die Schickſale ſeines ganzen Lebens, ſeinem Charakter und ſeiner ganzen Exiſtenz unausſprechlich wohlthaͤtig geweſen waren. Gott hatte ſeine eigene Unlauterkeit zur Seife gebraucht, um ihn mehr und mehr zu reinigen, auch ſeine theure verklaͤrte Chriſtine war auf der Feuerprobe beſtanden, und auf eben dieſem Weg vol- lendet worden. Stilling brach alſo in lauten Dank aus gegen Gott, daß er Alles ſo wohl gemacht habe.
Dieſe Entdeckung ſchrieb er nun auch an Herrn Frieden- berg, allein dieſer nahm das uͤbel, er glaubte noch immer, die Sache ſey von Gott geweſen, nur er ſey an allem Schuld, und er muͤſſe ſich beſſern. Leſer! ich bitte inſtaͤndig, gegen dieſen auch nunmehro verklaͤrten edlen Mann keine Bitterkeit zu faſſen; er war redlich und fromm, dafuͤr wurde er von allen Menſchen erkannt, geliebt und geehrt; allein wie leicht kann der Rechtſchaffenſte irren — und welcher Heilige im
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zur Heirath, nach den Regeln der geſunden Vernunft und
der Schicklichkeit zu pruͤfen, und wenn dieß gehoͤrig geſchehen
ſey, den Segen von Gott zu erwarten. Das war aber ehe-
mals Alles vernachlaͤſſigt worden: Chriſtine war ein un-
ſchuldiges, unerfahrenes Maͤdchen, ſie liebte Stillingen ins-
geheim, hing dieſer Liebe nach, betete zu Gott um Erfuͤllung
ihrer Wuͤnſche, und ſo miſchte ſich Religion und Liebe in
ihre hyſteriſchen Zufaͤlle. Das Alles kannten weder ihre El-
tern noch Stilling, ſie ſahen das fuͤr goͤttliche Eingebun-
gen und Wirkungen an, und folgten. Zu ſpaͤt zeigte ſich das
Unſchickliche und Unvorſichtige in den betruͤbten Folgen. Chri-
ſtine hatte kein Vermoͤgen, Stilling noch viel weniger;
er mußte mit anderer Leute Geld ſtudiren, konnte nachher
nicht kaufmaͤnniſch haushalten, und alſo weder ſich naͤhren,
noch Schulden bezahlen; Chriſtine hingegen, welche kauf-
maͤnniſch erzogen war, erwartete von ihrem Mann das große
Planmaͤßige der Wirthſchaft, und hielt nur mit dem Haus,
was ſie in die Hand bekam; ſie haͤtte alſo jeden Kaufmann
gluͤcklich gemacht, aber niemals einen Gelehrten.
Doch erkannte Stilling bei dem Allem ſehr wohl, daß
die ſchwere zehnjaͤhrige Fuͤhrung, ſo wie die Schickſale ſeines
ganzen Lebens, ſeinem Charakter und ſeiner ganzen Exiſtenz
unausſprechlich wohlthaͤtig geweſen waren. Gott hatte ſeine
eigene Unlauterkeit zur Seife gebraucht, um ihn mehr und
mehr zu reinigen, auch ſeine theure verklaͤrte Chriſtine war
auf der Feuerprobe beſtanden, und auf eben dieſem Weg vol-
lendet worden. Stilling brach alſo in lauten Dank aus
gegen Gott, daß er Alles ſo wohl gemacht habe.
Dieſe Entdeckung ſchrieb er nun auch an Herrn Frieden-
berg, allein dieſer nahm das uͤbel, er glaubte noch immer,
die Sache ſey von Gott geweſen, nur er ſey an allem Schuld,
und er muͤſſe ſich beſſern. Leſer! ich bitte inſtaͤndig, gegen
dieſen auch nunmehro verklaͤrten edlen Mann keine Bitterkeit
zu faſſen; er war redlich und fromm, dafuͤr wurde er von
allen Menſchen erkannt, geliebt und geehrt; allein wie leicht
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/402>, abgerufen am 25.11.2024.
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