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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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tes Kollegium gelesen hatte, und nun eben in seine Stube
getreten war, kam die Hausmagd und sagte ihm, es sey so
eben ein junger Mann da gewesen, der nach ihm gefragt habe.
Gleich darauf trat dieser herein; mit einer freundlichen, einneh-
menden Miene sagte er: "Herr Professor, ich bin von R...
und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der
Churfürstlichen Verordnung zufolge, muß ich also wenigstens
ein halb Jahr hier studiren, so schwer mir das auch fällt, denn
ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, so freue ich
mich doch, mit Stilling in Bekanntschaft zu kommen. Nun
habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehört, daß
Ihre Frau Gemahlin gestorben ist, und daß Sie nun so ein-
sam und traurig sind, wie wärs, wenn Sie mir und meiner
Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen
Tisch zu gehen? Wir hätten dann den Vortheil Ihres Umgangs,
und Sie hätten Gesellschaft und Unterhaltung. Ich darf mir
schmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn
sie ist edel und gutherzig."

Bei diesen Worten thaute Stillings Seele auf, und es
war ihm, als wenn ihm Jemand die Last seines Kummers auf
Einmal von den Schultern gehoben hätte, er konnte kaum seine
hohe Freude verbergen. Er ging also mit Herrn Kühlenbach
ins Wirthshans, um seiner Gattin aufzuwarten, die nun mit
Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog
dieses edle brave Paar in Stillings Wohnung ein.

Nun ging Alles wieder seinen ungehinderten muntern Gang
fort; Stilling war zwar noch immer wehmüthig, allein es
war Wonne-Wehmuth, in welcher er sich wohl befand. Jetzt
kam er nun auch so weit, daß er im Stande war, seine Lehr-
bücher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche
er dafür empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung
seiner Schulden, denn er sahe ein unabsehbares Feld vor sich,
in welchem er lebenslang als Schriftsteller arbeiten, und also
jährlich sein Einkommen auf wenigstens 1500 Gulden bringen
konnte. Jetzt verauctionirte er auch seinen unnöthigen Hausrath,
und behielt nichts mehr, als was er selbst nöthig brauchte, und mit
dem daraus gelösten Gelde bezahlte er die dringendsten Schulden.


tes Kollegium geleſen hatte, und nun eben in ſeine Stube
getreten war, kam die Hausmagd und ſagte ihm, es ſey ſo
eben ein junger Mann da geweſen, der nach ihm gefragt habe.
Gleich darauf trat dieſer herein; mit einer freundlichen, einneh-
menden Miene ſagte er: „Herr Profeſſor, ich bin von R…
und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der
Churfuͤrſtlichen Verordnung zufolge, muß ich alſo wenigſtens
ein halb Jahr hier ſtudiren, ſo ſchwer mir das auch faͤllt, denn
ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, ſo freue ich
mich doch, mit Stilling in Bekanntſchaft zu kommen. Nun
habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehoͤrt, daß
Ihre Frau Gemahlin geſtorben iſt, und daß Sie nun ſo ein-
ſam und traurig ſind, wie waͤrs, wenn Sie mir und meiner
Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen
Tiſch zu gehen? Wir haͤtten dann den Vortheil Ihres Umgangs,
und Sie haͤtten Geſellſchaft und Unterhaltung. Ich darf mir
ſchmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn
ſie iſt edel und gutherzig.“

Bei dieſen Worten thaute Stillings Seele auf, und es
war ihm, als wenn ihm Jemand die Laſt ſeines Kummers auf
Einmal von den Schultern gehoben haͤtte, er konnte kaum ſeine
hohe Freude verbergen. Er ging alſo mit Herrn Kuͤhlenbach
ins Wirthshans, um ſeiner Gattin aufzuwarten, die nun mit
Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog
dieſes edle brave Paar in Stillings Wohnung ein.

Nun ging Alles wieder ſeinen ungehinderten muntern Gang
fort; Stilling war zwar noch immer wehmuͤthig, allein es
war Wonne-Wehmuth, in welcher er ſich wohl befand. Jetzt
kam er nun auch ſo weit, daß er im Stande war, ſeine Lehr-
buͤcher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche
er dafuͤr empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung
ſeiner Schulden, denn er ſahe ein unabſehbares Feld vor ſich,
in welchem er lebenslang als Schriftſteller arbeiten, und alſo
jaͤhrlich ſein Einkommen auf wenigſtens 1500 Gulden bringen
konnte. Jetzt verauctionirte er auch ſeinen unnoͤthigen Hausrath,
und behielt nichts mehr, als was er ſelbſt noͤthig brauchte, und mit
dem daraus geloͤsten Gelde bezahlte er die dringendſten Schulden.


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[392/0400] tes Kollegium geleſen hatte, und nun eben in ſeine Stube getreten war, kam die Hausmagd und ſagte ihm, es ſey ſo eben ein junger Mann da geweſen, der nach ihm gefragt habe. Gleich darauf trat dieſer herein; mit einer freundlichen, einneh- menden Miene ſagte er: „Herr Profeſſor, ich bin von R… und habe die Adjunktion auf eine Kameral-Bedienung; der Churfuͤrſtlichen Verordnung zufolge, muß ich alſo wenigſtens ein halb Jahr hier ſtudiren, ſo ſchwer mir das auch faͤllt, denn ich habe zwar keine Kinder, aber doch eine Frau, ſo freue ich mich doch, mit Stilling in Bekanntſchaft zu kommen. Nun habe ich eine Bitte an Sie: ich habe mit Bedauern gehoͤrt, daß Ihre Frau Gemahlin geſtorben iſt, und daß Sie nun ſo ein- ſam und traurig ſind, wie waͤrs, wenn Sie mir und meiner Frau erlaubten, bei Ihnen zu wohnen und mit Ihnen an einen Tiſch zu gehen? Wir haͤtten dann den Vortheil Ihres Umgangs, und Sie haͤtten Geſellſchaft und Unterhaltung. Ich darf mir ſchmeicheln, daß meine Frau Ihren Beifall haben wird, denn ſie iſt edel und gutherzig.“ Bei dieſen Worten thaute Stillings Seele auf, und es war ihm, als wenn ihm Jemand die Laſt ſeines Kummers auf Einmal von den Schultern gehoben haͤtte, er konnte kaum ſeine hohe Freude verbergen. Er ging alſo mit Herrn Kuͤhlenbach ins Wirthshans, um ſeiner Gattin aufzuwarten, die nun mit Freuden die willige Aufnahme erfuhr. Des andern Tages zog dieſes edle brave Paar in Stillings Wohnung ein. Nun ging Alles wieder ſeinen ungehinderten muntern Gang fort; Stilling war zwar noch immer wehmuͤthig, allein es war Wonne-Wehmuth, in welcher er ſich wohl befand. Jetzt kam er nun auch ſo weit, daß er im Stande war, ſeine Lehr- buͤcher der Reihe nach herauszugeben; die Honorarien, welche er dafuͤr empfangen hatte, machten ihm Muth zur Tilgung ſeiner Schulden, denn er ſahe ein unabſehbares Feld vor ſich, in welchem er lebenslang als Schriftſteller arbeiten, und alſo jaͤhrlich ſein Einkommen auf wenigſtens 1500 Gulden bringen konnte. Jetzt verauctionirte er auch ſeinen unnoͤthigen Hausrath, und behielt nichts mehr, als was er ſelbſt noͤthig brauchte, und mit dem daraus geloͤsten Gelde bezahlte er die dringendſten Schulden.

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/400>, abgerufen am 22.11.2024.