Dieser Spässel hatte von jeher gesucht, in die staatswirth- schaftliche Gesellschaft aufgenommen, sogar Professor der Vieh- arzneikunde zu werden; allein man fürchtete sich vor ihm, denn er war ein sehr gefährlicher Mann, der auch noch über- das den Anstand nicht hatte, welcher einem Lehrer so nöthig ist; folglich hatte man ihn mit aller Behutsamkeit entfernt ge- halten. Da nun Stilling das Fach der Vieharzneikunde zugleich mit bekam, so war er ihm im Wege. Dazu kam noch Etwas: die Gesellschaft hatte seine Büchersammlung, diese wurde wöchentlich Einmal des Abends von sechs bis acht Uhr geöffnet; Stilling übernahm diese Lesestunde frei- willig und umsonst zu halten, theils um sich Litterarkennt- niß zu erwerben, theils auch seinen Zuhörern dadurch noch mehr zu nützen; dann hatte auch die Gesellschaft allen Gelehr- ten des Orts erlaubt, in diesen Lesestunden ihre Bücher zu benutzen.
Spässel bediente sich dieser Wohlthat selten, doch fing er gegen das Frühjahr an, öfter zu kommen; nun machte aber Stillingen die Siegelbacher Gutsverwaltung eine Aenderung in der Sache, er mußte nun alle Montag dorthin reisen: und konnte also an diesem Tage wie gewöhnlich die Lesestunde nicht halten, daher verlegte er sie auf den Dienstag Abend. Dieß machte er allen Studirenden bekannt, und bat sie, es öffentlich zu sagen. Spässel kam indessen drei Montage nacheinander an die verschlossene Thür, den dritten setzte er sich hin, und schrieb folgendes Billet; ich rücke es gerade so ein, wie es war *):
es Wird wohl darauf Angelegt seyn, das mich der herr Bro- fessor Stilling for Einen Narren Halten Will -- dient aber drauf zur Nachricht, das das Spässels sach nit is -- !!! die geselschaft soll ire Leute auf ire Pflicht und schuldigkeit anweisen Spässel
Stilling schlug diesen Zettel in einen Brief an den Direk- tor, Herrn Rath Eisenhart ein, und berichtete ihm den
*)Spässel schrieb so nicht aus Mangel an Kenntniß, son- dern aus Originalität.
25 *
Dieſer Spaͤſſel hatte von jeher geſucht, in die ſtaatswirth- ſchaftliche Geſellſchaft aufgenommen, ſogar Profeſſor der Vieh- arzneikunde zu werden; allein man fuͤrchtete ſich vor ihm, denn er war ein ſehr gefaͤhrlicher Mann, der auch noch uͤber- das den Anſtand nicht hatte, welcher einem Lehrer ſo noͤthig iſt; folglich hatte man ihn mit aller Behutſamkeit entfernt ge- halten. Da nun Stilling das Fach der Vieharzneikunde zugleich mit bekam, ſo war er ihm im Wege. Dazu kam noch Etwas: die Geſellſchaft hatte ſeine Buͤcherſammlung, dieſe wurde woͤchentlich Einmal des Abends von ſechs bis acht Uhr geoͤffnet; Stilling uͤbernahm dieſe Leſeſtunde frei- willig und umſonſt zu halten, theils um ſich Litterarkennt- niß zu erwerben, theils auch ſeinen Zuhoͤrern dadurch noch mehr zu nuͤtzen; dann hatte auch die Geſellſchaft allen Gelehr- ten des Orts erlaubt, in dieſen Leſeſtunden ihre Buͤcher zu benutzen.
Spaͤſſel bediente ſich dieſer Wohlthat ſelten, doch fing er gegen das Fruͤhjahr an, oͤfter zu kommen; nun machte aber Stillingen die Siegelbacher Gutsverwaltung eine Aenderung in der Sache, er mußte nun alle Montag dorthin reiſen: und konnte alſo an dieſem Tage wie gewoͤhnlich die Leſeſtunde nicht halten, daher verlegte er ſie auf den Dienſtag Abend. Dieß machte er allen Studirenden bekannt, und bat ſie, es oͤffentlich zu ſagen. Spaͤſſel kam indeſſen drei Montage nacheinander an die verſchloſſene Thuͤr, den dritten ſetzte er ſich hin, und ſchrieb folgendes Billet; ich ruͤcke es gerade ſo ein, wie es war *):
eſ Wird wohl darauf Angelegt ſeyn, das mich der herr Bro- feſſor Stilling for Einen Narren Halten Will — dient aber drauf zur Nachricht, daſ daſ Spaͤſſels ſach nit is — !!! die geſelſchaft ſoll ire Leute auf ire Pflicht und ſchuldigkeit anweiſen Spaͤſſel
Stilling ſchlug dieſen Zettel in einen Brief an den Direk- tor, Herrn Rath Eiſenhart ein, und berichtete ihm den
*)Späſſel ſchrieb ſo nicht aus Mangel an Kenntniß, ſon- dern aus Originalität.
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Dieſer Spaͤſſel hatte von jeher geſucht, in die ſtaatswirth-
ſchaftliche Geſellſchaft aufgenommen, ſogar Profeſſor der Vieh-
arzneikunde zu werden; allein man fuͤrchtete ſich vor ihm,
denn er war ein ſehr gefaͤhrlicher Mann, der auch noch uͤber-
das den Anſtand nicht hatte, welcher einem Lehrer ſo noͤthig
iſt; folglich hatte man ihn mit aller Behutſamkeit entfernt ge-
halten. Da nun Stilling das Fach der Vieharzneikunde
zugleich mit bekam, ſo war er ihm im Wege. Dazu kam
noch Etwas: die Geſellſchaft hatte ſeine Buͤcherſammlung,
dieſe wurde woͤchentlich Einmal des Abends von ſechs bis
acht Uhr geoͤffnet; Stilling uͤbernahm dieſe Leſeſtunde frei-
willig und umſonſt zu halten, theils um ſich Litterarkennt-
niß zu erwerben, theils auch ſeinen Zuhoͤrern dadurch noch
mehr zu nuͤtzen; dann hatte auch die Geſellſchaft allen Gelehr-
ten des Orts erlaubt, in dieſen Leſeſtunden ihre Buͤcher zu
benutzen.
Spaͤſſel bediente ſich dieſer Wohlthat ſelten, doch fing er
gegen das Fruͤhjahr an, oͤfter zu kommen; nun machte aber
Stillingen die Siegelbacher Gutsverwaltung eine Aenderung
in der Sache, er mußte nun alle Montag dorthin reiſen: und
konnte alſo an dieſem Tage wie gewoͤhnlich die Leſeſtunde nicht
halten, daher verlegte er ſie auf den Dienſtag Abend. Dieß
machte er allen Studirenden bekannt, und bat ſie, es oͤffentlich
zu ſagen. Spaͤſſel kam indeſſen drei Montage nacheinander
an die verſchloſſene Thuͤr, den dritten ſetzte er ſich hin, und
ſchrieb folgendes Billet; ich ruͤcke es gerade ſo ein, wie es
war *):
eſ Wird wohl darauf Angelegt ſeyn, das mich der herr Bro-
feſſor Stilling for Einen Narren Halten Will — dient
aber drauf zur Nachricht, daſ daſ Spaͤſſels ſach nit
is — !!! die geſelſchaft ſoll ire Leute auf ire Pflicht und
ſchuldigkeit anweiſen Spaͤſſel
Stilling ſchlug dieſen Zettel in einen Brief an den Direk-
tor, Herrn Rath Eiſenhart ein, und berichtete ihm den
*) Späſſel ſchrieb ſo nicht aus Mangel an Kenntniß, ſon-
dern aus Originalität.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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