lich war der Oberbeamte ihr treuer Anhänger. Nun hatte sich aber die Kameralschule daselbst eingenistet, deren Lehrer alle Protestanten waren, diese übten sogar noch Jurisdiction aus, das alles war ihnen daher natürlicher Weise ein Dorn in den Augen. Nun befand sich allda ein gewisser Gelehrter, Namens Spässel, ein sonderbarer Heiliger, so wie es we- nige gibt; sein Anzug war sehr nachläßig, mitunter auch un- sauber, sein Gang und Wandel schlutterlich, alle seine Reden niedrig-komisch, so daß er in allen Gesellschaften den Hans- wurst vorstellte. In Geheim war er der Spion eines vorneh- men Geistlichen, der bei dem Churfürsten viel galt, und eben so auch der Zeitungs- und Mährchenträger des Oberbeamten; öffentlich war er ein spöttelnder Witzling über gewisse Ge- bräuche seiner eigenen Religion; der aber war unglücklich, der ihm alsdann half, denn er hatte sich heimlich in die Fran- ziskanerbrüderschaft begeben, der er treulich anhing.
Schwer fällt es mir, diesen Mann hier öffentlich zur Schau zu stellen, allein er war Werkzeug in der Hand der Vorsehung, ich kann ihn nicht weglassen: lebt er noch, wird er erkannt, und ist er noch, was er war, so geschieht ihm Recht, und es ist Pflicht, jeden Rechtschaffenen vor ihm zu warnen; ist er aber todt, oder wird er nicht erkannt, so scha- det ihm meine Schilderung nicht. So lang ein Mensch in diesem Lande der Erziehung und Vervollkommnung waltet, so lang ist er der Besserung und Rückkehr fähig; wird also Späs- sel auch nach den Grundsätzen seiner Kirche ein edler, recht- schaffener, wohlthätiger Mann, so wird das ganze Publikum, das ihn sonst gerade so kannte, wie ich ihn hier schildere, seine Gesinnung ändern, ihn lieben, und es wird in Rittersburg eben sowohl, als im Himmel, mehr Freude über seine Rück- kehr zur Tugend seyn, als über neun und neunzig edle Men- schen, die einen so schweren Kampf gegen Temperament und Charakter nicht gekämpft haben, als er. Dann aber werde auch ich auftreten und vor aller Welt sagen: Komm, Bru- der! vergib, wie ich dir vergeben habe, du bist besser als ich, denn du hast mehrere Feinde über- wunden!
lich war der Oberbeamte ihr treuer Anhaͤnger. Nun hatte ſich aber die Kameralſchule daſelbſt eingeniſtet, deren Lehrer alle Proteſtanten waren, dieſe uͤbten ſogar noch Jurisdiction aus, das alles war ihnen daher natuͤrlicher Weiſe ein Dorn in den Augen. Nun befand ſich allda ein gewiſſer Gelehrter, Namens Spaͤſſel, ein ſonderbarer Heiliger, ſo wie es we- nige gibt; ſein Anzug war ſehr nachlaͤßig, mitunter auch un- ſauber, ſein Gang und Wandel ſchlutterlich, alle ſeine Reden niedrig-komiſch, ſo daß er in allen Geſellſchaften den Hans- wurſt vorſtellte. In Geheim war er der Spion eines vorneh- men Geiſtlichen, der bei dem Churfuͤrſten viel galt, und eben ſo auch der Zeitungs- und Maͤhrchentraͤger des Oberbeamten; oͤffentlich war er ein ſpoͤttelnder Witzling uͤber gewiſſe Ge- braͤuche ſeiner eigenen Religion; der aber war ungluͤcklich, der ihm alsdann half, denn er hatte ſich heimlich in die Fran- ziskanerbruͤderſchaft begeben, der er treulich anhing.
Schwer faͤllt es mir, dieſen Mann hier oͤffentlich zur Schau zu ſtellen, allein er war Werkzeug in der Hand der Vorſehung, ich kann ihn nicht weglaſſen: lebt er noch, wird er erkannt, und iſt er noch, was er war, ſo geſchieht ihm Recht, und es iſt Pflicht, jeden Rechtſchaffenen vor ihm zu warnen; iſt er aber todt, oder wird er nicht erkannt, ſo ſcha- det ihm meine Schilderung nicht. So lang ein Menſch in dieſem Lande der Erziehung und Vervollkommnung waltet, ſo lang iſt er der Beſſerung und Ruͤckkehr faͤhig; wird alſo Spaͤſ- ſel auch nach den Grundſaͤtzen ſeiner Kirche ein edler, recht- ſchaffener, wohlthaͤtiger Mann, ſo wird das ganze Publikum, das ihn ſonſt gerade ſo kannte, wie ich ihn hier ſchildere, ſeine Geſinnung aͤndern, ihn lieben, und es wird in Rittersburg eben ſowohl, als im Himmel, mehr Freude uͤber ſeine Ruͤck- kehr zur Tugend ſeyn, als uͤber neun und neunzig edle Men- ſchen, die einen ſo ſchweren Kampf gegen Temperament und Charakter nicht gekaͤmpft haben, als er. Dann aber werde auch ich auftreten und vor aller Welt ſagen: Komm, Bru- der! vergib, wie ich dir vergeben habe, du biſt beſſer als ich, denn du haſt mehrere Feinde uͤber- wunden!
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lich war der Oberbeamte ihr treuer Anhaͤnger. Nun hatte
ſich aber die Kameralſchule daſelbſt eingeniſtet, deren Lehrer
alle Proteſtanten waren, dieſe uͤbten ſogar noch Jurisdiction
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in den Augen. Nun befand ſich allda ein gewiſſer Gelehrter,
Namens Spaͤſſel, ein ſonderbarer Heiliger, ſo wie es we-
nige gibt; ſein Anzug war ſehr nachlaͤßig, mitunter auch un-
ſauber, ſein Gang und Wandel ſchlutterlich, alle ſeine Reden
niedrig-komiſch, ſo daß er in allen Geſellſchaften den Hans-
wurſt vorſtellte. In Geheim war er der Spion eines vorneh-
men Geiſtlichen, der bei dem Churfuͤrſten viel galt, und eben
ſo auch der Zeitungs- und Maͤhrchentraͤger des Oberbeamten;
oͤffentlich war er ein ſpoͤttelnder Witzling uͤber gewiſſe Ge-
braͤuche ſeiner eigenen Religion; der aber war ungluͤcklich,
der ihm alsdann half, denn er hatte ſich heimlich in die Fran-
ziskanerbruͤderſchaft begeben, der er treulich anhing.
Schwer faͤllt es mir, dieſen Mann hier oͤffentlich zur
Schau zu ſtellen, allein er war Werkzeug in der Hand der
Vorſehung, ich kann ihn nicht weglaſſen: lebt er noch, wird
er erkannt, und iſt er noch, was er war, ſo geſchieht ihm
Recht, und es iſt Pflicht, jeden Rechtſchaffenen vor ihm zu
warnen; iſt er aber todt, oder wird er nicht erkannt, ſo ſcha-
det ihm meine Schilderung nicht. So lang ein Menſch in
dieſem Lande der Erziehung und Vervollkommnung waltet, ſo
lang iſt er der Beſſerung und Ruͤckkehr faͤhig; wird alſo Spaͤſ-
ſel auch nach den Grundſaͤtzen ſeiner Kirche ein edler, recht-
ſchaffener, wohlthaͤtiger Mann, ſo wird das ganze Publikum,
das ihn ſonſt gerade ſo kannte, wie ich ihn hier ſchildere, ſeine
Geſinnung aͤndern, ihn lieben, und es wird in Rittersburg
eben ſowohl, als im Himmel, mehr Freude uͤber ſeine Ruͤck-
kehr zur Tugend ſeyn, als uͤber neun und neunzig edle Men-
ſchen, die einen ſo ſchweren Kampf gegen Temperament und
Charakter nicht gekaͤmpft haben, als er. Dann aber werde
auch ich auftreten und vor aller Welt ſagen: Komm, Bru-
der! vergib, wie ich dir vergeben habe, du biſt
beſſer als ich, denn du haſt mehrere Feinde uͤber-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/382>, abgerufen am 28.11.2024.
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