pfing er sie -- doch war ihm innig wohl, er und seine Gat- tin lobten Gott, und sie fingen an sich zum Abzug und zur weitern Reise zu rüsten. Die Kameralakademie blieb nun zu Rittersburg, weil sich bei ihrer Versetzung zu viele Schwierig- keiten gefunden hatten.
Ich habe Stillings erste Kur beschrieben; ich will auch seine letzte schildern, denn sie ist nicht weniger merkwürdig.
Eine gute Stunde oberhalb Schönenthal wohnte ein sehr rechtschaffener, gottesfürchtiger und reicher Kaufmann, Namens Kreds, seine Gattin gehörte, in Ansehung ihres Kopfes und Herzens, unter die Edelsten ihres Geschlechts, und sie hatten Beide Stillingen oft gebraucht, denn sie kannten und lieb- ten ihn. Nun hatten sie einen Hauslehrer bei ihren Kindern, einen alten siebenzigjährigen Mann, der ein Sachse von Ge- burt war und Stoi hieß. Dieser Mann war einer von den sonderbarsten Menschen: lang, hager und sehr ehrwürdig von Ansehen; voller Kenntnisse und mit der erhabensten Tugend ausgerüstet, besaß er eine aus Religionsgründen entstandene Kaltblütigkeit, Gelassenheit und Ergebenheit in Gottes Willen, die fast ohne Beispiel ist; alle Bewegungen und Stellungen seines Körpers waren anständig, sein ganzes Daseyn natür- lich feierlich, und alles, was er sprach, war abgewogen, jedes Wort war ein goldener Apfel in einer silbernen Schale; und was so sehr vorzüglich an diesem vortrefflichen Mann war, das war seine Bescheidenheit und Behutsamkeit im Ur- theil: er sprach nie von anderer Menschen Fehler, sondern er bedeckte sie, wo er konnte, und sah blos auf sich. Stoi war ein Muster des Menschen und des Christen.
Dieser merkwürdige Mann bekam das Scharlachfriesel. Der Gang der Krankheit war natürlich, und wie gewöhnlich nicht gefährlich; endlich zog sich die ganze Materie in den rechten Arm, welcher über und über scharlachroth wurde, und den Patienten so brannte und juckte, daß er's nicht länger auszu- halten vermochte. Stoi hatte sich in seinem Leben um nichts weniger bekümmert, als um seinen Körper, er betrachtete ihn als ein gelehntes Haus, immer war er mäßig und nie krank gewesen, folglich wußte er auch von keiner Behutsamkeit und
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pfing er ſie — doch war ihm innig wohl, er und ſeine Gat- tin lobten Gott, und ſie fingen an ſich zum Abzug und zur weitern Reiſe zu ruͤſten. Die Kameralakademie blieb nun zu Rittersburg, weil ſich bei ihrer Verſetzung zu viele Schwierig- keiten gefunden hatten.
Ich habe Stillings erſte Kur beſchrieben; ich will auch ſeine letzte ſchildern, denn ſie iſt nicht weniger merkwuͤrdig.
Eine gute Stunde oberhalb Schoͤnenthal wohnte ein ſehr rechtſchaffener, gottesfuͤrchtiger und reicher Kaufmann, Namens Kreds, ſeine Gattin gehoͤrte, in Anſehung ihres Kopfes und Herzens, unter die Edelſten ihres Geſchlechts, und ſie hatten Beide Stillingen oft gebraucht, denn ſie kannten und lieb- ten ihn. Nun hatten ſie einen Hauslehrer bei ihren Kindern, einen alten ſiebenzigjaͤhrigen Mann, der ein Sachſe von Ge- burt war und Stoi hieß. Dieſer Mann war einer von den ſonderbarſten Menſchen: lang, hager und ſehr ehrwuͤrdig von Anſehen; voller Kenntniſſe und mit der erhabenſten Tugend ausgeruͤſtet, beſaß er eine aus Religionsgruͤnden entſtandene Kaltbluͤtigkeit, Gelaſſenheit und Ergebenheit in Gottes Willen, die faſt ohne Beiſpiel iſt; alle Bewegungen und Stellungen ſeines Koͤrpers waren anſtaͤndig, ſein ganzes Daſeyn natuͤr- lich feierlich, und alles, was er ſprach, war abgewogen, jedes Wort war ein goldener Apfel in einer ſilbernen Schale; und was ſo ſehr vorzuͤglich an dieſem vortrefflichen Mann war, das war ſeine Beſcheidenheit und Behutſamkeit im Ur- theil: er ſprach nie von anderer Menſchen Fehler, ſondern er bedeckte ſie, wo er konnte, und ſah blos auf ſich. Stoi war ein Muſter des Menſchen und des Chriſten.
Dieſer merkwuͤrdige Mann bekam das Scharlachfrieſel. Der Gang der Krankheit war natuͤrlich, und wie gewoͤhnlich nicht gefaͤhrlich; endlich zog ſich die ganze Materie in den rechten Arm, welcher uͤber und uͤber ſcharlachroth wurde, und den Patienten ſo brannte und juckte, daß er’s nicht laͤnger auszu- halten vermochte. Stoi hatte ſich in ſeinem Leben um nichts weniger bekuͤmmert, als um ſeinen Koͤrper, er betrachtete ihn als ein gelehntes Haus, immer war er maͤßig und nie krank geweſen, folglich wußte er auch von keiner Behutſamkeit und
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pfing er ſie — doch war ihm innig wohl, er und ſeine Gat-
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weitern Reiſe zu ruͤſten. Die Kameralakademie blieb nun zu
Rittersburg, weil ſich bei ihrer Verſetzung zu viele Schwierig-
keiten gefunden hatten.
Ich habe Stillings erſte Kur beſchrieben; ich will auch
ſeine letzte ſchildern, denn ſie iſt nicht weniger merkwuͤrdig.
Eine gute Stunde oberhalb Schoͤnenthal wohnte ein ſehr
rechtſchaffener, gottesfuͤrchtiger und reicher Kaufmann, Namens
Kreds, ſeine Gattin gehoͤrte, in Anſehung ihres Kopfes und
Herzens, unter die Edelſten ihres Geſchlechts, und ſie hatten
Beide Stillingen oft gebraucht, denn ſie kannten und lieb-
ten ihn. Nun hatten ſie einen Hauslehrer bei ihren Kindern,
einen alten ſiebenzigjaͤhrigen Mann, der ein Sachſe von Ge-
burt war und Stoi hieß. Dieſer Mann war einer von den
ſonderbarſten Menſchen: lang, hager und ſehr ehrwuͤrdig von
Anſehen; voller Kenntniſſe und mit der erhabenſten Tugend
ausgeruͤſtet, beſaß er eine aus Religionsgruͤnden entſtandene
Kaltbluͤtigkeit, Gelaſſenheit und Ergebenheit in Gottes Willen,
die faſt ohne Beiſpiel iſt; alle Bewegungen und Stellungen
ſeines Koͤrpers waren anſtaͤndig, ſein ganzes Daſeyn natuͤr-
lich feierlich, und alles, was er ſprach, war abgewogen,
jedes Wort war ein goldener Apfel in einer ſilbernen Schale;
und was ſo ſehr vorzuͤglich an dieſem vortrefflichen Mann
war, das war ſeine Beſcheidenheit und Behutſamkeit im Ur-
theil: er ſprach nie von anderer Menſchen Fehler, ſondern er
bedeckte ſie, wo er konnte, und ſah blos auf ſich. Stoi war
ein Muſter des Menſchen und des Chriſten.
Dieſer merkwuͤrdige Mann bekam das Scharlachfrieſel. Der
Gang der Krankheit war natuͤrlich, und wie gewoͤhnlich nicht
gefaͤhrlich; endlich zog ſich die ganze Materie in den rechten
Arm, welcher uͤber und uͤber ſcharlachroth wurde, und den
Patienten ſo brannte und juckte, daß er’s nicht laͤnger auszu-
halten vermochte. Stoi hatte ſich in ſeinem Leben um nichts
weniger bekuͤmmert, als um ſeinen Koͤrper, er betrachtete ihn
als ein gelehntes Haus, immer war er maͤßig und nie krank
geweſen, folglich wußte er auch von keiner Behutſamkeit und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/367>, abgerufen am 24.11.2024.
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