nicht einmal in den Sinn, er schloß sich immer fester an die Mutter Vorsehung an, er glaubte, es sey ihr ein Leichtes, da einen Ausweg zu finden, wo alle menschliche Klugheit keinen entdecken kann, und ging also, in Dunkel und Dämmerung, Schritt für Schritt seinen schmalen Weg fort.
Im Anfang des 1778sten Jahres machte er abermal seine Rechnung, und fand zu seinem größten Entsetzen, daß er das verflossene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als vorhin; zudem fingen einige seiner Kreditoren an zu drohen, und es schien nun mit ihm aus zu seyn; dazu kam noch ein Umstand: er hatte die Subscription auf die Werke der staats- wirthschaftlichen Gesellschaft übernommen und Geld empfangen, er war also auch an Herrn Eisenhart acht und zwanzig Gulden schuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, auch da soll ich zu Schanden werden! sagte er zu sich selbst. -- In der größten Angst seines Herzens lief er auf seine Kam- mer, warf sich vor Gott hin, und betete lange mit einer In- brunst ohne Gleichen, dann stand er auf, setzte sich und schrieb einen Brief an Eisenharten, worin er ihm seine ganze Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: Eisenhart schrieb ihm, er möchte der acht und zwanzig Gulden nur mit keinem Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm wohl, und die medizinische Praxis sey seine Freude, da er aber nun das Gegentheil sähe, so schlüge er ihm vor, ob er nicht Lust habe, einen Lehrstuhl der Landwirthschaft, Techno- logie, Handlung und Vieharzeneikunde auf der neu gestifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei Lehrer seyen schon da, der eine lehre die Hülfswissenschaften, Mathematik, Naturgeschichte, Physik und Chemie, und der Andere: Polizei, Finanz- und Staatswirth- schaft; der Gehalt sey sechshundert Gulden, und die Colle- giengelder möchten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden betragen; zu Rittersburg sey es wohlfeil zu leben, und er ge- traue sich, den Churfürsten leicht dahin zu bewegen, daß er ihn beriefe, u. s. w.
Leser, stehe still und thue einen Blick in Stillings gan-
nicht einmal in den Sinn, er ſchloß ſich immer feſter an die Mutter Vorſehung an, er glaubte, es ſey ihr ein Leichtes, da einen Ausweg zu finden, wo alle menſchliche Klugheit keinen entdecken kann, und ging alſo, in Dunkel und Daͤmmerung, Schritt fuͤr Schritt ſeinen ſchmalen Weg fort.
Im Anfang des 1778ſten Jahres machte er abermal ſeine Rechnung, und fand zu ſeinem groͤßten Entſetzen, daß er das verfloſſene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als vorhin; zudem fingen einige ſeiner Kreditoren an zu drohen, und es ſchien nun mit ihm aus zu ſeyn; dazu kam noch ein Umſtand: er hatte die Subſcription auf die Werke der ſtaats- wirthſchaftlichen Geſellſchaft uͤbernommen und Geld empfangen, er war alſo auch an Herrn Eiſenhart acht und zwanzig Gulden ſchuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, auch da ſoll ich zu Schanden werden! ſagte er zu ſich ſelbſt. — In der groͤßten Angſt ſeines Herzens lief er auf ſeine Kam- mer, warf ſich vor Gott hin, und betete lange mit einer In- brunſt ohne Gleichen, dann ſtand er auf, ſetzte ſich und ſchrieb einen Brief an Eiſenharten, worin er ihm ſeine ganze Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: Eiſenhart ſchrieb ihm, er moͤchte der acht und zwanzig Gulden nur mit keinem Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm wohl, und die mediziniſche Praxis ſey ſeine Freude, da er aber nun das Gegentheil ſaͤhe, ſo ſchluͤge er ihm vor, ob er nicht Luſt habe, einen Lehrſtuhl der Landwirthſchaft, Techno- logie, Handlung und Vieharzeneikunde auf der neu geſtifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei Lehrer ſeyen ſchon da, der eine lehre die Huͤlfswiſſenſchaften, Mathematik, Naturgeſchichte, Phyſik und Chemie, und der Andere: Polizei, Finanz- und Staatswirth- ſchaft; der Gehalt ſey ſechshundert Gulden, und die Colle- giengelder moͤchten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden betragen; zu Rittersburg ſey es wohlfeil zu leben, und er ge- traue ſich, den Churfuͤrſten leicht dahin zu bewegen, daß er ihn beriefe, u. ſ. w.
Leſer, ſtehe ſtill und thue einen Blick in Stillings gan-
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nicht einmal in den Sinn, er ſchloß ſich immer feſter an die
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einen Ausweg zu finden, wo alle menſchliche Klugheit keinen
entdecken kann, und ging alſo, in Dunkel und Daͤmmerung,
Schritt fuͤr Schritt ſeinen ſchmalen Weg fort.
Im Anfang des 1778ſten Jahres machte er abermal ſeine
Rechnung, und fand zu ſeinem groͤßten Entſetzen, daß er das
verfloſſene Jahr noch tiefer in Schulden gerathen war, als
vorhin; zudem fingen einige ſeiner Kreditoren an zu drohen,
und es ſchien nun mit ihm aus zu ſeyn; dazu kam noch ein
Umſtand: er hatte die Subſcription auf die Werke der ſtaats-
wirthſchaftlichen Geſellſchaft uͤbernommen und Geld empfangen,
er war alſo auch an Herrn Eiſenhart acht und zwanzig
Gulden ſchuldig geworden, die er nicht bezahlen konnte, auch
da ſoll ich zu Schanden werden! ſagte er zu ſich ſelbſt.
— In der groͤßten Angſt ſeines Herzens lief er auf ſeine Kam-
mer, warf ſich vor Gott hin, und betete lange mit einer In-
brunſt ohne Gleichen, dann ſtand er auf, ſetzte ſich und ſchrieb
einen Brief an Eiſenharten, worin er ihm ſeine ganze
Lage entdeckte und ihn bat, noch eine kleine Weile Gedult mit
ihm zu haben. Bald darauf erhielt er Antwort: Eiſenhart
ſchrieb ihm, er moͤchte der acht und zwanzig Gulden nur mit
keinem Worte mehr gedenken, er habe geglaubt, es ging ihm
wohl, und die mediziniſche Praxis ſey ſeine Freude, da er aber
nun das Gegentheil ſaͤhe, ſo ſchluͤge er ihm vor, ob er nicht
Luſt habe, einen Lehrſtuhl der Landwirthſchaft, Techno-
logie, Handlung und Vieharzeneikunde auf der neu
geſtifteten Kameralakademie zu Rittersburg anzunehmen? Zwei
Lehrer ſeyen ſchon da, der eine lehre die Huͤlfswiſſenſchaften,
Mathematik, Naturgeſchichte, Phyſik und Chemie,
und der Andere: Polizei, Finanz- und Staatswirth-
ſchaft; der Gehalt ſey ſechshundert Gulden, und die Colle-
giengelder moͤchten auch leicht zwei bis drei hundert Gulden
betragen; zu Rittersburg ſey es wohlfeil zu leben, und er ge-
traue ſich, den Churfuͤrſten leicht dahin zu bewegen, daß er
ihn beriefe, u. ſ. w.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/361>, abgerufen am 24.11.2024.
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