bist du ein gesunder junger Mann; ich habe also die zwei Tage mit Gott und mit mir selbst um meine Auflösung ge- kämpft und ihn sehnlich gebeten, Er möchte mich doch zu sich nehmen, damit du wieder eine Frau heirathen könntest, die sich besser für dich schickt, wie ich." Dieser Auftritt ging ihm durch die Seele: Nein, liebes Weib! fing er an, indem er sie an sein klopfendes Herz drückte, darüber sollst du nicht kämpfen, vielweniger um deinen Tod beten, lebe und sey nur ganz getrost! -- von dieser Sache läßt sich kein Wort mehr sagen. Christine bekam von nun an keine Kinder mehr.
Den folgenden Sommer erhielt Stilling einen Brief von seinem Freunde, dem Herrn Doktor Hoffmann in Frank- furt, worin ihm im Vertrauen entdeckt wurde, daß der Herr von Leesner seine unheilbare Blindheit sehr hoch empfände und über seinen Augenarzt zuweilen Mißtrauen äußerte; da er nun so fürstlich bezahlt worden, so möchte er seinem guten Ruf noch dadurch die Krone aufsetzen, daß er auf seine eigene Kosten den Herrn von Leesner noch einmal besuchte, um noch alles Mögliche zu versuchen; indessen wollte er, Hoff- mann, diese Reise abermals in die Zeitung setzen lassen, vielleicht würde ihm der Aufwand reichlich vergolten. Stil- ling fühlte das Edle in diesem Plan ganz, wenn er ihn aus- führen würde, selbst Christine rieth ihm zu reisen, aber auch sonst Niemand, Jedermann war gegen dieses Unternehmen; allein jetzt folgte er blos seiner Empfindung des Rechts und der Billigkeit; er fand auch einen Freund, der ihm hundert Thaler zu der Reife vorstreckte; und so reiste er mit der Post abermal nach Frankfurt, wo er wieder bei Göthe einkehrte.
Der Herr von Leesner wurde durch diesen unvermutheten Besuch äußerst gerührt, und er that die erwünschte Wirkung, auch fanden sich wieder verschiedene Staarpatienten ein, die Stilling Alle operirte; Einige wurden sehend, Einige nicht, Keiner aber war im Stande, ihm seine Kosten zu vergüten, daher setzte ihn diese Reise um hundert Thaler tiefer in Schul- den; auch jetzt hielt er sich wieder acht traurige Wochen in Frankfurt auf.
Stillings sämmtl. Schriften. I. Band. 23
biſt du ein geſunder junger Mann; ich habe alſo die zwei Tage mit Gott und mit mir ſelbſt um meine Aufloͤſung ge- kaͤmpft und ihn ſehnlich gebeten, Er moͤchte mich doch zu ſich nehmen, damit du wieder eine Frau heirathen koͤnnteſt, die ſich beſſer fuͤr dich ſchickt, wie ich.“ Dieſer Auftritt ging ihm durch die Seele: Nein, liebes Weib! fing er an, indem er ſie an ſein klopfendes Herz druͤckte, daruͤber ſollſt du nicht kaͤmpfen, vielweniger um deinen Tod beten, lebe und ſey nur ganz getroſt! — von dieſer Sache laͤßt ſich kein Wort mehr ſagen. Chriſtine bekam von nun an keine Kinder mehr.
Den folgenden Sommer erhielt Stilling einen Brief von ſeinem Freunde, dem Herrn Doktor Hoffmann in Frank- furt, worin ihm im Vertrauen entdeckt wurde, daß der Herr von Leesner ſeine unheilbare Blindheit ſehr hoch empfaͤnde und uͤber ſeinen Augenarzt zuweilen Mißtrauen aͤußerte; da er nun ſo fuͤrſtlich bezahlt worden, ſo moͤchte er ſeinem guten Ruf noch dadurch die Krone aufſetzen, daß er auf ſeine eigene Koſten den Herrn von Leesner noch einmal beſuchte, um noch alles Moͤgliche zu verſuchen; indeſſen wollte er, Hoff- mann, dieſe Reiſe abermals in die Zeitung ſetzen laſſen, vielleicht wuͤrde ihm der Aufwand reichlich vergolten. Stil- ling fuͤhlte das Edle in dieſem Plan ganz, wenn er ihn aus- fuͤhren wuͤrde, ſelbſt Chriſtine rieth ihm zu reiſen, aber auch ſonſt Niemand, Jedermann war gegen dieſes Unternehmen; allein jetzt folgte er blos ſeiner Empfindung des Rechts und der Billigkeit; er fand auch einen Freund, der ihm hundert Thaler zu der Reife vorſtreckte; und ſo reiste er mit der Poſt abermal nach Frankfurt, wo er wieder bei Goͤthe einkehrte.
Der Herr von Leesner wurde durch dieſen unvermutheten Beſuch aͤußerſt geruͤhrt, und er that die erwuͤnſchte Wirkung, auch fanden ſich wieder verſchiedene Staarpatienten ein, die Stilling Alle operirte; Einige wurden ſehend, Einige nicht, Keiner aber war im Stande, ihm ſeine Koſten zu verguͤten, daher ſetzte ihn dieſe Reiſe um hundert Thaler tiefer in Schul- den; auch jetzt hielt er ſich wieder acht traurige Wochen in Frankfurt auf.
Stillings ſämmtl. Schriften. I. Band. 23
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biſt du ein geſunder junger Mann; ich habe alſo die zwei
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ſich nehmen, damit du wieder eine Frau heirathen koͤnnteſt, die
ſich beſſer fuͤr dich ſchickt, wie ich.“ Dieſer Auftritt ging
ihm durch die Seele: Nein, liebes Weib! fing er an, indem
er ſie an ſein klopfendes Herz druͤckte, daruͤber ſollſt du nicht
kaͤmpfen, vielweniger um deinen Tod beten, lebe und ſey nur
ganz getroſt! — von dieſer Sache laͤßt ſich kein Wort mehr
ſagen. Chriſtine bekam von nun an keine Kinder mehr.
Den folgenden Sommer erhielt Stilling einen Brief von
ſeinem Freunde, dem Herrn Doktor Hoffmann in Frank-
furt, worin ihm im Vertrauen entdeckt wurde, daß der Herr
von Leesner ſeine unheilbare Blindheit ſehr hoch empfaͤnde
und uͤber ſeinen Augenarzt zuweilen Mißtrauen aͤußerte; da
er nun ſo fuͤrſtlich bezahlt worden, ſo moͤchte er ſeinem guten
Ruf noch dadurch die Krone aufſetzen, daß er auf ſeine eigene
Koſten den Herrn von Leesner noch einmal beſuchte, um
noch alles Moͤgliche zu verſuchen; indeſſen wollte er, Hoff-
mann, dieſe Reiſe abermals in die Zeitung ſetzen laſſen,
vielleicht wuͤrde ihm der Aufwand reichlich vergolten. Stil-
ling fuͤhlte das Edle in dieſem Plan ganz, wenn er ihn aus-
fuͤhren wuͤrde, ſelbſt Chriſtine rieth ihm zu reiſen, aber auch
ſonſt Niemand, Jedermann war gegen dieſes Unternehmen;
allein jetzt folgte er blos ſeiner Empfindung des Rechts und
der Billigkeit; er fand auch einen Freund, der ihm hundert
Thaler zu der Reife vorſtreckte; und ſo reiste er mit der Poſt
abermal nach Frankfurt, wo er wieder bei Goͤthe einkehrte.
Der Herr von Leesner wurde durch dieſen unvermutheten
Beſuch aͤußerſt geruͤhrt, und er that die erwuͤnſchte Wirkung,
auch fanden ſich wieder verſchiedene Staarpatienten ein, die
Stilling Alle operirte; Einige wurden ſehend, Einige nicht,
Keiner aber war im Stande, ihm ſeine Koſten zu verguͤten,
daher ſetzte ihn dieſe Reiſe um hundert Thaler tiefer in Schul-
den; auch jetzt hielt er ſich wieder acht traurige Wochen in
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/349>, abgerufen am 25.11.2024.
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