gedrängt ineinander, Alle hatten Stilling als Knabe ge- kannt; so wie er hineintrat, waren alle Kappen und Hüte unter den Armen, und Alles war stille, und Jeder sahe ihn mit Ehrfurcht an. Stilling stand und schaute umher; mit Thränen in den Augen und mit gebrochener Stimme sagte er: "Willkommen, willkommen, Ihr lieben Männer und Freunde! Gott segne einen jeden unter Euch! -- bedeckt Alle Eure Häupter, oder ich gehe auf der Stelle wieder hinaus; was ich bin, ist Gottes Werk, Ihm allein die Ehre!" -- Nun entstand ein Freudegemurmel, Alle wunderten sich und segneten ihn. Die beiden Alten und der Doktor setzten sich un- ter die guten Leute, und alle Augen waren auf sein Betra- gen, und alle Ohren auf seine Worte gerichtet. Was Vater Stillings Söhne jetzt empfanden, ist unaussprechlich.
Wie kam's doch, daß aus dem Doktor Stilling so viel Werks gemacht wurde, und was war die Ursache, daß man über seine, in jedem Betracht noch mittelmäßige Erhöhung zum Doktor der Arzneikunde so sehr erstaunte? Es gab in seinem Vaterlande mehrere Bauernsöhne, die gelehrte und würdige Männer geworden waren, und doch krähete kein Hahn darnach? Wenn man die Sache in ihrer wahren Lage betrach- tet, so war sie ganz natürlich: Stilling war noch vor neun bis zehn Jahren Schulmeister unter ihnen gewesen; man hatte ihn allgemein für einen unglücklichen Menschen, und mitunter für einen hoffnungslosen armen Jüngling angesehen; dann war er als ein armer verlassener Handwerksbursche fort- gereist, seine Schicksale in der Fremde hatte er seinem Oheim und Vater geschrieben, das Gerücht hatte alles Natürliche bis zum Wunderbaren, und das Wunderbare bis zum Wun- derwerk erhöht, und daher kam's, daß man ihn als eine Sel- teuheit zu sehen suchte. Er selbst aber demüthigte sich innig vor Gott, er kannte seine Lage und Umstände besser, und be- dauerte, daß man so viel aus ihm machte; indessen thats ihm doch auch wohl, daß man ihn hier nicht verkannte, wie das in Schönenthal sein tägliches Schicksal war.
Des andern Morgens machte er sich mit seinem Vater nach Leindorf auf den Weg. Johann Stilling gab seinem
gedraͤngt ineinander, Alle hatten Stilling als Knabe ge- kannt; ſo wie er hineintrat, waren alle Kappen und Huͤte unter den Armen, und Alles war ſtille, und Jeder ſahe ihn mit Ehrfurcht an. Stilling ſtand und ſchaute umher; mit Thraͤnen in den Augen und mit gebrochener Stimme ſagte er: „Willkommen, willkommen, Ihr lieben Maͤnner und Freunde! Gott ſegne einen jeden unter Euch! — bedeckt Alle Eure Haͤupter, oder ich gehe auf der Stelle wieder hinaus; was ich bin, iſt Gottes Werk, Ihm allein die Ehre!“ — Nun entſtand ein Freudegemurmel, Alle wunderten ſich und ſegneten ihn. Die beiden Alten und der Doktor ſetzten ſich un- ter die guten Leute, und alle Augen waren auf ſein Betra- gen, und alle Ohren auf ſeine Worte gerichtet. Was Vater Stillings Soͤhne jetzt empfanden, iſt unausſprechlich.
Wie kam’s doch, daß aus dem Doktor Stilling ſo viel Werks gemacht wurde, und was war die Urſache, daß man uͤber ſeine, in jedem Betracht noch mittelmaͤßige Erhoͤhung zum Doktor der Arzneikunde ſo ſehr erſtaunte? Es gab in ſeinem Vaterlande mehrere Bauernſoͤhne, die gelehrte und wuͤrdige Maͤnner geworden waren, und doch kraͤhete kein Hahn darnach? Wenn man die Sache in ihrer wahren Lage betrach- tet, ſo war ſie ganz natuͤrlich: Stilling war noch vor neun bis zehn Jahren Schulmeiſter unter ihnen geweſen; man hatte ihn allgemein fuͤr einen ungluͤcklichen Menſchen, und mitunter fuͤr einen hoffnungsloſen armen Juͤngling angeſehen; dann war er als ein armer verlaſſener Handwerksburſche fort- gereist, ſeine Schickſale in der Fremde hatte er ſeinem Oheim und Vater geſchrieben, das Geruͤcht hatte alles Natuͤrliche bis zum Wunderbaren, und das Wunderbare bis zum Wun- derwerk erhoͤht, und daher kam’s, daß man ihn als eine Sel- teuheit zu ſehen ſuchte. Er ſelbſt aber demuͤthigte ſich innig vor Gott, er kannte ſeine Lage und Umſtaͤnde beſſer, und be- dauerte, daß man ſo viel aus ihm machte; indeſſen thats ihm doch auch wohl, daß man ihn hier nicht verkannte, wie das in Schoͤnenthal ſein taͤgliches Schickſal war.
Des andern Morgens machte er ſich mit ſeinem Vater nach Leindorf auf den Weg. Johann Stilling gab ſeinem
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gedraͤngt ineinander, Alle hatten Stilling als Knabe ge-
kannt; ſo wie er hineintrat, waren alle Kappen und Huͤte
unter den Armen, und Alles war ſtille, und Jeder ſahe ihn
mit Ehrfurcht an. Stilling ſtand und ſchaute umher; mit
Thraͤnen in den Augen und mit gebrochener Stimme ſagte
er: „Willkommen, willkommen, Ihr lieben Maͤnner und
Freunde! Gott ſegne einen jeden unter Euch! — bedeckt Alle
Eure Haͤupter, oder ich gehe auf der Stelle wieder hinaus;
was ich bin, iſt Gottes Werk, Ihm allein die Ehre!“ —
Nun entſtand ein Freudegemurmel, Alle wunderten ſich und
ſegneten ihn. Die beiden Alten und der Doktor ſetzten ſich un-
ter die guten Leute, und alle Augen waren auf ſein Betra-
gen, und alle Ohren auf ſeine Worte gerichtet. Was Vater
Stillings Soͤhne jetzt empfanden, iſt unausſprechlich.
Wie kam’s doch, daß aus dem Doktor Stilling ſo viel
Werks gemacht wurde, und was war die Urſache, daß man
uͤber ſeine, in jedem Betracht noch mittelmaͤßige Erhoͤhung
zum Doktor der Arzneikunde ſo ſehr erſtaunte? Es gab in
ſeinem Vaterlande mehrere Bauernſoͤhne, die gelehrte und
wuͤrdige Maͤnner geworden waren, und doch kraͤhete kein Hahn
darnach? Wenn man die Sache in ihrer wahren Lage betrach-
tet, ſo war ſie ganz natuͤrlich: Stilling war noch vor
neun bis zehn Jahren Schulmeiſter unter ihnen geweſen; man
hatte ihn allgemein fuͤr einen ungluͤcklichen Menſchen, und
mitunter fuͤr einen hoffnungsloſen armen Juͤngling angeſehen;
dann war er als ein armer verlaſſener Handwerksburſche fort-
gereist, ſeine Schickſale in der Fremde hatte er ſeinem Oheim
und Vater geſchrieben, das Geruͤcht hatte alles Natuͤrliche
bis zum Wunderbaren, und das Wunderbare bis zum Wun-
derwerk erhoͤht, und daher kam’s, daß man ihn als eine Sel-
teuheit zu ſehen ſuchte. Er ſelbſt aber demuͤthigte ſich innig
vor Gott, er kannte ſeine Lage und Umſtaͤnde beſſer, und be-
dauerte, daß man ſo viel aus ihm machte; indeſſen thats
ihm doch auch wohl, daß man ihn hier nicht verkannte, wie
das in Schoͤnenthal ſein taͤgliches Schickſal war.
Des andern Morgens machte er ſich mit ſeinem Vater nach
Leindorf auf den Weg. Johann Stilling gab ſeinem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/340>, abgerufen am 25.11.2024.
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