war zwar da, allein der Patient war für diese geringe Ver- dunklung doch zu blind, als daß sie bloß hievon herrühren konnte; er sahe wohl, daß der anfangende schwarze Staar die Hauptursache des Uebels sey: das Alles sagte er auch, allein seine Freunde riethen ihm Alle, er möchte dessen ungeachtet die Staaroperation versuchen, besonders auch darum, weil der Patient doch unheilbar sey, und also durch die Operation nichts verlöre, im Gegentheil sey es Pflicht, Alles zu versu- chen. Stilling ließ sich also bewegen, denn der Patient verlangte selbst nach dem Versuch, und äußerte sich, dieß letzte Mittel müsse auch noch gewagt werden; er wurde also glück- lich operirt und in die Kur genommen.
Dieser Schritt war sehr unüberlegt, und Stilling fand Gelegenheit genug, ihn zu bereuen; die Kur mißlang, die Au- gen wurden entzündet, eiterten stark, das Gesicht war nicht nur unwiederbringlich verloren, sondern die Augen bekamen auch nun noch ein häßliches Ansehen. Stilling weinte in der Einsamkeit auf seinem Angesicht, und betete für diesen Mann um Hülfe zu Gott, aber er wurde nicht erhört. Dazu kamen noch andere Umstände: Bauch erfuhr, daß Stilling bedürf- tig war, er fing also an zu glauben, er habe ihn bloß operirt, um Geld zu verdienen, nun war zwar sein Hauswirth, der Kaufmann, der ihn mitgebracht hatte, ein edler Mann und Stillings Freund, der ihm diese Zweifel auszureden suchte, allein es besuchten Andere den Patienten, die ihm Verdacht ge- nug von Stillings Armuth, Mangel an Kenntnissen und eingeschränktem Kopf in die Ohren bliesen; Bauch reiste also unglücklich, voller Verdruß und Mißtrauen in Stillings Redlichkeit und Kenntnisse, nach Frankfurt zurück, wo er sich noch einige Wochen aufhielt, um noch andere Versuche mit seinen Augen zu machen, und dann wieder nach Hause zu reisen.
Während der Zeit hörte ein sehr edler, rechtschaffener Frank- furter Patrizier, der Herr Oberhofmeister von Leesner, wie glücklich der Herr Professor Sorber zu Marburg von Stilling sey kurirt worden; nun war er selbst seit einigen Jahren staarblind, er schrieb also an Sorbern, um gehörige
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war zwar da, allein der Patient war fuͤr dieſe geringe Ver- dunklung doch zu blind, als daß ſie bloß hievon herruͤhren konnte; er ſahe wohl, daß der anfangende ſchwarze Staar die Haupturſache des Uebels ſey: das Alles ſagte er auch, allein ſeine Freunde riethen ihm Alle, er moͤchte deſſen ungeachtet die Staaroperation verſuchen, beſonders auch darum, weil der Patient doch unheilbar ſey, und alſo durch die Operation nichts verloͤre, im Gegentheil ſey es Pflicht, Alles zu verſu- chen. Stilling ließ ſich alſo bewegen, denn der Patient verlangte ſelbſt nach dem Verſuch, und aͤußerte ſich, dieß letzte Mittel muͤſſe auch noch gewagt werden; er wurde alſo gluͤck- lich operirt und in die Kur genommen.
Dieſer Schritt war ſehr unuͤberlegt, und Stilling fand Gelegenheit genug, ihn zu bereuen; die Kur mißlang, die Au- gen wurden entzuͤndet, eiterten ſtark, das Geſicht war nicht nur unwiederbringlich verloren, ſondern die Augen bekamen auch nun noch ein haͤßliches Anſehen. Stilling weinte in der Einſamkeit auf ſeinem Angeſicht, und betete fuͤr dieſen Mann um Huͤlfe zu Gott, aber er wurde nicht erhoͤrt. Dazu kamen noch andere Umſtaͤnde: Bauch erfuhr, daß Stilling beduͤrf- tig war, er fing alſo an zu glauben, er habe ihn bloß operirt, um Geld zu verdienen, nun war zwar ſein Hauswirth, der Kaufmann, der ihn mitgebracht hatte, ein edler Mann und Stillings Freund, der ihm dieſe Zweifel auszureden ſuchte, allein es beſuchten Andere den Patienten, die ihm Verdacht ge- nug von Stillings Armuth, Mangel an Kenntniſſen und eingeſchraͤnktem Kopf in die Ohren blieſen; Bauch reiste alſo ungluͤcklich, voller Verdruß und Mißtrauen in Stillings Redlichkeit und Kenntniſſe, nach Frankfurt zuruͤck, wo er ſich noch einige Wochen aufhielt, um noch andere Verſuche mit ſeinen Augen zu machen, und dann wieder nach Hauſe zu reiſen.
Waͤhrend der Zeit hoͤrte ein ſehr edler, rechtſchaffener Frank- furter Patrizier, der Herr Oberhofmeiſter von Leesner, wie gluͤcklich der Herr Profeſſor Sorber zu Marburg von Stilling ſey kurirt worden; nun war er ſelbſt ſeit einigen Jahren ſtaarblind, er ſchrieb alſo an Sorbern, um gehoͤrige
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war zwar da, allein der Patient war fuͤr dieſe geringe Ver-
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Haupturſache des Uebels ſey: das Alles ſagte er auch, allein
ſeine Freunde riethen ihm Alle, er moͤchte deſſen ungeachtet
die Staaroperation verſuchen, beſonders auch darum, weil der
Patient doch unheilbar ſey, und alſo durch die Operation
nichts verloͤre, im Gegentheil ſey es Pflicht, Alles zu verſu-
chen. Stilling ließ ſich alſo bewegen, denn der Patient
verlangte ſelbſt nach dem Verſuch, und aͤußerte ſich, dieß letzte
Mittel muͤſſe auch noch gewagt werden; er wurde alſo gluͤck-
lich operirt und in die Kur genommen.
Dieſer Schritt war ſehr unuͤberlegt, und Stilling fand
Gelegenheit genug, ihn zu bereuen; die Kur mißlang, die Au-
gen wurden entzuͤndet, eiterten ſtark, das Geſicht war nicht
nur unwiederbringlich verloren, ſondern die Augen bekamen
auch nun noch ein haͤßliches Anſehen. Stilling weinte in
der Einſamkeit auf ſeinem Angeſicht, und betete fuͤr dieſen Mann
um Huͤlfe zu Gott, aber er wurde nicht erhoͤrt. Dazu kamen
noch andere Umſtaͤnde: Bauch erfuhr, daß Stilling beduͤrf-
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um Geld zu verdienen, nun war zwar ſein Hauswirth, der
Kaufmann, der ihn mitgebracht hatte, ein edler Mann und
Stillings Freund, der ihm dieſe Zweifel auszureden ſuchte,
allein es beſuchten Andere den Patienten, die ihm Verdacht ge-
nug von Stillings Armuth, Mangel an Kenntniſſen und
eingeſchraͤnktem Kopf in die Ohren blieſen; Bauch reiste alſo
ungluͤcklich, voller Verdruß und Mißtrauen in Stillings
Redlichkeit und Kenntniſſe, nach Frankfurt zuruͤck, wo er
ſich noch einige Wochen aufhielt, um noch andere Verſuche
mit ſeinen Augen zu machen, und dann wieder nach Hauſe
zu reiſen.
Waͤhrend der Zeit hoͤrte ein ſehr edler, rechtſchaffener Frank-
furter Patrizier, der Herr Oberhofmeiſter von Leesner, wie
gluͤcklich der Herr Profeſſor Sorber zu Marburg von
Stilling ſey kurirt worden; nun war er ſelbſt ſeit einigen
Jahren ſtaarblind, er ſchrieb alſo an Sorbern, um gehoͤrige
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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