zen Daseyn strömte sanfte gefällige Empfindung und Wohl- wollen gegen Gott und Menschen, sie mochten nun übrigens denken und glauben was sie wollten, wenn sie nur gut und brav waren; sein grauer Flockenhut lag hinter ihm im Fen- ster und der Körper war mit einem bunten Sommerfrack bekleidet.
Dann saß der Hauswirth neben diesem; er hatte eine pech- schwarze Perücke mit einem Haarbeutel auf dem Kopfe und einen braunen zizenen Schlafrock an, der mit einer grünen sei- denen Schärpe umgürtet war; seine großen, hervorragenden Au- gen starrten unter der hohen und breiten Stirne hervor, sein Kinn war spitzig, überhaupt das Gesicht dreieckigt und hager, aber voller Züge des Verstandes, er horchte lieber, als daß er redete, und wenn er sprach, so war Alles vorher in seiner Gehirnkammer wohl abgeschlossen und decretirt worden; sei- ner Tauben-Einfalt fehlte es an Schlangenklugheit wahrlich nicht!
Jetzt kam nun die Reihe an Lavater; sein Evangeli- sten-Johannes-Gesicht riß alle Herzen mit Gewalt zur Ehrfurcht und Liebe an sich, und sein munterer, gefälliger Witz, verpaart mit einer lebhaften und unterhaltenden Laune, machte sich alle Anwesende, die sich nicht durch Witz und Laune zu versündigen glaubten, ganz zu eigen. Indessen waren unter der Hand seine physiognomischen Füllhörner, denen es hier an Stoff nicht fehlte, immer geschäftig; er hatte einen geschickten Zeichenmeister bei sich, der auch seine Hände nicht in den Schooß legte.
Neben Lavater saß Hasenkamp, ein vierzigjähriger etwas gebückter, hagerer, hectischer Mann, mit einem länglich- ten Gesicht, merkwürdiger Physiognomie, und überhaupt Ehr- furcht erweckendem Ansehen; jedes Wort war ein Nachdenken und Wohlgefallen erregendes Paradoxon, selten mit dem Sy- stem übereinstimmend; sein Geist suchte allenthalben Luft und ängstete sich in seiner Hülle nach Wahrheit, bis er sie bald zersprengte und mit einem lauten Hallelujah zur Quelle des Lichts und der Wahrheit emporflog; seine einzelnen Schrif- ten machen Orthodoxe und Heterodoxe den Kopf schütteln,
zen Daſeyn ſtroͤmte ſanfte gefaͤllige Empfindung und Wohl- wollen gegen Gott und Menſchen, ſie mochten nun uͤbrigens denken und glauben was ſie wollten, wenn ſie nur gut und brav waren; ſein grauer Flockenhut lag hinter ihm im Fen- ſter und der Koͤrper war mit einem bunten Sommerfrack bekleidet.
Dann ſaß der Hauswirth neben dieſem; er hatte eine pech- ſchwarze Peruͤcke mit einem Haarbeutel auf dem Kopfe und einen braunen zizenen Schlafrock an, der mit einer gruͤnen ſei- denen Schaͤrpe umguͤrtet war; ſeine großen, hervorragenden Au- gen ſtarrten unter der hohen und breiten Stirne hervor, ſein Kinn war ſpitzig, uͤberhaupt das Geſicht dreieckigt und hager, aber voller Zuͤge des Verſtandes, er horchte lieber, als daß er redete, und wenn er ſprach, ſo war Alles vorher in ſeiner Gehirnkammer wohl abgeſchloſſen und decretirt worden; ſei- ner Tauben-Einfalt fehlte es an Schlangenklugheit wahrlich nicht!
Jetzt kam nun die Reihe an Lavater; ſein Evangeli- ſten-Johannes-Geſicht riß alle Herzen mit Gewalt zur Ehrfurcht und Liebe an ſich, und ſein munterer, gefaͤlliger Witz, verpaart mit einer lebhaften und unterhaltenden Laune, machte ſich alle Anweſende, die ſich nicht durch Witz und Laune zu verſuͤndigen glaubten, ganz zu eigen. Indeſſen waren unter der Hand ſeine phyſiognomiſchen Fuͤllhoͤrner, denen es hier an Stoff nicht fehlte, immer geſchaͤftig; er hatte einen geſchickten Zeichenmeiſter bei ſich, der auch ſeine Haͤnde nicht in den Schooß legte.
Neben Lavater ſaß Haſenkamp, ein vierzigjaͤhriger etwas gebuͤckter, hagerer, hectiſcher Mann, mit einem laͤnglich- ten Geſicht, merkwuͤrdiger Phyſiognomie, und uͤberhaupt Ehr- furcht erweckendem Anſehen; jedes Wort war ein Nachdenken und Wohlgefallen erregendes Paradoxon, ſelten mit dem Sy- ſtem uͤbereinſtimmend; ſein Geiſt ſuchte allenthalben Luft und aͤngſtete ſich in ſeiner Huͤlle nach Wahrheit, bis er ſie bald zerſprengte und mit einem lauten Hallelujah zur Quelle des Lichts und der Wahrheit emporflog; ſeine einzelnen Schrif- ten machen Orthodoxe und Heterodoxe den Kopf ſchuͤtteln,
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zen Daſeyn ſtroͤmte ſanfte gefaͤllige Empfindung und Wohl-
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denken und glauben was ſie wollten, wenn ſie nur gut und
brav waren; ſein grauer Flockenhut lag hinter ihm im Fen-
ſter und der Koͤrper war mit einem bunten Sommerfrack
bekleidet.
Dann ſaß der Hauswirth neben dieſem; er hatte eine pech-
ſchwarze Peruͤcke mit einem Haarbeutel auf dem Kopfe und
einen braunen zizenen Schlafrock an, der mit einer gruͤnen ſei-
denen Schaͤrpe umguͤrtet war; ſeine großen, hervorragenden Au-
gen ſtarrten unter der hohen und breiten Stirne hervor, ſein
Kinn war ſpitzig, uͤberhaupt das Geſicht dreieckigt und hager,
aber voller Zuͤge des Verſtandes, er horchte lieber, als daß
er redete, und wenn er ſprach, ſo war Alles vorher in ſeiner
Gehirnkammer wohl abgeſchloſſen und decretirt worden; ſei-
ner Tauben-Einfalt fehlte es an Schlangenklugheit wahrlich
nicht!
Jetzt kam nun die Reihe an Lavater; ſein Evangeli-
ſten-Johannes-Geſicht riß alle Herzen mit Gewalt zur
Ehrfurcht und Liebe an ſich, und ſein munterer, gefaͤlliger Witz,
verpaart mit einer lebhaften und unterhaltenden Laune, machte
ſich alle Anweſende, die ſich nicht durch Witz und Laune zu
verſuͤndigen glaubten, ganz zu eigen. Indeſſen waren unter
der Hand ſeine phyſiognomiſchen Fuͤllhoͤrner, denen es hier an
Stoff nicht fehlte, immer geſchaͤftig; er hatte einen geſchickten
Zeichenmeiſter bei ſich, der auch ſeine Haͤnde nicht in den
Schooß legte.
Neben Lavater ſaß Haſenkamp, ein vierzigjaͤhriger
etwas gebuͤckter, hagerer, hectiſcher Mann, mit einem laͤnglich-
ten Geſicht, merkwuͤrdiger Phyſiognomie, und uͤberhaupt Ehr-
furcht erweckendem Anſehen; jedes Wort war ein Nachdenken
und Wohlgefallen erregendes Paradoxon, ſelten mit dem Sy-
ſtem uͤbereinſtimmend; ſein Geiſt ſuchte allenthalben Luft und
aͤngſtete ſich in ſeiner Huͤlle nach Wahrheit, bis er ſie bald
zerſprengte und mit einem lauten Hallelujah zur Quelle des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/332>, abgerufen am 22.11.2024.
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