rühmlich vorstehet. Während der Zeit kam Christine zum zweitenmal ins Kindbett und sie gebar einen Sohn; außer den schrecklichen Zufällen bei dem Milchfieber ging alles glücklich von statten.
Nun lag Stillingen noch eines am Herzen: er wünschte seinen Vater nach so langer Zeit einmal wieder zu sehen; als Doktor hatte er ihn noch nicht gesprochen und seine Gattin kannte ihn noch gar nicht. Nun lud er den würdigen Mann zwar öfters ein, Wilhelm hatte auch oft versprochen zu kom- men, allein es verschob sich immer, und so wurde nichts daraus. Jetzt aber versuchte Stilling das Aeußerste: er schrieb näm- lich, daß er ihm an einem bestimmten Tage den halben Weg bis Meinerzhagen entgegen reiten und ihn dort abholen wolle. Dieß that Wirkung; Wilhelm Stilling machte sich also zu rechter Zeit auf den Weg, und so trafen sie Beide in dem bestimmten Gasthause zu Meinerzhagen an, sie wankten sich zur Umarmung entgegen, und die Gefühle lassen sich nicht aussprechen, welche Beiden das Herz bestürmten. Mit einzelnen Tönen gab Wilhelm seine Freude, daß sein und Dortchens Sohn nun das Ziel seiner Bestimmung er- reicht habe, zu erkennen; er weinte und lachte wechselsweise, und sein Sohn hütete sich wohl, nur das Geringste von seinen schweren Leiden, seinen zweifelhaften Glücksumständen und den Schwierigkeiten in seinem Beruf zu entdecken; denn dadurch würde er seinem Vater die ganze Freude verdorben haben. In- dessen fühlte er seinen Kummer um desto stärker, es kränkte ihn, nicht so glücklich zu seyn, als ihn sein Vater schätzte, und er zweifelte auch, daß ers je werden würde; denn er hielt sich immer für einen Mann, der von Gott zur Arzneikunde be- stimmt sey, mithin bei diesem Beruf bleiben müsse, ungeach- tet er anfing, Mißvergnügen daran zu haben, weil er auf einer Seite so wenig Grund und Boden in dieser Wissenschaft fand, und dann, weil sie ihn, wenn er als ein ehrlicher Mann zu Werk gehen wollte, nicht nährte, geschweige das Glück seiner Familie gründete.
Des andern Morgens setzte er seinen Vater aufs Pferd, er machte den Fußgänger neben her auf dem Pfade, und so
ruͤhmlich vorſtehet. Waͤhrend der Zeit kam Chriſtine zum zweitenmal ins Kindbett und ſie gebar einen Sohn; außer den ſchrecklichen Zufaͤllen bei dem Milchfieber ging alles gluͤcklich von ſtatten.
Nun lag Stillingen noch eines am Herzen: er wuͤnſchte ſeinen Vater nach ſo langer Zeit einmal wieder zu ſehen; als Doktor hatte er ihn noch nicht geſprochen und ſeine Gattin kannte ihn noch gar nicht. Nun lud er den wuͤrdigen Mann zwar oͤfters ein, Wilhelm hatte auch oft verſprochen zu kom- men, allein es verſchob ſich immer, und ſo wurde nichts daraus. Jetzt aber verſuchte Stilling das Aeußerſte: er ſchrieb naͤm- lich, daß er ihm an einem beſtimmten Tage den halben Weg bis Meinerzhagen entgegen reiten und ihn dort abholen wolle. Dieß that Wirkung; Wilhelm Stilling machte ſich alſo zu rechter Zeit auf den Weg, und ſo trafen ſie Beide in dem beſtimmten Gaſthauſe zu Meinerzhagen an, ſie wankten ſich zur Umarmung entgegen, und die Gefuͤhle laſſen ſich nicht ausſprechen, welche Beiden das Herz beſtuͤrmten. Mit einzelnen Toͤnen gab Wilhelm ſeine Freude, daß ſein und Dortchens Sohn nun das Ziel ſeiner Beſtimmung er- reicht habe, zu erkennen; er weinte und lachte wechſelsweiſe, und ſein Sohn huͤtete ſich wohl, nur das Geringſte von ſeinen ſchweren Leiden, ſeinen zweifelhaften Gluͤcksumſtaͤnden und den Schwierigkeiten in ſeinem Beruf zu entdecken; denn dadurch wuͤrde er ſeinem Vater die ganze Freude verdorben haben. In- deſſen fuͤhlte er ſeinen Kummer um deſto ſtaͤrker, es kraͤnkte ihn, nicht ſo gluͤcklich zu ſeyn, als ihn ſein Vater ſchaͤtzte, und er zweifelte auch, daß ers je werden wuͤrde; denn er hielt ſich immer fuͤr einen Mann, der von Gott zur Arzneikunde be- ſtimmt ſey, mithin bei dieſem Beruf bleiben muͤſſe, ungeach- tet er anfing, Mißvergnuͤgen daran zu haben, weil er auf einer Seite ſo wenig Grund und Boden in dieſer Wiſſenſchaft fand, und dann, weil ſie ihn, wenn er als ein ehrlicher Mann zu Werk gehen wollte, nicht naͤhrte, geſchweige das Gluͤck ſeiner Familie gruͤndete.
Des andern Morgens ſetzte er ſeinen Vater aufs Pferd, er machte den Fußgaͤnger neben her auf dem Pfade, und ſo
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ruͤhmlich vorſtehet. Waͤhrend der Zeit kam Chriſtine zum
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von ſtatten.
Nun lag Stillingen noch eines am Herzen: er wuͤnſchte
ſeinen Vater nach ſo langer Zeit einmal wieder zu ſehen; als
Doktor hatte er ihn noch nicht geſprochen und ſeine Gattin
kannte ihn noch gar nicht. Nun lud er den wuͤrdigen Mann
zwar oͤfters ein, Wilhelm hatte auch oft verſprochen zu kom-
men, allein es verſchob ſich immer, und ſo wurde nichts daraus.
Jetzt aber verſuchte Stilling das Aeußerſte: er ſchrieb naͤm-
lich, daß er ihm an einem beſtimmten Tage den halben Weg
bis Meinerzhagen entgegen reiten und ihn dort abholen
wolle. Dieß that Wirkung; Wilhelm Stilling machte
ſich alſo zu rechter Zeit auf den Weg, und ſo trafen ſie Beide
in dem beſtimmten Gaſthauſe zu Meinerzhagen an, ſie
wankten ſich zur Umarmung entgegen, und die Gefuͤhle laſſen
ſich nicht ausſprechen, welche Beiden das Herz beſtuͤrmten.
Mit einzelnen Toͤnen gab Wilhelm ſeine Freude, daß ſein
und Dortchens Sohn nun das Ziel ſeiner Beſtimmung er-
reicht habe, zu erkennen; er weinte und lachte wechſelsweiſe,
und ſein Sohn huͤtete ſich wohl, nur das Geringſte von ſeinen
ſchweren Leiden, ſeinen zweifelhaften Gluͤcksumſtaͤnden und den
Schwierigkeiten in ſeinem Beruf zu entdecken; denn dadurch
wuͤrde er ſeinem Vater die ganze Freude verdorben haben. In-
deſſen fuͤhlte er ſeinen Kummer um deſto ſtaͤrker, es kraͤnkte
ihn, nicht ſo gluͤcklich zu ſeyn, als ihn ſein Vater ſchaͤtzte, und
er zweifelte auch, daß ers je werden wuͤrde; denn er hielt ſich
immer fuͤr einen Mann, der von Gott zur Arzneikunde be-
ſtimmt ſey, mithin bei dieſem Beruf bleiben muͤſſe, ungeach-
tet er anfing, Mißvergnuͤgen daran zu haben, weil er auf einer
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und dann, weil ſie ihn, wenn er als ein ehrlicher Mann zu
Werk gehen wollte, nicht naͤhrte, geſchweige das Gluͤck ſeiner
Familie gruͤndete.
Des andern Morgens ſetzte er ſeinen Vater aufs Pferd,
er machte den Fußgaͤnger neben her auf dem Pfade, und ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/328>, abgerufen am 22.11.2024.
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