Nach einigen Minuten führte ihn sein Schwiegervater in das Haus, welches ihm Dinkler und Troost zu seiner Wohnung bestimmt und gemiethet hatten; es stand von der Hauptstraße etwas zurück, nahe an der Wupper und hatte einen kleinen Garten nebst einer herrlichen Aussicht in das süd- liche Gebirge. Die Magd war ein paar Tage vorausgegan- gen, hatte Alles gereinigt und den kleinen Vorrath von Haus- geräthe in Ordnung gebracht.
Als man nun Alles hinlänglich besehen und beurtheilt hatte, so nahm Friedenberg mit vielen heißen Gegenswünschen Abschied und wanderte wieder nach Rasenheim zurück. Jetzt stand nun das junge Ehepaar da, und sah sich mit nassen Augen an -- der gesammelte Hausrath war knapp zugeschnit- ten, sechs breterne Stühle, Tisch und ein Bett für sie und eins für die Magd, ein paar Schüsseln, sechs fayancene Tel- ler, ein paar Töpfe zum Kochen u. s. w., und dann die höchstnöthige Leinwand, nebst den unentbehrlichsten Kleidern war Alles, was man in dem großen Hause auftreiben konnte. Man vertheilte dieses Geräthe hin und her, und doch sah es überall unbeschreiblich leer aus. An den dritten Stock dachte man gar nicht, der war wüste und blieb's auch.
Und nun die Kasse? -- diese bestand in Allem aus fünf Reichsthalern in baarer Münze, und damit Punktum.
Wahrlich! wahrlich! es gehörte viel Vertrauen auf Gottes Vatersorge dazu, um die erste Nacht ruhig schlafen zu können, und doch schlief Stilling mit seinem Weibe recht wohl; denn sie zweifelten Beide keinen Augenblick, Gott werde für sie sorgen. Indessen plagte ihn zu gewissen Zeiten seine Ver- nunft sehr, er gab ihr aber kein Gehör, und glaubte nur. Des andern Tages machte er seine Visiten, Christine aber gar keine, denn ihr Zweck war, so unbekannt und verborgen zu leben, als es nur immer der Wohlstand erlauben würde. Jetzt fand nun Stilling einen großen Unterschied im Be- tragen seiner künftigen Mitbürger und Nachbarn: seine pieti- stischen Freunde, die ihn ehemals als einen Engel Gottes em- pfingen, ihn mit den wärmsten Küssen und Gegenswünschen umarmten, blieben jetzt von Ferne stehen, bückten sich blos
Nach einigen Minuten fuͤhrte ihn ſein Schwiegervater in das Haus, welches ihm Dinkler und Trooſt zu ſeiner Wohnung beſtimmt und gemiethet hatten; es ſtand von der Hauptſtraße etwas zuruͤck, nahe an der Wupper und hatte einen kleinen Garten nebſt einer herrlichen Ausſicht in das ſuͤd- liche Gebirge. Die Magd war ein paar Tage vorausgegan- gen, hatte Alles gereinigt und den kleinen Vorrath von Haus- geraͤthe in Ordnung gebracht.
Als man nun Alles hinlaͤnglich beſehen und beurtheilt hatte, ſo nahm Friedenberg mit vielen heißen Gegenswuͤnſchen Abſchied und wanderte wieder nach Raſenheim zuruͤck. Jetzt ſtand nun das junge Ehepaar da, und ſah ſich mit naſſen Augen an — der geſammelte Hausrath war knapp zugeſchnit- ten, ſechs breterne Stuͤhle, Tiſch und ein Bett fuͤr ſie und eins fuͤr die Magd, ein paar Schuͤſſeln, ſechs fayancene Tel- ler, ein paar Toͤpfe zum Kochen u. ſ. w., und dann die hoͤchſtnoͤthige Leinwand, nebſt den unentbehrlichſten Kleidern war Alles, was man in dem großen Hauſe auftreiben konnte. Man vertheilte dieſes Geraͤthe hin und her, und doch ſah es uͤberall unbeſchreiblich leer aus. An den dritten Stock dachte man gar nicht, der war wuͤſte und blieb’s auch.
Und nun die Kaſſe? — dieſe beſtand in Allem aus fuͤnf Reichsthalern in baarer Muͤnze, und damit Punktum.
Wahrlich! wahrlich! es gehoͤrte viel Vertrauen auf Gottes Vaterſorge dazu, um die erſte Nacht ruhig ſchlafen zu koͤnnen, und doch ſchlief Stilling mit ſeinem Weibe recht wohl; denn ſie zweifelten Beide keinen Augenblick, Gott werde fuͤr ſie ſorgen. Indeſſen plagte ihn zu gewiſſen Zeiten ſeine Ver- nunft ſehr, er gab ihr aber kein Gehoͤr, und glaubte nur. Des andern Tages machte er ſeine Viſiten, Chriſtine aber gar keine, denn ihr Zweck war, ſo unbekannt und verborgen zu leben, als es nur immer der Wohlſtand erlauben wuͤrde. Jetzt fand nun Stilling einen großen Unterſchied im Be- tragen ſeiner kuͤnftigen Mitbuͤrger und Nachbarn: ſeine pieti- ſtiſchen Freunde, die ihn ehemals als einen Engel Gottes em- pfingen, ihn mit den waͤrmſten Kuͤſſen und Gegenswuͤnſchen umarmten, blieben jetzt von Ferne ſtehen, buͤckten ſich blos
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0304"n="296"/><p>Nach einigen Minuten fuͤhrte ihn ſein Schwiegervater in<lb/>
das Haus, welches ihm <hirendition="#g">Dinkler</hi> und <hirendition="#g">Trooſt</hi> zu ſeiner<lb/>
Wohnung beſtimmt und gemiethet hatten; es ſtand von der<lb/>
Hauptſtraße etwas zuruͤck, nahe an der <hirendition="#g">Wupper</hi> und hatte<lb/>
einen kleinen Garten nebſt einer herrlichen Ausſicht in das ſuͤd-<lb/>
liche Gebirge. Die Magd war ein paar Tage vorausgegan-<lb/>
gen, hatte Alles gereinigt und den kleinen Vorrath von Haus-<lb/>
geraͤthe in Ordnung gebracht.</p><lb/><p>Als man nun Alles hinlaͤnglich beſehen und beurtheilt hatte,<lb/>ſo nahm <hirendition="#g">Friedenberg</hi> mit vielen heißen Gegenswuͤnſchen<lb/>
Abſchied und wanderte wieder nach <hirendition="#g">Raſenheim</hi> zuruͤck. Jetzt<lb/>ſtand nun das junge Ehepaar da, und ſah ſich mit naſſen<lb/>
Augen an — der geſammelte Hausrath war knapp zugeſchnit-<lb/>
ten, ſechs breterne Stuͤhle, Tiſch und ein Bett fuͤr ſie und<lb/>
eins fuͤr die Magd, ein paar Schuͤſſeln, ſechs fayancene Tel-<lb/>
ler, ein paar Toͤpfe zum Kochen u. ſ. w., und dann die<lb/>
hoͤchſtnoͤthige Leinwand, nebſt den unentbehrlichſten Kleidern<lb/>
war Alles, was man in dem großen Hauſe auftreiben konnte.<lb/>
Man vertheilte dieſes Geraͤthe hin und her, und doch ſah es<lb/>
uͤberall unbeſchreiblich leer aus. An den dritten Stock dachte<lb/>
man gar nicht, der war wuͤſte und blieb’s auch.</p><lb/><p>Und nun die Kaſſe? — dieſe beſtand in Allem aus fuͤnf<lb/>
Reichsthalern in baarer Muͤnze, und damit Punktum.</p><lb/><p>Wahrlich! wahrlich! es gehoͤrte viel Vertrauen auf Gottes<lb/>
Vaterſorge dazu, um die erſte Nacht ruhig ſchlafen zu koͤnnen,<lb/>
und doch ſchlief <hirendition="#g">Stilling</hi> mit ſeinem Weibe recht wohl;<lb/>
denn ſie zweifelten Beide keinen Augenblick, Gott werde fuͤr<lb/>ſie ſorgen. Indeſſen plagte ihn zu gewiſſen Zeiten ſeine Ver-<lb/>
nunft ſehr, er gab ihr aber kein Gehoͤr, und <hirendition="#g">glaubte</hi> nur.<lb/>
Des andern Tages machte er ſeine Viſiten, <hirendition="#g">Chriſtine</hi> aber<lb/>
gar keine, denn ihr Zweck war, ſo unbekannt und verborgen<lb/>
zu leben, als es nur immer der Wohlſtand erlauben wuͤrde.<lb/>
Jetzt fand nun <hirendition="#g">Stilling</hi> einen großen Unterſchied im Be-<lb/>
tragen ſeiner kuͤnftigen Mitbuͤrger und Nachbarn: ſeine pieti-<lb/>ſtiſchen Freunde, die ihn ehemals als einen Engel Gottes em-<lb/>
pfingen, ihn mit den waͤrmſten Kuͤſſen und Gegenswuͤnſchen<lb/>
umarmten, blieben jetzt von Ferne ſtehen, buͤckten ſich blos<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[296/0304]
Nach einigen Minuten fuͤhrte ihn ſein Schwiegervater in
das Haus, welches ihm Dinkler und Trooſt zu ſeiner
Wohnung beſtimmt und gemiethet hatten; es ſtand von der
Hauptſtraße etwas zuruͤck, nahe an der Wupper und hatte
einen kleinen Garten nebſt einer herrlichen Ausſicht in das ſuͤd-
liche Gebirge. Die Magd war ein paar Tage vorausgegan-
gen, hatte Alles gereinigt und den kleinen Vorrath von Haus-
geraͤthe in Ordnung gebracht.
Als man nun Alles hinlaͤnglich beſehen und beurtheilt hatte,
ſo nahm Friedenberg mit vielen heißen Gegenswuͤnſchen
Abſchied und wanderte wieder nach Raſenheim zuruͤck. Jetzt
ſtand nun das junge Ehepaar da, und ſah ſich mit naſſen
Augen an — der geſammelte Hausrath war knapp zugeſchnit-
ten, ſechs breterne Stuͤhle, Tiſch und ein Bett fuͤr ſie und
eins fuͤr die Magd, ein paar Schuͤſſeln, ſechs fayancene Tel-
ler, ein paar Toͤpfe zum Kochen u. ſ. w., und dann die
hoͤchſtnoͤthige Leinwand, nebſt den unentbehrlichſten Kleidern
war Alles, was man in dem großen Hauſe auftreiben konnte.
Man vertheilte dieſes Geraͤthe hin und her, und doch ſah es
uͤberall unbeſchreiblich leer aus. An den dritten Stock dachte
man gar nicht, der war wuͤſte und blieb’s auch.
Und nun die Kaſſe? — dieſe beſtand in Allem aus fuͤnf
Reichsthalern in baarer Muͤnze, und damit Punktum.
Wahrlich! wahrlich! es gehoͤrte viel Vertrauen auf Gottes
Vaterſorge dazu, um die erſte Nacht ruhig ſchlafen zu koͤnnen,
und doch ſchlief Stilling mit ſeinem Weibe recht wohl;
denn ſie zweifelten Beide keinen Augenblick, Gott werde fuͤr
ſie ſorgen. Indeſſen plagte ihn zu gewiſſen Zeiten ſeine Ver-
nunft ſehr, er gab ihr aber kein Gehoͤr, und glaubte nur.
Des andern Tages machte er ſeine Viſiten, Chriſtine aber
gar keine, denn ihr Zweck war, ſo unbekannt und verborgen
zu leben, als es nur immer der Wohlſtand erlauben wuͤrde.
Jetzt fand nun Stilling einen großen Unterſchied im Be-
tragen ſeiner kuͤnftigen Mitbuͤrger und Nachbarn: ſeine pieti-
ſtiſchen Freunde, die ihn ehemals als einen Engel Gottes em-
pfingen, ihn mit den waͤrmſten Kuͤſſen und Gegenswuͤnſchen
umarmten, blieben jetzt von Ferne ſtehen, buͤckten ſich blos
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/304>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.