Binnen sieben Tagen kam er, ohne Gefahr, oder sonst et- was Merkwürdiges erfahren zu haben, wieder gesund und wohlbehalten in Straßburg an. Sein erster Gang war zu Göthe. Der Edle sprang hoch in die Höhe, als er ihn sahe, fiel ihm um den Hals und küßte ihn: Bist du wieder da, guter Stilling! rief er, und was macht dein Mäd- chen? Stilling antwortete: Sie ist mein Mädchen nicht mehr, sie ist nun meine Frau. "Das hast du gut gemacht," erwiederte Jener; "du bist ein excellenter Junge." Diesen hal- ben Tag verbrachten sie vollends in herzlichen Gesprächen und Erzählungen.
Der bekannte sanfte Lenz war auch nun daselbst angekom- men. Seine artigen Schriften haben ihn berühmt gemacht. Göthe, Lenz, Leose und Stilling machten jetzt so einen Zirkel aus, indem es Jedem wohl ward, der nur empfinden kann, was schön und gut ist. Stillings Enthusiasmus für die Religion hinderte ihn nicht, auch solche Männer herz- lich zu lieben, die freier dachten als er, wenn sie nur keine Spötter waren.
Nun setzte er seine medicinischen Studien mit allem Eifer fort, und ließ nichts aus, was nur zum Wesen dieser Wis- senschaft gehört. Den folgenden Herbst disputirte Herr Göthe öffentlich, und reiste nach Hause. Er und Stilling mach- ten einen ewigen Bund der Freundschaft zusammen. Leose reiste auch ab nach Versailles, Lenz aber blieb da.
Den folgenden Winter las Stilling, mit Erlaubniß des Herrn Professors Spielmann, ein Collegium über die Chemie, präparirte auf der Anatomie vollends durch, was ihm noch fehlte, repetirte noch ein und anders, und darauf schrieb er seine lateinische Probschrift selbsten, ohne Jemandes Beistand. Diese dedicirte er auf specielle höchste Erlaubniß, Ihro Chur- fürstl. Durchl, zu Pfalz, seinem gnädigsten Landesfürsten, ließ sich examiniren, und rüstete sich zur Abreise.
Hier war nun abermal viel Geld nöthig, er schrieb das nach Hause. Herr Friedenberg erschrack darüber. Des Mittags über Tisch wollte er seine Kinder einmal probiren. Sie saßen da alle Groß und Klein. Der Vater fing an:
Binnen ſieben Tagen kam er, ohne Gefahr, oder ſonſt et- was Merkwuͤrdiges erfahren zu haben, wieder geſund und wohlbehalten in Straßburg an. Sein erſter Gang war zu Goͤthe. Der Edle ſprang hoch in die Hoͤhe, als er ihn ſahe, fiel ihm um den Hals und kuͤßte ihn: Biſt du wieder da, guter Stilling! rief er, und was macht dein Maͤd- chen? Stilling antwortete: Sie iſt mein Maͤdchen nicht mehr, ſie iſt nun meine Frau. „Das haſt du gut gemacht,“ erwiederte Jener; „du biſt ein excellenter Junge.“ Dieſen hal- ben Tag verbrachten ſie vollends in herzlichen Geſpraͤchen und Erzaͤhlungen.
Der bekannte ſanfte Lenz war auch nun daſelbſt angekom- men. Seine artigen Schriften haben ihn beruͤhmt gemacht. Goͤthe, Lenz, Leoſe und Stilling machten jetzt ſo einen Zirkel aus, indem es Jedem wohl ward, der nur empfinden kann, was ſchoͤn und gut iſt. Stillings Enthuſiasmus fuͤr die Religion hinderte ihn nicht, auch ſolche Maͤnner herz- lich zu lieben, die freier dachten als er, wenn ſie nur keine Spoͤtter waren.
Nun ſetzte er ſeine mediciniſchen Studien mit allem Eifer fort, und ließ nichts aus, was nur zum Weſen dieſer Wiſ- ſenſchaft gehoͤrt. Den folgenden Herbſt diſputirte Herr Goͤthe oͤffentlich, und reiste nach Hauſe. Er und Stilling mach- ten einen ewigen Bund der Freundſchaft zuſammen. Leoſe reiste auch ab nach Verſailles, Lenz aber blieb da.
Den folgenden Winter las Stilling, mit Erlaubniß des Herrn Profeſſors Spielmann, ein Collegium uͤber die Chemie, praͤparirte auf der Anatomie vollends durch, was ihm noch fehlte, repetirte noch ein und anders, und darauf ſchrieb er ſeine lateiniſche Probſchrift ſelbſten, ohne Jemandes Beiſtand. Dieſe dedicirte er auf ſpecielle hoͤchſte Erlaubniß, Ihro Chur- fuͤrſtl. Durchl, zu Pfalz, ſeinem gnaͤdigſten Landesfuͤrſten, ließ ſich examiniren, und ruͤſtete ſich zur Abreiſe.
Hier war nun abermal viel Geld noͤthig, er ſchrieb das nach Hauſe. Herr Friedenberg erſchrack daruͤber. Des Mittags uͤber Tiſch wollte er ſeine Kinder einmal probiren. Sie ſaßen da alle Groß und Klein. Der Vater fing an:
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zu Goͤthe. Der Edle ſprang hoch in die Hoͤhe, als er ihn
ſahe, fiel ihm um den Hals und kuͤßte ihn: Biſt du wieder
da, guter Stilling! rief er, und was macht dein Maͤd-
chen? Stilling antwortete: Sie iſt mein Maͤdchen nicht
mehr, ſie iſt nun meine Frau. „Das haſt du gut gemacht,“
erwiederte Jener; „du biſt ein excellenter Junge.“ Dieſen hal-
ben Tag verbrachten ſie vollends in herzlichen Geſpraͤchen
und Erzaͤhlungen.
Der bekannte ſanfte Lenz war auch nun daſelbſt angekom-
men. Seine artigen Schriften haben ihn beruͤhmt gemacht.
Goͤthe, Lenz, Leoſe und Stilling machten jetzt ſo einen
Zirkel aus, indem es Jedem wohl ward, der nur empfinden
kann, was ſchoͤn und gut iſt. Stillings Enthuſiasmus
fuͤr die Religion hinderte ihn nicht, auch ſolche Maͤnner herz-
lich zu lieben, die freier dachten als er, wenn ſie nur keine
Spoͤtter waren.
Nun ſetzte er ſeine mediciniſchen Studien mit allem Eifer
fort, und ließ nichts aus, was nur zum Weſen dieſer Wiſ-
ſenſchaft gehoͤrt. Den folgenden Herbſt diſputirte Herr Goͤthe
oͤffentlich, und reiste nach Hauſe. Er und Stilling mach-
ten einen ewigen Bund der Freundſchaft zuſammen. Leoſe
reiste auch ab nach Verſailles, Lenz aber blieb da.
Den folgenden Winter las Stilling, mit Erlaubniß des
Herrn Profeſſors Spielmann, ein Collegium uͤber die Chemie,
praͤparirte auf der Anatomie vollends durch, was ihm noch
fehlte, repetirte noch ein und anders, und darauf ſchrieb er
ſeine lateiniſche Probſchrift ſelbſten, ohne Jemandes Beiſtand.
Dieſe dedicirte er auf ſpecielle hoͤchſte Erlaubniß, Ihro Chur-
fuͤrſtl. Durchl, zu Pfalz, ſeinem gnaͤdigſten Landesfuͤrſten,
ließ ſich examiniren, und ruͤſtete ſich zur Abreiſe.
Hier war nun abermal viel Geld noͤthig, er ſchrieb das
nach Hauſe. Herr Friedenberg erſchrack daruͤber. Des
Mittags uͤber Tiſch wollte er ſeine Kinder einmal probiren.
Sie ſaßen da alle Groß und Klein. Der Vater fing an:
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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