er lebt immer noch. Wo nun fändest du gegen diesen Feind einen solchen Streiter des Herrn, wie dieser Stilling war?
Allerdings als Philosophie, als herrschendes System ist Kant's Theorie durch neuere Formen der Weltweisheit verdrängt werden. Aber diese selbst nun, ha- ben sie sich dem Christenthum genähert? Wenn die neueste Philosophie Gott als Geist der Welt definirt, leugnet sie da- mit nicht die Persönlichkeit Gottes, welche eine Hauptlehre der christlichen Religion ist? Zwar nähert sie sich der Reli- gion dadurch, daß sie die Lehre von der gottmenschlichen Würde Christi vertheidigt; aber ist dieß von ihr in dem ei- genthümlich christlichen Sinne gemeinet, nach welchem Chri- stus spezifisch von allen übrigen Menschen verschieden ist; wird nicht vielmehr jene Einheit mit Gott, welche sie Christo beilegt, zugleich als wesentliche Bestimmung aller Men- schen behauptet?
Leuchtet hieraus schon der Widerspruch der herrschenden Philosophie mit der Religion ein, so zeigt sich diese In- haltsverschiedenheit beider noch viel mehr in der philoso- phischen Leugnung der persönlichen Unsterblichkeit, welche letztere Lehre sogar eine ebenso wichtige Stellung in der christ- lichen Weltansicht einnimmt, als der Lehre von Christi Per- son. Leugnet unser Mitalter das Jenseits, so kann es sein wahres und göttliches Wesen nur im Staate finden. Der St. Simonismus sprach in dieser Beziehung ganz den Geist der Zeit aus, und er hätte gewiß größern Anhang gefunden, würde er nicht eine dem verhaßten hierarchischen Papismus verwandte Staatsform in sein System aufgenommen haben. Aber im Lerminier tritt die neueste philosophisch-religiöse Richtung in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit bestimmt her- vor: Die Religion ist hier ganz eins mit dem Staatsleben, und zwar ist die Volkssouveränetät die angebetete Gottheit, auf deren Altar Religion, Wissenschaft, Kunst, sowie alle menschlichen Bestrebungen ihre Erstlinge als Weiheopfer niederlegen sollen.
Ohne über die Wahrheit dieser Lehren etwas hier zu sa- gen, so bemerken wir nur: daß die allgemeine Leugnung des Jenseits nothwendig von der religiösen Seite eine Gegenwir-
er lebt immer noch. Wo nun fändeſt du gegen dieſen Feind einen ſolchen Streiter des Herrn, wie dieſer Stilling war?
Allerdings als Philoſophie, als herrſchendes Syſtem iſt Kant’s Theorie durch neuere Formen der Weltweisheit verdrängt werden. Aber dieſe ſelbſt nun, ha- ben ſie ſich dem Chriſtenthum genähert? Wenn die neueſte Philoſophie Gott als Geiſt der Welt definirt, leugnet ſie da- mit nicht die Perſönlichkeit Gottes, welche eine Hauptlehre der chriſtlichen Religion iſt? Zwar nähert ſie ſich der Reli- gion dadurch, daß ſie die Lehre von der gottmenſchlichen Würde Chriſti vertheidigt; aber iſt dieß von ihr in dem ei- genthümlich chriſtlichen Sinne gemeinet, nach welchem Chri- ſtus ſpezifiſch von allen übrigen Menſchen verſchieden iſt; wird nicht vielmehr jene Einheit mit Gott, welche ſie Chriſto beilegt, zugleich als weſentliche Beſtimmung aller Men- ſchen behauptet?
Leuchtet hieraus ſchon der Widerſpruch der herrſchenden Philoſophie mit der Religion ein, ſo zeigt ſich dieſe In- haltsverſchiedenheit beider noch viel mehr in der philoſo- phiſchen Leugnung der perſönlichen Unſterblichkeit, welche letztere Lehre ſogar eine ebenſo wichtige Stellung in der chriſt- lichen Weltanſicht einnimmt, als der Lehre von Chriſti Per- ſon. Leugnet unſer Mitalter das Jenſeits, ſo kann es ſein wahres und göttliches Weſen nur im Staate finden. Der St. Simonismus ſprach in dieſer Beziehung ganz den Geiſt der Zeit aus, und er hätte gewiß größern Anhang gefunden, würde er nicht eine dem verhaßten hierarchiſchen Papismus verwandte Staatsform in ſein Syſtem aufgenommen haben. Aber im Lerminier tritt die neueſte philoſophiſch-religiöſe Richtung in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit beſtimmt her- vor: Die Religion iſt hier ganz eins mit dem Staatsleben, und zwar iſt die Volksſouveränetät die angebetete Gottheit, auf deren Altar Religion, Wiſſenſchaft, Kunſt, ſowie alle menſchlichen Beſtrebungen ihre Erſtlinge als Weiheopfer niederlegen ſollen.
Ohne über die Wahrheit dieſer Lehren etwas hier zu ſa- gen, ſo bemerken wir nur: daß die allgemeine Leugnung des Jenſeits nothwendig von der religiöſen Seite eine Gegenwir-
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er lebt immer noch. Wo nun fändeſt du gegen dieſen Feind
einen ſolchen Streiter des Herrn, wie dieſer Stilling war?
Allerdings als Philoſophie, als herrſchendes
Syſtem iſt Kant’s Theorie durch neuere Formen der
Weltweisheit verdrängt werden. Aber dieſe ſelbſt nun, ha-
ben ſie ſich dem Chriſtenthum genähert? Wenn die neueſte
Philoſophie Gott als Geiſt der Welt definirt, leugnet ſie da-
mit nicht die Perſönlichkeit Gottes, welche eine Hauptlehre
der chriſtlichen Religion iſt? Zwar nähert ſie ſich der Reli-
gion dadurch, daß ſie die Lehre von der gottmenſchlichen
Würde Chriſti vertheidigt; aber iſt dieß von ihr in dem ei-
genthümlich chriſtlichen Sinne gemeinet, nach welchem Chri-
ſtus ſpezifiſch von allen übrigen Menſchen verſchieden iſt;
wird nicht vielmehr jene Einheit mit Gott, welche ſie Chriſto
beilegt, zugleich als weſentliche Beſtimmung aller Men-
ſchen behauptet?
Leuchtet hieraus ſchon der Widerſpruch der herrſchenden
Philoſophie mit der Religion ein, ſo zeigt ſich dieſe In-
haltsverſchiedenheit beider noch viel mehr in der philoſo-
phiſchen Leugnung der perſönlichen Unſterblichkeit, welche
letztere Lehre ſogar eine ebenſo wichtige Stellung in der chriſt-
lichen Weltanſicht einnimmt, als der Lehre von Chriſti Per-
ſon. Leugnet unſer Mitalter das Jenſeits, ſo kann es ſein
wahres und göttliches Weſen nur im Staate finden. Der
St. Simonismus ſprach in dieſer Beziehung ganz den Geiſt
der Zeit aus, und er hätte gewiß größern Anhang gefunden,
würde er nicht eine dem verhaßten hierarchiſchen Papismus
verwandte Staatsform in ſein Syſtem aufgenommen haben.
Aber im Lerminier tritt die neueſte philoſophiſch-religiöſe
Richtung in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit beſtimmt her-
vor: Die Religion iſt hier ganz eins mit dem Staatsleben,
und zwar iſt die Volksſouveränetät die angebetete Gottheit,
auf deren Altar Religion, Wiſſenſchaft, Kunſt, ſowie alle
menſchlichen Beſtrebungen ihre Erſtlinge als Weiheopfer
niederlegen ſollen.
Ohne über die Wahrheit dieſer Lehren etwas hier zu ſa-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schrifte… [mehr]
1835 als Bd. 1 der posthumen gesammelten Schriften erschienen. Für das DTA wurde aus Gründen der besseren Verfügbarkeit dieses Exemplar statt der Erstauflage (ersch. 1777-1804 bzw. 1817, in fünf bzw. sechs Einzelbänden) digitalisiert.
Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/29>, abgerufen am 21.11.2024.
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