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Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835.

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iſt es in der That ein ſchöner Gang in der Geſchichte Theo-
balds, daß er denſelben, nachdem er alle mögliche Verirrun-
gen durchlaufen, ſeine Verſöhnung im Staate finden läßt, in
dem Theobald zulezt als hoher Staatsbeamter befreundet mit
der wirklichen Welt und in ihr hohen Segen ſtiftend, auftritt.

Wir haben bisher im Allgemeinen die Richtung und den
Geiſt darzuſtellen geſucht, welcher in den Schriften Stillings
waltet. Ich glaube, wir dürfen nun kaum mehr fragen: Iſt
Stillings Wiedererſcheinen weſentliches Bedürfniß der Zeit?
gehört er nicht mit ſeiner Polemik einer verſchollenen Bil-
dungsſtufe an, hat er nicht etwa Bedeutung blos für die da-
malige Zeit, die damalige Denkweiſe, mit deren Bekämpfung
er ſich immer beſchäftigt? Dieſe Frage, ſagen wir — dür-
fen wir kaum mehr aufwerfen. Nicht nur bleibt der poſi-
tive
Theil der in ſeinen ſchriftſtelleriſchen Werken geäuſ-
ſerten Weltanſicht, ſo lange das Chriſtenthum beſteht; und
dieſe ſeine Weltanſicht nun — könnte ſie in einer lebendi-
gern, anziehendern Form dargeſtellt ſeyn, als der phantaſie-
volle Stilling es that? — ich ſage nicht nur nach ihrer poſiti-
ven, auch nach ihrer polemiſchen Seite hin wird Stil-
lings Tendenz noch für unſere Zeit von Bedeutung ſeyn. Die-
jenige Auffaſſung des Chriſtenthums, welche durch die Kant’-
ſche Philoſophie ſich geſtaltete, iſt nicht etwa eine erſt damals
gewordene, ſondern eine im Weſentlichen uralte, ſie iſt die
des gewöhnlichen Menſchenverſtandes, welcher Gott in ein
Jenſeits ſetzt, die Menſchheit ihrer Göttlichkeit entleert, alſo
auch die Gottmenſchheit Chriſti und die ſich in uns einſen-
kende Gnade leugnet, und dagegen ſtatt der in Gott zur Fülle
gelangenden Freiheit, ein Vermögen leerer Willkühr im
Menſchen ſetzt, welche nie das Gute an ſich erreicht, weßwe-
gen zugleich eine Unſterblichkeit angenommen werden muß,
in welcher der Menſch immer dem Unendlichen ſich nähern
ſoll, ohne je mit demſelben eins zu werden. Die Syſteme der
Arianer, Neſtorianer und Socianer ſind ganz verwandte
Richtungen, und man kann ſagen — die Glieder der höhe-
ren, ſogenannten aufgeklärten Stände ſind beinahe durch-
gängig dieſer geiſtesarmen Weltanſicht zugethan. Der
Feind alſo, den Stilling bekämpft, iſt noch nicht geſtorben,

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Zitationshilfe: Jung-Stilling, Johann Heinrich: Lebensgeschichte. Stuttgart, 1835, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jung_lebensgeschichte_1835/28>, abgerufen am 23.02.2025.